"M" und der Kampf um die Zuschauer
2. März 2019Ein geheimnisvolles Pfeifen erschallt in der Stadt. Dunkle Schatten, die sich an Großstadtfassaden scheinbar verselbstständigen. Ein bunt geschminkter Clown, der Luftballons an Kinder verkauft. Und dann die unheimliche Mordserie an Kindern. Die Polizei ist in heller Aufruhr - aber ohne jede Spur. Auch die Unterwelt weiß nicht mehr weiter, schadet das Klima der Angst doch den eigenen Geschäften. Eine Stadt in Angst, eine aufgeputschte Bevölkerung.
Peter Lorre als gehetzter Kindermörder ging in die Filmgeschichte ein
Kommt Ihnen das bekannt vor? Fritz Lang drehte seinen Film "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" im Jahr 1931: Die Geschichte einer Stadt in Aufruhr mit Peter Lorre als Kindermörder wurde zu einem Jahrhundert-Klassiker des Kinos. Expressionistische Bilderwelten gepaart mit den Zeichen moderner Sachlichkeit: "M" präsentierte sich zu Beginn der 1930er Jahre auf der Höhe der künstlerischen Auseinandersetzung des Kinos mit Gesellschaft und Politik.
Der Film, einer der ersten, der damals mit Ton arbeitete, setzte Maßstäbe. Zwei Jahre später übernahmen die Nationalsozialisten die Macht in Berlin - in der Rückschau erscheint Fritz Langs Werk wie eine Vorahnung kommenden Unheils: Ein ganzes Volk gerät unter Einfluss des Bösen und lässt sich mitreißen.
Die großen TV-Anbieter kämpfen um die Zuschauer - vor allem mit Serien
Jetzt gibt es eine Neuauflage des Filmklassikers - als Serie. Zu sehen ist "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" ab sofort bei "TV NOW", dem Streamingportal von Deutschlands größtem Privatsender RTL. Schon das ist eine Nachricht wert. Die deutsche Medienszene ist im Umbruch. Dies gilt vor allem auch für das Kino und das lineare Fernsehen. US-Streamingportale wie Netflix und Amazon Prime sowie der britische Sender Sky setzen den öffentlichen und vor allem auch den privaten deutschen Anbietern immer mehr zu. Diese müssen reagieren. Besonders auf dem heiß umkämpften Serien-Markt.
Das Geschäftsmodell "Man nehme einen erfolgreichen Filmklassiker und mache daraus eine Serie" scheint Erfolg zu haben. "Das Parfüm" wurde zur Serie bei ZDFneo. "Das Boot" tauchte bei Sky wieder auf. Derzeit wird auch an einer Serien-Umsetzung von "Der Name der Rose" gearbeitet. Jetzt also "M - Eine Stadt sucht einen Mörder". Ein Prestigeprojekt, will RTL doch damit die Zuschauer auf sein bis jetzt noch kaum bekanntes Portal "TV NOW" aufmerksam machen. Auch international und auf dem US-Markt funktionierte das Konzept: "Scream" und "Fargo" sind populäre Beispiele.
Premiere bei der Berlinale, jetzt auf "TV NOW" und DVD
"M - Eine Stadt sucht einen Mörder" entstand als Co-Produktion von ORF (Österreichischer Rundfunk) und RTL. In Österreich lief die Serie bereits vor ein paar Tagen im öffentlichen Fernsehen. Die Uraufführung hatte bei den Berliner Filmfestspielen stattgefunden. In Deutschland kommt sie zunächst bei "TV NOW" heraus, dafür muss der Kunde allerdings zahlen. Seit dem 1. März ist "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" zudem auf DVD und Blu-Ray erhältlich.
Regisseur David Schalko und Co-Autorin Evi Romen haben die Handlung in das winterlich-verschneite Wien des Jahres 2018 übertragen. In Grundzügen wurde das Handlungsgerüst des Films von Fritz Lang beibehalten: Eine mysteriöse Mordserie an Kindern erschüttert die Stadt. Die Eltern (wie Lars Eidinger, unser Artikelbild) der zunächst verschwundenen und später ermordeten Kinder sind fassungslos, die Polizei steht vor einem Rätsel. Der Innenminister (der stark an den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz sowie an andere Minister seines Kabinetts erinnert) macht Druck, nutzt die Mordserie für seine politischen Ziele aus. Ähnlich die Boulevardpresse, die sich durch reißerische Artikel höhere Auflagen verspricht.
