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Löffler: "Niemand schreibt so wie er"

Aya Bach16. April 2015

Günter Grass hat Deutschland mit seinen Erzählungen von der Nazizeit über die Nachkriegszeit bis zur Wende und darüber hinaus begleitet und kritisch reflektiert, sagt die Literaturkritikerin Sigrid Löffler.

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Deutschland Sigrid Löffler Literaturkritikerin
Bild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

Sigrid Löffler war Mitglied der Fernsehsendung "Das Literarische Quartett". Seit 1994 ist sie freischaffende Publizistin und Kritikerin für deutsche, schweizerische und österreichische Zeitungen, sie lebt in Berlin.

Deutsche Welle: Frau Löffler, gibt es für Sie eigentlich ein Herzens-Buch von Günter Grass?

Sigrid Löffler: Ja, natürlich, einerseits der Geniestreich seines Debüt-Romans "Die Blechtrommel", das ist natürlich nach wie vor ein fulminantes Debüt gewesen und ein Buch, das bleiben wird. Es gehört zum Kanon der Literatur des 20. Jahrhunderts. Aber mein Lieblingsbuch ist "Das Treffen in Telgte". Das ist ein Buch, das wirklich ein Meisterwerk ist, formal und sprachlich. Es ist der Versuch, die Gruppe 47 (Zusammenschluss von Schriftstellern der Nachkriegszeit, Anm. d. Red.) zurückzuspiegeln ins 17. Jahrhundert, in die Barockzeit. Die Barockliteratur - der Barockroman - war sprachlich seine Heimat. Er hatte eine große Vorliebe für den "Simplicissimus", ein Werk von Grimmelshausen, der in gewisser Weise auch die Vorlage war für die "Blechtrommel": So wie der "Simplicissimus" durch die Welt des 30-jährigen Kriegs getaumelt ist und in durchaus anarchischer Weise das erlebt hat, so ähnlich geht es auch Oskar Matzerath in die "Blechtrommel", der den Zweiten Weltkrieg oder die Nazizeit generell aus der Zwergenperspektive anschaut - also anarchisch von unten, sehr subversiv. Diesen Barock-Duktus und diesem barocken Sprachraum ist Günter Grass sein Leben lang treu geblieben und zur Vollendung gebracht hat er es im "Treffen in Telgte".

Viele sagen auch, Günter Grass hätte "gespreizt geschrieben", man kann es auch barock nennen. Was ist denn das Spezifische an seiner Fabulier- und Formulierungskunst?

Es ist seine altfränkische Art zu schreiben, man kann durchaus sagen "gespreizt", es ist sein Markenzeichen, unverkennbar. Sie brauchen nur irgendeine Seite aufzuschlagen: Sie wissen sofort, das ist Günter Grass. Niemand schreibt so wie er. Er liebt das Barocke, er liebt auch die sprachlichen Antiquitäten, die er immer wieder einbaut in seinen Romanen. Er liebt das Burleske, er liebt auch das Holzschnitthafte der barocken Sprache. Aber er liebt natürlich auch die große Sinnlichkeit und das ist eigentlich auch seine Besonderheit, seine sprachliche Einmaligkeit. Ich kenne keinen deutschen Schriftsteller, der sich so auf die Barockzeit bezogen hat, wie es Günter Grass gemacht hat.

Günter Grass war auch Lyriker. Wird diese barocke Lust an der Formulierung in seinen Gedichten besonders deutlich?

Die Lyrik war sozusagen die Vorstufe: Er hat als Lyriker begonnen und sich dann doch als großer Erzähler gefunden. Das war die Form, die ihm am gemäßesten war. Und an seinen Romanen ist das Bedeutsame, dass er die deutsche Zeitgeschichte mehr als sechs Jahrzehnte lang mit seinen Romanen und Erzählungen begleitet, aber auch kritisch widergespiegelt hat. Er hat von der Nazizeit über die Adenauerzeit, den Aufstieg der Sozialdemokratie unter Willy Brandt bis zur Wiedervereinigung von 1989 und darüber hinaus mit seinen großen Erzählungen die Entwicklung Deutschlands begleitet.

Die Wiedervereinigung hat er aufgegriffen in seinem Roman "Ein weites Feld". Der Roman ist sehr verrissen worden – ist er aus Ihrer Sicht dennoch ein wichtiger Roman zur Wiedervereinigung, wenn man mit dem Zeitabstand von heute darauf schaut?

Ich müsste den Roman noch mal lesen und schauen, ob er die 25 Jahre seither bestanden hat. Da bin ich nicht ganz sicher, ich hätte meine Zweifel. Aber immerhin war es der Versuch einer Gegenrede. Günter Grass war immer der Mann für den Gegendiskurs. Und in der allgemeinen Euphorie der Wiedervereinigung war er die eine Stimme, die Widerspruch erhoben hatte gegen die Wiedervereinigung, die ihm überhastet vorgekommen war. Er fand, das sei ein materieller und geistiger Ausverkauf der DDR gewesen. Niemand sonst hat das in dieser Weise literarisch so formuliert. Insofern würde ich sagen, dieser Roman hatte seine Berechtigung. Ob er haltbar geblieben ist, das kann ich nicht sagen. Aber das ist auch nicht das Entscheidende. Der literarische Eingriff war damals aktuell und wichtig, er war provokant und er war wohl notwendig.

Provoziert hat Günter Grass schon mit seinen frühen Romanen, auch da ist Grass gegen den Strom der jungen Bundesrepublik geschwommen. Sie haben vorhin "Die Blechtrommel" erwähnt, dazu kamen "Katz und Maus" und "Hundejahre". Welche Bedeutung wird diese "Danziger Trilogie" für die Literaturgeschichte haben?

Ich denke, die "Danziger Trilogie" ist ein Werk, das bestehen bleiben wird, nicht nur die "Blechtrommel", sondern auch "Katz und Maus" und die "Hundejahre", weil er darin das deutsche Kleinbürgertum in seiner Nazi-Anfälligkeit und seiner Nazi-Affinität von innen heraus beschrieben hat. Das ist eine Innenansicht, die auch ihn selbst und seine eigene Familie mit einbezieht. Er hat – entgegen dem, was in den Nachrufen über ihn gesagt wird - nie verhehlt, dass er als Junge erstens bei der Hitlerjugend war, dass er zur Flakhelfer-Generation gehörte, dass er fanatisch an den Endsieg geglaubt hat, und dass er früh auch erkannt hat, wie verblendet er war. So verblendet, wie das deutsche Kleinbürgertum zu dieser Zeit eben war. Aber er hat das in meinen Augen wieder gut gemacht, durch 60 Jahre eines aufrechten Demokraten. Und diese 60 Jahre müssen doch auch ins Gewicht fallen gegenüber diesem kleinen Jugendfehler. Dass er nicht vollständig aufgeklärt hat über seine Wochen oder Monate als 17-Jähriger bei der Waffen-SS, das sollte man ihm nicht ins Grab hinein immer noch nachrufen. Denn er hat es mehr als aufgewogen durch seine Unbeirrbarkeit, mit der er über Jahrzehnte hinweg die Demokratie hochgehalten und sich als aufrechter Demokrat erwiesen hat.

Das Interview führte Aya Bach.