Luxleaks: "Legal ist nicht gerecht"
26. April 2016"Wir sind gekommen, um Enthüller Antoine Deltour zu unterstützen und für Steuergerechtigkeit zu demonstrieren", sagt Odile Delahye. Sie kommt wie rund hundert ihrer Mitstreiter aus dem französischen Epinal, der Heimatort Deltours.
Der Bus aus Frankreich rollt mit etwas Verspätung auf dem Hof des Luxemburger Gerichtsgebäudes ein. Aber das mindert nicht die Laune und Entschlossenheit seiner Unterstützer-Gruppe (im Bild oben): Für sie ist der frühere Mitarbeiter der Unternehmensberatung "Price Waterhouse Coopers" ein Held. Und deshalb haben sie für ihn im Internet das Geld gesammelt, um seine Vereidigung zu bezahlen.
Nicht multinationale Konzerne wie Ikea, Amazon, Fedex, Pepsi oder Disney stehen in Luxemburg vor Gericht. Ihnen war es mit Hilfe sogenannter Tax-Rulings gelungen, jahrelang die Masse ihrer Gewinne in Europa unversteuert einzukassieren. Hinter dem Begriff Tax-Ruling verstecken sich steuersparende Abkommen des Luxemburger Finanzamtes mit Großkonzernen.
Verrat von Geschäftsgeheimnissen
Statt der Konzerne müssen sich die Kritiker der Steuervermeidung nun vor Gericht verantworten. Zu ihnen gehört Antoine Deltour, der 28.000 Seiten Steuerakten zur Veröffentlichung weiter gegeben hat, sein Mitstreiter Raphael Halet und der Journalist Edouard Perrin. Die Anklage lautet auf Diebstahl, illegalen Zugriffs auf ein Computersystem und Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen sowie Beihilfe. Nach luxemburgischen Recht stehen darauf bis zu zehn Jahre Gefängnis.
Der Journalist Perrin hatte die Geschichte 2012 in einem Spezialprogramm als erster veröffentlicht – das Echo war zunächst allerdings gering. Erst als 2014 deutsche Zeitungen die Affäre aufgriffen und der neugewählte EU- Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker massiv unter Druck geriet, wurde daraus ein handfester Skandal.
Über Jahre war Juncker luxemburgischer Regierungschef und Finanzminister - er hatte die Praktiken geduldet, wenn nicht gefördert. Er schwor jedoch, es sei nichts Illegales daran gewesen und schrammte deshalb knapp an der Amtsenthebung vorbei.
Inzwischen versucht ein Untersuchungsausschuss im Europaparlament, die Affäre aufzuklären. Die EU-Finanzminister haben erste Änderungen beschlossen: So soll eine gegenseitige Offenlegungspflicht für Tax-Rulings es den Finanzämtern der anderen Mitgliedsländer ermöglichen, die Unternehmen ihrerseits in die Pflicht zu nehmen.
Eine politische Peinlichkeit
Das Verfahren vor der Strafkammer in Luxemburg beginnt nicht als Polit-Thriller, sondern ist von ausgesuchter juristischer Langweiligkeit. Stundenlang muss eine Zeugin von PWC darüber aussagen, wie gut die geheimen Steuerdossiers im Computersystem geschützt waren, ob der Angeklagte Deltour sie zufällig finden konnte oder gezielt danach suchen musste.
Verteidiger Philippe Penning ist nach dem ersten Prozesstag zufrieden: "Wir konnten zeigen, dass Deltour nicht gezielt nach den Steuerakten gesucht hat, das bedeutet einen Unterschied in der rechtlichen Bewertung." Er lobt auch das Gericht, das Klima sei ruhig und zurückhaltend. Zum politischen Teil des Verfahrens kommt man erst in ein paar Tagen, wenn die Angeklagten sich selbst zu ihren Handlungen äußern.
Während die Unterstützer vor dem Gerichtssaal fordern, Deltour und seine Mitangeklagten sollten ausgezeichnet und nicht verurteilt werden, hat der Whistleblower auch Kritiker. Sie werfen ihm vor, er habe dem Ruf des Großherzogtums geschadet.
Deltour ist allerdings im Gegensatz zu den weltberühmten Whistleblowern Assange und Snowden eher öffentlichkeitsscheu. Nach dem ersten Verhandlungstag verschwindet der Franzose durch einen Seitengang aus dem Gericht und meidet die wartende Presse.
Ehren statt verfolgen
Die Anwälte wollen sich zu den Erwartungen an das mögliche Strafmaß noch nicht äußern. Beobachter glauben, es könne am Ende auf eine für die Justiz gesichtswahrende Mindeststrafe hinauslaufen. Denn jedes derbe Urteil würde den politischen Imageschaden noch vergrößern. Als erstaunlich gilt darüber hinaus, dass die Unternehmensberater von PWC das Verfahren überhaupt angestrengt haben. War der Skandal für sie noch nicht peinlich genug?
Im Hof vor dem Gericht demonstrieren Mitglieder einer NGO-Plattform gegen Steuerparadiese: "Wir brauchen mehr Transparenz und neue Gesetze, damit sich solche Skandale nicht immer wiederholen", fordert Demonstrantin Louise Rehbinder. Und der Europaabgeordnete der Linksfraktion Fabio di Masi lobt: "Viele Menschen in Europa wissen, dass Antoine Deltour das Richtige getan hat, er sollte für seine Handlungen geehrt und nicht verfolgt werden. Aber die Gerechtigkeit wird siegen".
Di Masi wird, wie sein Kollege Sven Giegold von den Grünen, noch als Zeuge in diesem Prozess aussagen. Beide beschäftigen sich im Europaparlament mit der Aufarbeitung der Affäre. Sie verlangen einen besseren Schutz von Hinweisgebern: "Wer Informationen im öffentlichen Interesse verbreitet, muss geschützt werden", sagt di Masi.
Unterdessen hat das EU-Parlament eine neue Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen verabschiedet, die diesem Zweck direkt zuwider läuft. Denn danach können Firmen quasi jede Information zum Geschäftsgeheimnis erklären, und die Weitergabe unter Strafe stellen. "Es gab massiven Druck aus der Industrie, nur deshalb ist das Gesetz so verabschiedet worden", erklärt der Abgeordnete. Auf die Gerechtigkeit für Whistleblower wird Europa noch etwas warten müssen.