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Männliche Verhütung: Wärme kann Schwangerschaft verhindern

4. November 2024

Es gibt neue Möglichkeiten für Männer, ihre Fruchtbarkeit zu kontrollieren. Bei vielen aussichtsreichen Produkten ist Geld aber Mangelware, etwa für zeitintensive und kostspielige klinische Tests.

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Verhütung für Männer | Silikonring
Der Andro-Switch Ring nutzt die Körperwärme, um die Spermaproduktion zu stoppen, indem die Hoden durch den Ring nahe am Körper anliegenBild: AFP

Eine Gruppe Neugieriger versammelt sich um Maxime Labrit in Paris. Bei einer Veranstaltung über reproduktive Rechte legt er bunte Silikonringe aus. Was auf den ersten Blick amüsant aussieht, hat einen tieferen Sinn. Labrit, ein ausgebildeter Krankenpfleger, hat sich vorgenommen, die männliche Empfängnisverhütung zu revolutionieren. Das Potenzial ist enorm.

Auf unserem Planeten leben mehr als zwei Milliarden Männer* im fortpflanzungsfähigen Alter. Jede zweite Schwangerschaft ist ungewollt. Die Last liegt oft bei den Frauen, während Männer nur wenige Möglichkeiten haben, ihre Fruchtbarkeit zu kontrollieren.

Aber hier ist die gute Nachricht: Es gibt viele Lösungen, und einige kann man sogar schon heute kaufen. Der Haken: Es dauert seine Zeit, bis diese Methoden als sicher zertifiziert sind. Aber selbst für diejenigen, die skeptisch sind, gibt es etwas Vielversprechendes in der Pipeline.

Wie groß ist das Interesse?

Immer mehr Männer sind daran interessiert, ihre Fruchtbarkeit selbst in die Hand zu nehmen. Weltweite Studien, die von Organisationen wie der Gates Foundation oder den Vereinten Nationen unterstützt werden, zeigen ein wachsendes Interesse an neuen männlichen Verhütungsmitteln.

Was gibt es außer Kondomen und Vasektomie?

Nach Angaben der Male Contraceptive Initiative (MCI) arbeiten Wissenschaftler an mehr als 100 Innovationen. Einige Methoden verhindern, dass sich Spermien entwickeln. Bei anderen geht es darum, die Spermien am Schwimmen zu hindern, so dass sie die Eizelle nicht erreichen können. Wieder andere blockieren Spermien. Einige Techniken könnten verhindern, dass Spermien Eizellen befruchten.

Bislang sind die Bemühungen, neue Verhütungsmethoden für Männer zu entwickeln, immer wieder gescheitert. Mittlerweile gibt es aber ein Hormonpräparat, das weiter fortgeschritten ist als alle anderen. Das NES/T-Gel, das man auf die Schulter aufträgt, ist in klinischen Studien bisher am weitesten fortgeschritten und hat die Nase vorn.

Zu den vielversprechendsten Produkten gehören auch das Gel von Contraline, das den Samenleiter blockiert, und die nicht-hormonelle Tagespille von YourChoice. Diese Produkte werden derzeit am Menschen getestet, wären aber erst in fünf bis zehn Jahren auf dem Markt erhältlich.

Verhütung für Männer | Mann zieht Kondom aus seiner Jeans, während er mit der anderen Hand den Reißverschluss beginnt zu öffnen (Nahaufnahme)
Neben Kondomen: Mit welchen Produkten können Männer die Fruchtbarkeit in die eigene Hand nehmen?Bild: Yelizaveta Tomashevska/Zoonar/picture alliance

Eine Reihe von Produkten, die es jetzt zu kaufen gibt, verfolgen einen besonderen Ansatz: Wärme. "Sie müssen nicht warten. Sie können sofort mit Wärme verhüten", sagt Labrit, der die Silikonringe aus persönlicher Frustration heraus erfunden hat. Nachdem er sich in eine Französin verliebt hatte, forderte sie ihn auf, die Verantwortung für sein Sperma zu übernehmen. Gemeinsam mit seinen Eltern entwickelte er in deren Garage den Prototyp des Andro-Switch-Rings.

Neuer Ansatz: Thermische Verhütung

Das Prinzip erscheint fast zu einfach: Die Spermienproduktion ist temperaturabhängig. Der Ring hebt die Hoden nahe am Körper an, so dass sie die natürliche Wärme des Körpers aufnehmen können. Eine Erhöhung der Temperatur um ein paar Grad kann zu einer vorübergehenden Unfruchtbarkeit führen.

Während Labrit in einem Segelboot durch Europa reist, um seine Mission zu verbreiten, tauchen ähnliche Produkte an anderen Orten auf. In Frankreich wird Thermo-Unterwäsche verkauft, die mit einem Wärmepflaster ausgestattet ist. Die Hoden werden von einer Wärmeschicht umhüllt, wodurch die Spermienproduktion gestört wird.

Wie weiß man, dass es funktioniert?

Eine wichtige Methode zur Überwachung der Fruchtbarkeit ist ein Spermiogramm (Samenanalyse), mit dem die Spermienqualität beurteilt wird. Aus diesem Grund hat Dr. Rolf Tobisch, ein deutscher Forscher an der Technischen Hochschule Mittelhessen, einen Heim-Spermatest entwickelt - ein Gerät, mit dem Nutzer ihre Fruchtbarkeit bequem von zu Hause aus testen können.

Dieses Produkt auf den Markt zu bringen, ist für Tobisch jedoch eine Herausforderung. Medizinische Zertifizierungen sind zeitaufwendig und teuer, und die großen Pharmakonzerne sind nicht bereit zu investieren.

