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"Neue Dimension der Entwicklungszusammenarbeit"

Interview: Adrian Kriesch12. August 2016

Entwicklungsminister Gerd Müller hat eine fünftägige Afrikareise beendet. Im DW-Interview spricht er über seine Gespräche mit Flüchtlingen im Niger und über seine ambitionierte Idee: einen Marshallplan für Afrika.

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Entwicklungsminister Müller in Ruanda.
Bundesentwicklungsminister Müller bei seiner Afrika-Reise.Bild: picture-alliance/dpa/Phototek/U. Grabowsky

DW: Herr Minister, Sie waren in Agadez im Niger und haben dort mit Migranten geredet, die ihnen ihre Situation geschildert haben. Sie haben sicher auch wahrgenommen, wie die Stadt von der Migration in Richtung Europa lebt. Glauben Sie, dass es für die nigrische Regierung überhaupt Sinn macht, die Migration zu unterbinden?

Gerd Müller: Die Frauen haben sich beklagt, dass es keinen Tourismus mehr gibt. Dadurch ist die Hotellerie, das Transportwesen, aber auch der Verkauf von Kunstgegenständen und Souvenirs faktisch zusammengebrochen. Das ist ein großes Problem, denn die Stadt hat jahrzehntelang ganz wesentlich davon gelebt. Dahin wollen die Menschen wieder zurück. Sie wollen nicht zum Flüchtlingszentrum Afrikas werden.

Haben Sie den Eindruck gewonnen, dass die nigrische Regierung es ernst damit meint, diese Transitrouten zu schließen oder zumindest die Migration einzudämmen?

Ohne Zweifel. Es muss deutlich gesagt werden: aus dem Niger wollen fast keine Menschen fliehen. Es sind eher die Menschen aus den Spannungsgebieten um den Niger herum. Die Bevölkerung hier sucht nach Perspektiven, um Zuhause bleiben zu können: Arbeit und Zukunft. Um das geht es ja eigentlich auch in den anderen Staaten. Voraussetzung dafür sind Stabilität, Frieden und Investitionen in Entwicklung und Zukunft. Insbesondere in die Zukunft der jungen Generation.

Sie sagen immer wieder wie wichtig es ist, die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern. Dabei haben sie auch von einem möglichen Marshallplan für Afrika gesprochen. Ist es realistisch, dass ein solcher Plan überhaupt an das Volumen und an das Ergebnis des historischen Vorbildes anknüpfen kann?

Afrika ist 100 Mal so groß wie Deutschland. Um diese Dimension zu verstehen, benutze ich den Begriff des Marshallplans. Die internationale Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika muss in ganz neuen Dimensionen konzipiert werden. Afrika hat viele Seiten, aber eine ganz spannende ist, dass dies ein unglaublich dynamischer Kontinent ist, mit der jüngsten Bevölkerung, die wir weltweit haben. Und mit der am schnellsten wachsenden Bevölkerung. Nun sehe ich all die Chancen die darin stecken. Afrika hat heute zum Beispiel schon den am schnellsten wachsenden IKT-Markt. Die jungen Leute brauchen auch alle Schulen, berufliche Bildung, Jobs, Infrastruktur. Alles, was wir in Europa in den letzten dreißig Jahren entwickelt haben. Das wird eine ungeheure Dynamik auslösen, die wir mitgestalten können.

Die Sonne wird in wenigen Jahren das Öl als Energiequelle ablösen. Wir forschen beispielsweise in Marokko an der Weiterentwicklung der Speichertechnologie. Sobald es gelingt Sonnenenergie zu speichern, ist Afrika der Kontinent, der die Welt mit Energie beliefern wird. Dadurch hat Afrika natürlich auch die Chance, Einnahmen zu generieren, die Infrastruktur auszubauen und in Entwicklung zu investieren.

Marshallplan klingt nach einem von außen aufgedrückten Modell, für einen gesamten Kontinent in diesem Fall.

Mit Marshallplan meine ich, dass wir über die Projektzusammenarbeit der vergangenen Jahrzehnte hinaus kommen und einen neuen globalen Ansatz entwickeln. Der hat drei Komponenten. Das ist die neue Partnerschaft „fairer Handel“ im Ressourcenaustausch und der Aufbau von eigenen Wertschöpfungsketten auf dem Kontinent. Keine Ausbeutung, sondern Partnerschaft und Wertschöpfung. Das Zweite hängt mit Investitionen zusammen. Es gibt 400.000 deutsche Firmen, die im Ausland engagiert sind. Aber davon sind nur 1000 auf dem afrikanischen Kontinent präsent. Die müssen wir wachrütteln. Denn hier liegen die Chancen der Zukunft. Und das Dritte ist eben die Weiterentwicklung der Entwicklungspolitik. Auch hier brauchen wir Ansätze in neuen Dimensionen.

Gerd Müller (CSU) ist Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Das Interview führte Adrian Kriesch