Wie weit ist China technologisch?
3. Juli 2019Made in China 2025, abgekürzt MIC25 - so lautet der Titel der Industriestrategie, die vor vier Jahren in Peking vorgestellt wurde. Einer damals doch recht erstaunten Weltöffentlichkeit zeigen die Chinesen darin auf, wie sie in zehn Schlüsseltechnologien bis zum Jahr 2025 weltweit führende Unternehmen hervorbringen wollen. Bis 2049 soll China zur technologischen Supermacht aufgestiegen und die Wirtschaftsmacht Nummer eins in der Welt sein.
Inzwischen wird über MIC25 nicht mehr so oft gesprochen. Jedenfalls nicht in China, wo der Begriff in offiziellen Verlautbarungen so gut wie nicht mehr auftaucht. Wohl auch deswegen, weil die chinesischen Pläne im Rest der Welt nicht sonderlich gut ankamen. Regierungen, Wirtschaftsverbände, vor allem aber die ausländischen Unternehmen, die in China aktiv sind, reagierten irritiert. Hatte man China doch eher als Partner, denn als knallharten Konkurrenten eingeschätzt. "Wir haben das Thema lange Zeit mit einer bemerkenswerten Naivität betrachtet", urteilt Thomas Hueck, Chefvolkswirt beim Bosch-Konzern.
Den Weckruf gehört
MIC25 hat den Blick auf China verändert. Anfang des Jahres legte der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) eine Liste vor, in der er 55 Forderungen zum Wettbewerb mit China aufstellt. Kurze Zeit später präsentierte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier seine Industriestrategie, in der er eine wachsende Rolle des Staats propagiert und die Ansicht vertritt, die europäische Wirtschaft könne nur bestehen, wenn sich große Industrieunternehmen länderübergreifend zusammenschließen würden.
Oliver Wack vom Verband Deutscher Maschinen und Anlagenbau (VDMA) findet das überzogen. Deutsche mittelständische Unternehmen könnten durchaus selbstbewusst in den Wettbewerb mit China gehen, denn sie seien trotz der chinesischen Technologie-Offensive in vielen Bereichen führend und wollten das auch bleiben. "Unsere Leute sitzen ja nicht da und drehen Däumchen und warten darauf, dass man sie einholt", so Wack.
Unbeirrt, den Blick nach vorne
Doch genau das ist das Ziel von Made in China 2025 und auf dem Weg dahin ist die Volksrepublik bereits ein großes Stück vorangekommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine soeben vorgestellte Studie des Mercator Institute for China Studies (Merics). Die beiden Autoren Max Zenglein und Anna Holzmann haben festgestellt, dass China trotz vieler Rückschläge unbeirrt an seinen Zielen festhält. Immer wieder sei die Industriestrategie in den vergangenen Jahren vier Jahren weiter angepasst worden. Die Regierung habe Pilotprojekte ins Leben gerufen und massiv in Forschung und Entwicklung strategisch wichtiger Industrien investiert.
In der Studie "Evolving Made in China 2025: China‘s industrial policy in the quest for global tech leadership" listen die Autoren auf, dass die chinesische Regierung bis Ende 2018 bereits 445 Dokumente verabschiedet hat, in denen sie konkrete Maßnahmen und Instrumente der MIC25-Strategie definiert. Allein im vergangenen Jahr habe China aber allein umgerechnet rund 300 Milliarden US-Dollar in Forschung und Entwicklung investiert. Das sind fast 2,2 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts.
In zentralen Bereichen noch abhängig vom Ausland
Peking kündigte zudem bis Ende vergangenen Jahres knapp 4000 Pilotprojekte zu neuen Technologien an. Sogenannte Nationale Demonstrationsstädte und -zonen wurden eingerichtet, aus denen bereits Zentren für intelligente Fertigung hervorgegangen sind. Sieben der zehn wichtigsten Batteriehersteller für E-Fahrzeuge stammen inzwischen aus China. Telekom-Unternehmen wie ZTE und Huawei sind bereits führend im 5G-Netzwerkausbau.
Am Beispiel dieser beiden Unternehmen zeigt sich aber, wie abhängig China noch immer von nur im Ausland verfügbaren Technologien ist. Die von den USA verhängten Sanktionen versperren den Zugang beispielsweise zu Mikroprozessoren. Das ist nicht nur für die Unternehmen existenzbedrohend, sondern bremst auch die Innovationsoffensive der chinesischen Regierung.
Verhindern könnten die USA den Aufstieg Chinas mit ihren Sanktionen aber nicht, meint Studien-Autor Zenglein.
Knowhow ergattern - um jeden Preis
Nach wie vor verfolgt China mehrere Wege, um an die begehrten Zukunftstechnologien zu kommen: Sich in westliche Technologieunternehmen einzukaufen, wird schwieriger.Ausländische Fachkräfte gezielt mit Head-Huntern abzuwerben, nehme zu, genauso wie Cyberattacken, heißt es in der Merics-Studie. Zunehmend werden ausländische Unternehmen in China gedrängt, die hoch entwickelten Teile ihrer Produktion in die Volksrepublik zu verlagern. Auch hier mit dem Ziel, das Knowhow nach China zu holen und sich anzueignen.
Man könne China nicht verwehren, aufholen zu wollen, so Zenglein. "Aber man sollte nicht überall willentlich kooperieren." Das gelte nicht nur für ausländische Unternehmen in China, sondern auch in der Zusammenarbeit zwischen chinesischen und deutschen Forschungseinrichtungen.
Deutschland spielt eine Sonderrolle
Finanziell großzügige Angebote der chinesischen Seite hätten eine Reihe von technischen Universitäten sowie die großen deutschen Forschungsorganisationen zu "wichtigen und willigen Akteuren der Zusammenarbeit" gemacht, heißt es in der Studie. Es werde viel zu wenig über die Risiken eines solchen Engagements geredet, warnen die Autoren.
Kein anderes Land wird in Chinas Innovationsstrategie so explizit genannt wie Deutschland. Die Bundesrepublik stärke Chinas Innovationsoffensive zu bereitwillig, warnen Zenglein und Holzmann in ihrer Studie. Deutschlands wirtschaftliche Fundamente könnten hierdurch unmittelbar beschädigt werden. Chinas wichtigster Handelspartner in Europa handle noch immer, als seien die beiden Länder nur Partner und nicht auch Konkurrenten.
Von Japan und Südkorea lernen
Die Autoren raten dazu, strenge Kriterien für die Zusammenarbeit zu entwickeln, ungewünschten Technologietransfer durch Sicherungsvorkehrungen zu verhindern und auf europäischer Ebene den Informationsaustausch zwischen Unternehmen und Industrieverbänden sowie Regierungen zu fördern und ein gemeinsames Innovationssystem zu entwickeln. Als Vorbilder nennen Zenglein und Holzmann Japan, Südkorea und Taiwan, die sich bereits auf Chinas Industriestrategie eingestellt hätten und einen sehr viel restriktiveren Ansatz gegenüber chinesischen Investitionen und Forschungskooperationen verfolgen.