Er hat auch ein thermisches Verhütungsgerät entwickelt, mit dem die Hoden nur einmal im Monat 10 Minuten lang erhitzt werden müssen. Damit, so Tobisch, würden Männer vorübergehend unfruchtbar. Trotz des Potenzials hat er aber Schwierigkeiten, ausreichende Finanzmittel zu erhalten.

Das Problem ist die medizinische Zulassung

"Ich habe so oft daran gedacht, aufzugeben", sagte Tobisch der DW, der sich sicher ist, dass seine Erfindung funktioniert. Investoren erwarten in der Regel eine Rendite innerhalb eines Jahres, aber eine medizinische Zulassung kann mehrere Jahre dauern und erfordert umfangreiche Laborforschung, klinische Studien und die Genehmigung der Gesundheitsbehörden.

Als letzten Ausweg vermarkten viele Erfinder ihre Produkte anders - als Sex- oder Wellness-Spielzeug. Die Thermounterwäsche wird als Komfortartikel vermarktet, und der Silikonring von Labrit wird auf der Website Thoreme.com als "dekoratives Objekt direkt vom Uranus" verkauft.

Bei Tests am Menschen muss für jedes Produkt einzeln beurteilt werden, ob es sicher ist. Aber seit Jahrzehnten gibt es Forschungsergebnisse, die zeigen, dass dies der Fall sein kann. So wurde beispielsweise in drei verschiedenen Studien untersucht, ob die Erhöhung der Hodentemperatur um 1 bis 2 Grad Celsius (33 bis 35 Grad Fahrenheit) für mindestens 15 Stunden pro Tag die Spermienproduktion beeinflusst. Die Paare nutzten die thermische Verhütung als einzige Möglichkeit der Geburtenkontrolle. Bei insgesamt mehr als 500 Menstruationszyklen kam es zu keiner einzigen Schwangerschaft.

Deutschland Berlin | Logo des Chemie- und Pharmakonzerns Bayer am Berliner Werk
Bayer, eines der führenden Unternehmen der Branche, hat die Forschung nach männlichen Verhütungsmitteln eingestellt Bild: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Halten große Pharmakonzerne Produkte zurück?

In der Branche kursiert der Witz, dass es bei der männlichen Empfängnisverhütung in den letzten 50 Jahren immer hieß, sie sei nur zehn Jahre entfernt. Laut Logan Nickels, leitender Forscher bei der Male Contraceptive Initiative (MCI), ist für die Markteinführung von Produkten die Unterstützung großer Pharmaunternehmen erforderlich. Doch anstatt selbst die Initiative zu ergreifen, überlassen die Pharmariesen den Start-ups das Risiko.

Der letzte große Vorstoß liegt über ein Jahrzehnt zurück. Der deutsche Pharmariese Bayer testete damals ein männliches Verhütungsmittel am Menschen, dem man attestierte, "wirksam" zu sein - und zwar "mit tolerierbaren Nebenwirkungen".

Trotz dieses Erfolges stellte Bayer die Forschung im Bereich der männlichen Fruchbarkeitskontrolle ein. In einer Erklärung gegenüber der DW erklärte Bayer, man bezweifle, dass das Produkt ein kommerzieller Erfolg werden würde. Abbvie und Pfizer erklärten, sie seien nicht im Geschäft mit männlichen Verhütungsmitteln aktiv und äußerten sich nicht zu Plänen, in diesen Bereich zu investieren. Andere Unternehmen, die die DW kontaktierte - wie Johnson & Johnson oder Teva - hatten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht auf die Bitte um eine Stellungnahme geantwortet.

"Das Problem sind nicht die Männer, sondern die eingefahrenen Systeme, die sich dem technischen und sozialen Fortschritt widersetzen", sagt Franka Frei. Die deutsche Journalistin und Autorin hat ein Buch geschrieben, in dem sie darstellt, wie eine von Männern dominierte Forschung und eine profitorientierte Gesundheitsindustrie die Notwendigkeit für eine geschlechtergerechte Geburtenkontrolle ignoriert.

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Wie geht es weiter auf dem Markt für Verhütungsmittel?

Das weltweit steigende Interesse von Männern signalisiert, dass sich ein Wandel ankündigt, und ein Produkt nach dem anderen verfügbar sein wird.

Es geht aber nicht nur um die Verfügbarkeit, sondern auch um die Akzeptanz. "Es braucht nur ein Produkt, um den Weg zu ebnen", sagt Nickels vom MCI und verweist auf den möglichen Dominoeffekt. Er ist der Meinung, dass sich Männer mit Gleichgesinnten ihres Vertrauens austauschen sollten, um herauszufinden, ob diese neuen Produkte für sie geeignet sind.

Weil der weltweite Markt für Verhütung bis 2030 voraussichtlich 40 Milliarden Euro (44 Milliarden US-Dollar) groß sein wird, investieren mehrere Länder in diese Zukunft. Die Finanzierung wird vor allem von gemeinnützigen Organisationen und akademischen Einrichtungen vorangetrieben, besonders in den USA, aber auch in Indien, Brasilien und Australien.

Auf der jüngsten Veranstaltung zum Thema Verhütungsrechte in Paris äußerten sich die Teilnehmer optimistisch: Männliche Verhütung sei eine Form von Selbstermächtigung. Es gehe nicht nur um sexuelle oder finanzielle Freiheit - es gehe darum, Milliarden von Menschen die Möglichkeit zu geben, ihr Leben und ihre Familienplanung selbst zu bestimmen.

*Menschen mit männlicher reproduktiver Anatomie 

 

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert

DW Akademie | Volontariat Jahrgang 2024 - 2025 | Aline Spantig
Aline Spantig Multimedia-Journalistin mit Fokus auf Gesundheit, Menschenrechte und globale Themen.