Löning: "Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit Chinas"
26. August 2013DW: Herr Löning, es scheint, in China leben nicht nur Regierungskritiker selbst gefährlich, sondern auch deren Angehörige. Ein Gericht in Peking hat jetzt die Berufung von Liu Hui abgelehnt. Liu Hui ist der Schwager des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo. Der war bereits Ende 2009 zu elf Jahren Haft verurteilt worden – wegen angeblicher "Untergrabung der Staatsgewalt". Liu Hui wiederum war im Juni ebenfalls zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Wegen angeblichen Betrugs. Wie schätzen Sie die Entscheidung des Pekinger Gerichts ein?
Markus Löning: Das wirft erneut große Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in China auf. Es verfestigt sich der Eindruck, dass jetzt auch über die Familien Druck ausgeübt werden soll auf politisch unliebsame Leute. Das scheint ein Fall von politischer Sippenhaft zu sein, der dort stattfindet. Ich denke, dass er auf jeden Fall freigelassen werden sollte. Aber das gilt genauso für Liu Xiaobo und vor allem auch für den Hausarrest für Liu Xia, der Frau von Liu Xiaobo. Es ist aus meiner Sicht ein klarer politischer Fall.
Kennen Sie noch mehr Beispiele, wo durch Schikanierung von Familienangehörigen Druck auf Andersdenkende ausgeübt wird?
Wir hatten ja gerade erst vor ein paar Wochen den Fall des Bruders und des Neffen von Chen Guangcheng, dem blinden Menschenrechtsaktivisten, der letztes Jahr in die USA ausgereist ist. Da sehen wir ähnliche Strukturen. Es entsetzt mich, dass die chinesische Führung, die chinesische Regierung hier darauf setzt, die Familienangehörige von Leuten unter Druck zu setzen, die sich an der politischen Debatte beteiligen und sich dabei missliebig äußern.
Könnte man sagen, dass Druck auf Familienangehörige in China eine gängige Methode ist, um Kritiker gefügig zu machen?
Ich würde sagen, dass es auf jeden Fall eine völlig inakzeptable Methode ist. Ich kenne diese beiden Fälle. Ich weiß nicht, ob es noch mehr Fälle gibt. Aber wenn das jetzt an diesen beiden Fällen exerziert wird und in diesen beiden Fällen so ein Druck aufgebaut wird, gehe ich davon aus, dass das auch in anderen Fällen so gemacht wird.
Es gibt ja in China Leute, die sich für mehr Rechtsstaatlichkeit einsetzen. Es gibt eine Bewegung, die der Verfassung des Landes zu mehr Recht verhelfen will. Kürzlich wurde allerdings der prominenteste Vertreter dieser Bewegung, Xu Zhiyong, ebenfalls verhaftet. Er hat im Grunde lediglich verlangt, dass sich die Behörden an Chinas Gesetze halten sollen. Sehen Sie eine Möglichkeit, solche Menschen vom Ausland aus zu unterstützen?
Ich habe Xu Zhiyong persönlich unterstützt. Ich habe die chinesische Führung aufgefordert, ihn freizulassen. Denn er hat im Grunde genommen nur das gefordert, was ja selbst Staats- und Parteichef Xi Jinping gefordert hat: Dass Recht und Gesetz gelten, dass die Verfassung zur Geltung kommt. Wir haben auch an anderer Stelle gesehen, dass Leute von dieser neuen Bürgerbewegung verhaftet worden sind, weil sie die Offenlegung der Vermögen der Mitglieder des Politbüros verlangt haben. Die Regierung reagiert hier unverhältnismäßig hart, gerade gegenüber Leuten, die nichts anderes fordern als eine Selbstverständlichkeit: Nämlich dass die Verfassung und die geltenden Gesetze eingehalten werden.
Markus Löning (FDP) ist seit 2010 Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe. Löning war mehrfach in China.