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Drama um Bolat Atabayev

Marcus Bensmann24. Juli 2012

Während der Haft trieb der kasachische Regisseur Bolat Atabayev die Macht so lange vor sich her, bis er freigelassen wurde. Proteste in Deutschland haben den Träger der Goethe-Medaille 2012 dabei geschützt und getragen.

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Der kasachische Regisseur Bolat Atabayev (Foto: Barbara Fraenkel-Thonet)
Bild: Barbara Fraenkel-Thonet

Bolat Atabayev ist zurück bei seinen Schauspielern. Sie proben im Konferenzraum eines Bürogebäudes in der kasachischen Wirtschaftsmetropole Almaty, durch die Fenster schimmern die Gletscher des Tienschan-Gebirges. "Den Raum haben uns Freunde zur Verfügung gestellt", sagt der kasachische Theaterregisseur. Die Schauspieler stülpen sich die selbst genähten Kostüme über, bauschige Uniformen oder Bauernkleider. Geprobt wird "Lawine", ein Stück von aktueller Brisanz. Ein Dorf muss aus Angst vor der Lawine neun Monate im Jahr flüstern, Hochzeiten, Feiern, Geburten, all das Laute im Leben darf nur in den restlichen drei Monaten stattfinden. Eine Geheimpolizei wacht über das Schweigegebot. Doch als sich eine Geburt mitten in der Flüsterzeit ereignet, stellt sich heraus, dass es gar keine Lawine gibt, die Angst davor eine Projektion der Macht war.

Das rohstoffreiche Kasachstan gibt sich unter dem 72-jährigen Präsidenten Nursultan Nasarbajew als moderner Staat, auch wenn es in dessen 22 Jahre währenden Herrschaft keine demokratische Wahl gegeben hat und Oppositionelle, sobald sie eine rote Linie überschreiten, verfolgt oder sogar getötet werden.

Kritischer Stoff

Der Theatermann Atabajew inszeniert nicht nur auf der Bühne regimekritischen Stoff. Anfang Juli wurde er aus dem Gefängnis entlassen, die Macht in Kasachstan musste vor einem internationalen Proteststurm klein beigeben."Auch das war von mir inszeniert", sagt Atabayev in der Zweizimmerwohnung in einer Platte am Stadtrand von Almaty.

Der kasachische Theatermacher Bolat Atabajew bei einer Veranstaltung im Juli 2012 (Foto: Barbara Fraenkel-Thonet)
Bolat Atabayev bekommt im August die Goethe-Medaille.Bild: Barbara Fraenkel-Thonet

In der Ecke steht eine Büste von Johann Wolfgang von Goethe. Ein Geschenk des Goethe-Instituts zur Auszeichnung der Goethe-Medaille 2012, die Atabayev im August bekommt. Mit ihr werden ausländische Persönlichkeiten geehrt, die sich um die Vermittlung der deutschen Sprache und den Kulturaustausch verdient gemacht haben. "Atabayev ist ein besonderer Künstler, mit dem wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten", sagt Barbara Fraenkel-Thonet, Leiterin des Goethe-Instituts in Almaty.

Der 61-jährige Kasache wuchs in einer deutsche geprägten Umwelt auf. In der zentralasiatischen Sowjetrepublik lebten viele Wolgadeutsche, Stalin hatte sie nach Kriegsausbruch in die kasachische Steppe deportiert. Die deutsche Kultur ließ den Künstler nicht mehr los. Er war Mitbegründer des deutschen Theaters in Almaty, machte mit Volker Schlöndorff in Kasachstan den Film "Ulzhan", arbeitete zusammen mit Regisseur Roberto Ciulli für ein Jahr am Theater an der Ruhr. "Roberto hat mir gezeigt, dass ein Theater auf der Bühne nicht die Wirklichkeit abbilden muss", sagt Atabayev.

Als bekannt wurde, dass er die Goethe-Medaille erhält, war Atabayev ein Theatermann, der mit kritischen und eigenwilligen Inszenierungen auch von Goethe und Schiller für Aufsehen gesorgt hatte. Aber bis dahin hatte er die kasachische Macht nicht weiter gestört. Doch im Januar 2012 wurde er angeklagt, zum 'sozialen Unfrieden' aufgewiegelt zu haben. Am 15. Juni wurde er verhaftet.

Der Ölstreik und der Theatermann

Diese Geschichte wiederum begann im Mai 2011 Tausende Kilometer westlich: in der ölreichen Westprovinz Mangistau. In der Provinzhauptstadt Aktau am Kaspischen Meer und in der zwei Autostunden entfernten Steppenstadt Schanaozen streikten Tausende Ölarbeiter für höhere Löhne und mehr Rechte.

Streikende in Schanaozen, Kasachstan 2011 (Foto: Marcus Bensmann, DW)
Juli 2011. Sie waren entschlossen durchzuhalten, vier Monate später fielen die Schüsse.Bild: DW/M.Bensmann

"Ein Streik kann vielleicht mal einen Monat dauern", sagt Atabajew, "doch hier wollte die Macht nicht zuhören". Die Staatsmedien schwiegen über den Protest, und so entschied Atabayev, die Ölarbeiter zu besuchen. "Es kann doch nicht sein, dass sich nur eine Elite die Taschen füllt, ich wollte die Forderungen der Arbeiter unterstützen", erinnert er sich. Er redete mit den Ölarbeitern, versicherte seine Loyalität. Wieder zurück in Almaty, sammelte er Geld und spielte als Benefizveranstaltung das Lawinenstück. "Eure Forderungen sind gerechtfertigt, doch die Macht will euch isolieren, denn sie hat nur ein Ziel: den Khan auf dem Thron zu lassen", hatte er den Ölarbeitern gesagt.