Dem Zeitgeschehen angepasst: "M - Eine Stadt sucht einen Mörder"
Politik und Medien versuchen vor allem, die Flüchtlingskrise zu instrumentalisieren. Die Bevölkerung wird aufgeputscht, greift zur Selbstjustiz. Auch die richtet sich gegen Flüchtlinge. Und auch die Unterwelt greift, wie bei Fritz Lang, ins Geschehen ein. Durch die Unruhe in der Stadt sieht sie ihre dunklen Geschäfte gefährdet. Das führt dazu, dass Politik, Polizei und Verbrechersyndikat an einem Strang ziehen. Alle haben unterschiedliche Interessen, aber ein Ziel: Der Mörder soll gefasst, der Status Quo wiederhergestellt werden.
Dass gerade das Thema Flüchtlinge so im Vordergrund steht, ist natürlich kein Zufall. Die Serie "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" will ein klares Statement zur aktuellen politischen Situation in Österreich setzen. Das lässt sich, mit Abstrichen, auch auf Deutschland übertragen. "Wir erzählen schon ein Schauermärchen, aber die westliche Gesellschaft ist auch tatsächlich kälter geworden", sagte Regisseur David Schalko in einem Interview mit der Fernsehzeitschrift "TV Today" zum Serienstart.
Regisseur und Drehbuchautorin wollen Stellung beziehen
Es gebe einen "Verrohungsprozess, der mit einer gewissen Form von Depression" zu tun habe: "Die Politik in Europa bewegt sich insgesamt immer weiter weg vom demokratischen bürgerlichen Konsens." Man müsse sehr darauf achten, "dass der bürgerliche Gegenentwurf überhaupt noch sichtbar" bleibe, so der Regisseur. Die Serie also auch als Zeichen eines künstlerischen Protests gegen die von Schalko und Romen diagnostizierte "Verrohung"? "Wir sind hier, wir sind wachsam", sagt die Serien-Autorin in dem Interview: "Das zu zeigen, ist wichtig".
Schade nur, dass sich die sechs Teile der Serie zu sehr in zu vielen Nebensträngen verlieren, zu viele obskure Filmfiguren in die Handlung integriert sind. Das geht auf Kosten der Spannung und auch der psychologischen Einfühlung. Auch die Schauplätze wirken zu stilisiert. Obwohl man auf Straßen und Plätzen in Wien gedreht hat, wirkt das ganze wie eine künstlerische Theaterkulisse.
Der Willen zur Kunst erdrückt psychologische Glaubwürdigkeit
Was allerdings durchaus Absicht war: "Die ganze Anmutung ist hyperrealistisch, leicht entrückt", sagt Schalko. Man habe zwar an Originalschauplätzen gedreht, sich gleichzeitig aber bemüht, "dass es so aussieht, als wäre es ein Studio." Ob das Konzept aufgegangen ist, wird sich zeigen. Die Reaktionen nach der Berlinale-Uraufführung waren gemischt. "'M - Eine Stadt sucht einen Mörder' gefällt sich allem Anschein nach darin, ein gesellschaftskritisches Zeitdokument zu sein, ein Kommentar zu (Rechts-)Populismus und der Verkommenheit der Eliten, Dringlichkeits-Fernsehen", urteilte David Denk von der "Süddeutschen Zeitung" und stellte die Frage: "Oder ist hier in Wahrheit eine Satire entstanden? Man weiß es nicht - und genau das ist das Problem."
"Hätten Elfriede Jelinek und Thomas Bernhard je zusammen eine Fernsehserie drehen wollen, sie hätte ähnlich ausfallen können", konstatierte Ursula Scheer von der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und kommt zu dem Fazit: "Schalko gelingt ein von seinem Ensemble getragenes, von dem Willen zum Gegenwartskommentar und einem ausgeprägten Formwillen bestimmtes Zeitstück. Eine Unterhaltungsserie ist das gewiss nicht. Ob sie die Zeit überdauert, wird sich zeigen."
"M - Eine Stadt sucht einen Mörder" feierte Premiere bei der Berlinale und lief anschließend im österreichischen Fernsehen - mit stark nachlassendem Zuschauerinteresse. Bei "TV NOW" ist es ab sofort abrufbar. Die DVD bzw. Blu-Ray erschienen am 1. März 2019 beim Anbieter "Universum Film".