Macht und Fall des ADAC
7. Mai 2016Eigentlich wollten sie noch höher hinaus, die Mächtigen des größten deutschen Vereins. Aber die Zentrale des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs (ADAC) ragte am Ende doch nicht ganz so hoch wie geplant in den Münchner Himmel. Höher als die beiden Kirchturmspitzen der Frauenkirche, dem sakralen Wahrzeichen Münchens seit dem 15. Jahrhundert, durfte der profane Sitz des ADAC baurechtlich nicht werden. Dennoch: Die Immobilie ist eine Demonstration von Macht und Selbstbewusstsein.
Beides stürzte Anfang 2014 rapide ab, als bekannt wurde, dass der Automobilclub über Jahre die deutsche Öffentlichkeit systematisch betrogen hatte. Für die Heerscharen der Mitglieder war das so, als sei der Papst beim Ladendiebstahl erwischt worden. Die Konsequenz: maximaler Vertrauensverlust.
Der gelbe Koloss
Dabei konnte sich der ADAC in den Jahren zuvor mühelos gegen den allgemeinen Trend der Bindungslosigkeit stemmen. Während Kirchen, Parteien und Gewerkschaften kräftig an zahlenden Mitgliedern verloren, wuchs der Autoclub in seinen Hochzeiten kräftig. Jeder vierte Deutsche ist eingetragenes Mitglied - Säuglinge und Greise mitgerechnet. ADAC-Mitglied zu sein, ist so etwas wie eine deutsche Bürgerpflicht.
1903 als Vereinigung der Motorradfahrer gegründet, stand schon acht Jahre später alles im Zeichen des Autos - heute der Deutschen liebster Fetisch. Der Club beschäftigt inzwischen rund 8500 Mitarbeiter, operiert mit 40 Tochtergesellschaften, ist in 18 Regionalvertretungen untergliedert und hat 19 Millionen Mitglieder. Nur die amerikanische Schwesterorganisation AAA ist mit 53 Millionen Mitgliedern größer.
Entscheidend beigetragen zum positiven Image des ADAC und damit zu seinem jahrzehntelangen Erfolg haben die "Gelben Engel", wie die Pannenhelfer des Clubs liebevoll genannt werden. Allein im Jahr 2013 rückten sie rund 4,2 Millionen Mal aus, um liegengebliebene Autos wieder flottzukriegen, was ihnen auch in 86 Prozent der Fälle gelang - sagt der ADAC! Dessen Glaubwürdigkeit ist allerdings seit gut zwei Jahren dahin - seit Tricksereien bekannt wurden. Und das stellte alles in ein negatives Licht, wofür der ADAC ebenfalls bekannt war: Tests von Tunneln, Brücken, Kindersitzen und Reifen und anderem mehr.
Die Tricksereien um das deutsche "Lieblingsauto"
Wie konnte es so weit kommen? Auslöser war die Manipulation bei der Wahl zum "Lieblingsauto der Deutschen" - eine Auszeichnung, die in Anlehnung an die fleißigen ADAC-Pannenhelfer, ebenfalls "Gelber Engel" heißt. Verantwortlich dafür war Michael Ramstetter, der damalige Pressesprecher des Automobilclubs und Chefredakteur der Haus-Postille "Motorwelt". Weil ihm die Zahl der teilnehmenden Mitglieder des Automobilclubs zu gering erschien, hängte er kurz noch eine Null an und verzehnfachte dadurch die Teilnahme.
Völlig willkürlich wurde auch mit der Platzierung der Wettbewerber hantiert. Für den VW-Golf, den späteren Gewinner des "Gelben Engels", wurden nur magere 4309 Stimmen abgegeben, die wundersame Vervielfachung der Stimmen machte den Golf dann zum überragenden Sieger. Und das war nicht der einzige unlautere Eingriff. Ein BMW-Modell wurde kurzerhand von Platz sieben auf fünf gehievt.
In zehn Jahren waren es immer nur deutsche Marken, die den "Gelben Engel" einheimsten. VW, Daimler, Audi und BMW sind - nicht wirklich überraschend - auch die größten Anzeigenschalter in "ADAC Motorwelt", mit fast 14 Millionen Auflage Europas größte Fachzeitschrift.
Im Strudel der Auto-Betrugsaffäre war es dann nur eine Frage der Zeit, bis weitere Merkwürdigkeiten aus dem Hause ADAC publik wurden. Dass hochrangige Clubfunktionäre gern auch mal die ADAC-Rettungshubschrauberstaffel nutzten, um zu Terminen zu fliegen, wurde von der deutschen Öffentlichkeit fast nur noch als harmloses Vergehen zur Kenntnis genommen. Viel wichtiger schien plötzlich die Frage, ob der ADAC als eingetragener Verein mit nur reduzierter Steuerlast milliardenschwere Geschäfte tätigen darf? Und: Wie kann es sein, dass der Club gleichzeitig als Dienstleister und Verbraucherschützer auftritt? Gerade in Funktion als "Anwalt der Kunden" hat der ADAC seit 2014 seinen Heiligenschein verloren.
Wie Ehrenamtliche Milliarden managen
Der ADAC ist nämlich Club und Konzern gleichzeitig, vergibt Kfz-Darlehen, schließt Reiseversicherungen ab, verkauft Auto-Kindersitze und Fährschiff-Tickets. Die Pannenhilfe ist gut für die Reputation, dafür schätzen die Deutschen ihren Automobilclub. Die Dienstleistungen aber sorgen für Milliarden-Umsatz.
Darf der ADAC das? Er darf! Vereine dürfen Gewinne machen und ihre Tochterunternehmen erst recht. Konzerndimensionen für einen eingetragenen Verein! Ein Wirtschaftsimperium mit politischer Macht, umgesetzt von offiziell Ehrenamtlichen. Ein Phänomen.
Struktursicher aufstellen: ADAC muss sich aufspalten
In Berlin und Brüssel ist der ADAC nahezu ganzjährig im Einsatz für Infrastrukturmaßnahmen allein zum Segen einer einzigen Gruppe von Verkehrsteilnehmern: den Autofahrern. Die Macht der Damen und Herren aus der Vereinszentrale in München bekam auch Norbert Röttgen zu spüren. Als der damalige Bundesumweltminister 2011 den umstrittenen Biokraftstoff E10 auf den deutschen Markt bringen ließ, entfachte der ADAC eine Kampagne gegen diese Spritsorte, die angeblich die Motoren ruinieren würde. E10 wurde daraufhin von den meisten Autofahrern flächendeckend boykottiert. Ob Tempolimit, Gurtpflicht oder Pkw-Maut: Immer war es der ADAC, der mit seinen radikalen Pro-Auto-Positionen Politik machte und Debatten beeinflusste.
Das war der alte ADAC. An diesem Wochenende geht es bei der Hauptversammlung um eine tiefgreifende Reform. Das milliardenschwere Konzerngeschäft soll vom Verein abgekoppelt werden. Verbraucherschutz und Kommerz werden getrennt. Das gleichzeitige Testen und Verkaufen von Schneeketten und Kindersitzen ist vorbei. Es geht um eine rechtssichere Aufstellung des ADAC. Die bisherige GmbH (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) des Vereins, die die Geschäfte machte, soll in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden. Sonst droht dem ADAC der Verlust seines bisherigen Status. Denn das Amtsgericht München prüft, ob der gelbe Club seinen steuersparenden Vorteil als Verein noch zu Recht tragen darf.