Schüsse in Schanaozen, die Repressionen beginnen

Am 16. Dezember 2011 eskalierte der Streik. Ausgerechnet am 20. Unabhängigkeitstag stürmten die Protestler den Festzug in Schanaozen. Die Festbühne wurde gestürzt, Geschäfte geplündert, das Bürgermeisteramt und die Filiale der Ölgesellschaft gingen in Flammen auf. Die Polizei schoss in die Menge, tötete ein Dutzend Menschen und verletzte Hunderte. Das Blutbad ereignete sich, als in der fernen Hauptstadt Astana Präsident Nasarbajew der Vertonung eigener Gedichte lauschte.

Der zentrale Platz von Schanaozen, Kasachstan (Foto: Marcus Bensmann, DW)
Hier, auf dem zentralen Platz von Schanaozen, fand das Blutbad statt.Bild: DW/M.Bensmann

Danach begannen die Repressionen. Die Macht verfolgte Aktivisten, Oppositionspolitiker und Journalisten, die die Ölarbeiter unterstützt hatten. Unter ihnen auch Atabayev. "Die Macht hatte das Blutvergießen selbst provoziert, sie brauchten einen Grund, den Streik und die monatelange Unruhe endlich zu beenden", ist er überzeugt. Anfänglich wurde er, anders als die anderen Angeklagten, nicht verhaftet. Die Macht fürchtete seine Bekanntheit. Doch musste er den Ermittlungsbehörden zur Verfügung stehen.

Atabajew wehrt sich mit einer Inszenierung

Ende Mai 2012 wollte er bei dieser kafkaesken Prozess-Posse nicht mehr mitmachen. Atabayev ließ eine Vorladung verstreichen und weigerte er sich, zu einer Vernehmung nach Aktau zu fliegen, wo der Prozess gegen die Mitangeklagten stattfinden sollte.

Die Ermittlungsbehörden schickten nochmals die Vorladung, spendierten sogar ein Flugticket. Aber Atabayev lehnte ab und wartete auf seine Verhaftung. Der Künstler sah, wie die Welt die Ereignisse von Schanaozen vergaß, sah, wie all die Reden, Podiumsdiskussionen nichts brachten: "Das war sehr schmerzhaft, es bedurfte eines Knalls" - und den sollte seine Weigerung bringen. "Über zwei Wochen passierte nichts, und ich fürchtete, sie hätten mich vergessen", sagte Atabayev. Aber dann schlug die Macht zu und tappte in die Falle. Sie kamen in Jeeps, schlugen ihn nieder und transportierten ihn in einem Gefängniswaggon tagelang durch die Steppe westwärts nach Aktau. Nicht ganz ungefährlich: Atabayev ist nicht mehr der Jüngste und zuckerkrank.

Der internationale Protest und mit Champagner in die Freiheit

Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Über das Goethe-Institut informiert, standen Künstlerkollegen wie Regisseur Schlöndorff in Deutschland Kopf. Bundestagsabgeordnete und der Beauftragte für Menschenrechte, Markus Löning, forderten die Freilassung. Vor der kasachischen Botschaft übergossen sich Demonstranten mit Blut, und die deutschen Medien schrieben wieder über die fast vergessenen blutigen Ereignisse von Schanaozen.

Kasachstan Ortsschild von Schanaozen, (Foto: Marcus Bensmann, DW)
Schanaozen: in der Steppe neben dem Ölfeld gegründet. Die Sonne scheint hier für die Reichen.Bild: DW/M.Bensmann

Die Macht stand unter Druck. Nicht zuletzt in Deutschland, wo der kasachische Präsident Anfang 2012 bei einem Staatsbesuch eine Rohstoffpartnerschaft unterzeichnet hat, will Kasachstan als moderner Staat wahrgenommen werden. Und all die Millionen Euro, die für diese Imagepolitur ausgegeben wurden, verpufften vor der Nachricht, dass man einen Theatermann in Ketten Tausende Kilometer durch die Steppe schickt.

Atabayev musste freigelassen werden. Doch er blieb unkooperativ, wollte weder Schuld eingestehen noch Mitangeklagte belasten. Also mussten sich die Ermittlungsbehörden damit zufrieden geben, dass er schrieb, er habe die Ölarbeiter besucht und sie unterstützt und es tue ihm leid, dass Blut geflossen ist. "Genau das habe ich unterschrieben, mehr nicht", sagt Atabayev, aber er bereue nichts.

Dann ging alles ganz schnell. Aus der Zelle zum Flughafen, in der Business-Class zurück nach Almaty. "Das ist eine der Absurditäten unseres Landes, im Gefängniszug in den Knast und mit Champagner zurück in die Freiheit", lacht Atabayev. Dabei wollte er bis zum Gerichtstermin im Gefängnis sitzen und den Prozess in eine Farce wandeln. Auch so hat der Theatermann den Ölautokraten Nasarbajew in die Knie gezwungen. Kein Märchen, sondern eine gekonnte Inszenierung des diesjährigen Trägers der Goethe-Medaille.