Lösen Mikroorganismen unser Plastikmüll-Problem?
27. April 2020Rund 100.000 unterschiedliche Mikroorganismen haben Forscher der University of Portsmouth untersucht, fündig wurden sie schließlich in einem Laubhaufen. Das jetzt im Fachmagazin "Nature"vorgestellte mutierte Bakterien-Enzym zerlegt Polyethylenterephthalat (PET) innerhalb von wenigen Stunden in seine Bestandteile. Nach zehn Stunden hatte das mutierte Enzym eine Tonne alte Plastikflaschen zu 90 Prozent in seine Bestandteile zersetzt.
Lösung für das globale Müllproblem?
Die Hoffnungen sind groß, dass Mikroorganismen in naher Zukunft unser Plastikproblem lösen können. Denn bislang ist ein effektives Kunststoff-Recycling nur ein Mythos. Weltweit werden jährlich rund 359 Millionen Tonnen Kunststoffe produziert, von denen geschätzt 150-200 Millionen Tonnen auf Deponien oder in der Umwelt landen.
Mit fast 70 Millionen Tonnen ist Polyethylenterephthalat (PET) der am weitesten verbreitete Polyesterkunststoff. In seiner reinsten Form wird PET in der Lebensmittelindustrie verwendet, etwa für die Herstellung von Trinkflaschen, Folien und Lebensmittelverpackungen. Außerdem werden aus dem reißfesten, witterungsbeständigen und knitterfreien Polyester Textilfasern hergestellt.
Allerdings lässt sich PET nicht wirklich recyclen, sondern nur downcyclen. Bei dem thermomechanischen Prozess verliert das Material viele seine Eigenschaften und es lässt sich nur noch für minderwertigen Produkte wie Vliese oder Teppiche verwenden.
Japanische Forschungsergebnisse konsequent weiterverfolgt
Dass bestimmte Enzyme Kunststoffe abbauen können, haben japanische Forscher vom Kyoto Institut of Technology 2016 entdeckt. Bei der Untersuchung der Abwässer, Sedimente und Aktivschlämme in einer Recycling-Anlage für PET-Flaschen hatten sie das Bakterium Ideonella sakaisensis 201-F6 entdeckt.
Zwei bis dato unbekannte Enzyme des Bakteriums sind für den natürlichen Zersetzungsprozess verantwortlich. Das Enzym ISF6_4831 wandelt PET in ein Zwischenprodukt um und das andere Enzym ISF6_0224 baut dieses Zwischenprodukt weiter um, so dass am Ende nur die unschädliche Terephthalsäure und Glykol übrig bleiben.
Da dieser natürliche Zersetzungsprozess allerdings länger als ein Jahr dauert, forschten Wissenschaftler von der Universität Portsmouth und vom Labor für erneuerbare Energien des US-Energieministeriums weiter und erschufen dabei eher zufällig ein neuartiges Enzym, das PET deutlich schneller zersetzt. Veröffentlich wurden die Ergebnisse 2018 im Fachmagazin "Proceedings of the American Academy of Sciences" (PNAS).
Deutsche entdecken Polyurethan zersetzendes Bakterium
Schon länger ist bekannt, dass bestimmte Pilze nicht nur PET, sondern auch Polyurethan (PU) zersetzen können. Auch von diesem Kunststoff werden jährlich Millionen Tonnen produziert, der meistens als Weichschaum verwendet wird. Die Industrie verarbeitet ihn zum Beispiel zu Schaumstoff-Isolierungen oder Küchenschwämmen. PU kommt auch in Windeln oder als Hartschaum z.B. in Sportschuhen vor. Meistens wird Polyurethan auf Deponien entsorgt oder kommt in die Müllverbrennung, weil das Material zu zäh für eine Wiederverwertung ist.
Beim Abbau von Polyurethan können giftige und krebserregende Chemikalien freigesetzt werden, die auch die meisten Bakterien abtöten würden. Aber dem auf einer Mülldeponie gefundenen und im März vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig vorgestellten Bakteriummacht dies nichts aus. Es stammt vom Stamm der Pseudomonas-Bakterien, die auch unter rauen Bedingungen wie hohen Temperaturen und sauren Umgebungen überlebensfähig sind.
Zwar lassen sich Bakterien viel leichter als Pilze für die industrielle Nutzung nutzbar machen, aber nach Einschätzung von Hermann Heipieper vom Helmholtz-Forschungsteam könne es trotzdem noch zehn Jahre dauern, bis das Bakterium in großem Maßstab eingesetzt werden kann. In der Zwischenzeit sei es wichtig, den Einsatz von schwer wiederverwertbarem Kunststoff zu reduzieren und den Kunststoffanteil in der Umwelt zu verringern, so Heipieper.
Profitable Aussichten
Von dem neu vorgestellten Enzym könnte nicht nur die Umwelt, sondern auch das französische Unternehmen Carbios sehr profitieren, das sich seit Jahren intensiv und im großen Maßstab mit der Zersetzung von PET mittels Enzymen beschäftigt und das auch diese Enzym-Entwicklung finanziert hat.
Innerhalb von fünf Jahren will Carbios das neue Recycling-Verfahren im industriellen Maßstab auf den Markt bringen. Das könnte sich lohnen, denn die Kosten für das Enzym belaufen sich auf nur vier Prozent der Ausgaben für das notwendige Rohöl, um eine vergleichbare Menge neuer Plastikflaschen zu produzieren.
Zwar müssen die PET-Flaschen noch zerkleinert und erhitzt werden, aber das neue Verfahren sei trotzdem profitabel, so der stellvertretenden Carbios-Geschäftsführer Martin Stephan. Damit die Enzym-Entwicklung schnell Fahrt aufnimmt, bekommt Carbios finanzkräftige Unterstützung von Großkonzernen wie Pepsi und L'Oréal.