Lufthansa-Rettung: Tag der Entscheidung
25. Juni 2020Frage: Was ist eine Fluglinie, die nicht fliegt? Antwort: Teuer. Sehr, sehr teuer. Jede Stunde, in der Deutschlands größte Fluglinie ihren Passagierverkehr pandemiebedingt beinahe auf Null heruntergefahren hat, kostet das Unternehmen nach eigenen Angaben eine Million Euro. Das klingt nicht nur gigantisch, das ist akut lebensbedrohlich. Ohne Hilfe in Milliardenhöhe wird das Traditionsunternehmen nicht überleben - nach Einschätzung des Vorstands würde ohne den Einstieg des Staates Ende Juni das Geld ausgehen. "Ohne die Stabilisierungsmaßnahmen des Wirtschaftsstabilisierungsfonds wäre die Gesellschaft aller Voraussicht nach innerhalb weniger Tage zeitnah zur geplanten außerordentlichen Hauptversammlung zahlungsunfähig", heißt es in der Einladung zu dem Aktionärstreffen.
Diese Hilfe scheint nah: Nach zähen Verhandlungen hatten sich das Unternehmen und die Bundesregierung auf ein Hilfspaket in Höhe von neun Milliarden Euro geeinigt - Vorstand und Aufsichtsrat hatten zugestimmt. Fehlt noch das Votum der Aktionäre, die der Kapitalerhöhung mit Zweidrittelmehrheit zustimmen müssen. Das war eine Weile unsicher, doch mittlerweile scheint der Weg frei. Alles andere hätte das Unternehmen in noch schwerere Turbulenzen gebracht. Auch die EU-Kommission hat unmittelbar vor Beginn der Hauptversammlung ihre Genehmigung für das Rettungspaket mitgeteilt.
Es droht die Insolvenz
Die letzte Hürde vor Annahme des Rettungsplans soll an diesem Donnerstag aus dem Weg geräumt werden. Auf einer außerordentlichen Hauptversammlung sollen die Anteilseigner der Lufthansa dem Paket zustimmen. Doch mit der erst jüngst erfolgten Anteilsaufstockung des Großaktionärs Heinz Hermann Thiele, der seit einigen Tagen mehr als 15 Prozent der Anteile hält und ein ausgesprochener Gegner staatlicher Mitspracherechte ist, hatte sich die Möglichkeit, dass das Rettungspaket ausgehebelt wird, dramatisch erhöht.
Experten der Citibank hatten vor der Jahreshauptversammlung drei Szenarien entworfen. Dem ersten zufolge würden sich alle Aktionäre, unterstützt von Thiele, für das bereits ausgehandelte Neun-Milliarden-Euro-Rettungspaket aussprechen.
Im zweiten Szenario würden sich nicht genug Aktionäre für das Rettungspaket entscheiden. Eine mögliche Folge wäre, dass die Regierung anbieten könnte, auf ihr ursprünglich gefordertes Mitspracherecht bei der Geschäftsleitung zu verzichten.
Das dritte Szenario malt das völlige Scheitern des Rettungsplans aus. In diesem Fall, so die Citibank-Auguren, würden die Lufthansa-Aktien in den Keller rauschen und Thiele damit die Möglichkeit eröffnen, seine Unternehmensanteile noch einmal drastisch zu erhöhen. Er könnte dann - mit eigenen Milliarden - versuchen, das Überleben der Lufthansa zu sichern.
Nach längerem Zögern scheint nun Szenario Nummer Eins am wahrscheinlichsten, nachdem Großaktionär Thiele am Mittwochabend gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zugesichert hatte, er werde "für die Beschlussvorlage stimmen".
Die Sperrmionirität liegt beim Bremsenkönig
Großaktionär Thiele hatte zuvor beklagt, dass das Lufthansa-Management intensiver über die Bedingungen des Rettungspakets hätte verhandeln können. In einem Interview in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hat er den geplanten starken Staatseinfluss ebenso kritisiert wie die seiner Meinung nach kaum zu erfüllenden Bedingungen für einen Wiederausstieg.
Der Selfmade-Milliardär Thiele ist größter Aktionär der Lufthansa. Mit einem Anteil von 15,5 Prozent hätte er den Staatseinstieg im Alleingang verhindern können. Der Grund dafür liegt in der geringen Beteiligung von weniger als 38 Prozent der Stimmrechte an der im Internet stattfindenden Aktionärsversammlung, die Thiele an diesem Schicksalstag eine Sperrminorität verschafft.
Damit der Kranich ein Vogel bleibt
Mit rund 300 Millionen Euro ist die Aktienbeteiligung des Bundes nur ein kleiner Teil des Rettungspakets. Für die Aktionäre ist eine Ablehnung aber die einzige Möglichkeit, einen Wertverlust ihres Engagements zu vermeiden, würden ihre Anteile doch durch die neuen Aktien für den Bund verwässert. Sie sollen nämlich zum Vorzugspreis von 2,56 Euro ausgegeben werden, rund ein Viertel des aktuellen Börsenkurses.
Allen Aktionäre ist aber auch bewusst, dass ohne die Beteiligung des Bundes das gesamte Rettungspaket samt stiller Einlage und KfW-Kredit gestorben wäre. Fondsgesellschaften wie DWS und Union Investment wollen daher für die Kapitalmaßnahme stimmen, denn im Fall einer Pleite droht der Totalverlust. Auch die Deka-Nachhaltigkeitsexpertin Vanessa Golz erklärt: "Uns Aktionären bleibt nichts anders übrig, als der Kapitalerhöhung für den Einstieg des Staates zähneknirschend zuzustimmen. Ansonsten wäre der Kranich kein Vogel mehr."
Wer ist Heinz Hermann Thiele?
Der 1941 in Mainz geborene Heinz Hermann Thiele hatte 1969 nach seinem Jurastudium beim Münchner Mittelständler Knorr-Bremse als Sachbearbeiter in der Patentabteilung angefangen. Zehn Jahre darauf wurde er Vertriebschef, 1985 übernahm er die Firma. Der damalige Firmenerbe hatte alles verkaufen und sich der Religion widmen wollen, die Geschäfte liefen schlecht. Als sich kein Käufer fand, sicherte sich Thiele die angeschlagene Firma mit geliehenem Geld.
Aus dem Sanierungsfall Knorr-Bremse machte Thiele gegen den Rat von Wirtschaftsexperten einen Weltmarktführer für Zug- und Lkw-Bremsen mit mehr als sechs Milliarden Euro Umsatz. Mit 75 Jahren legte Thiele den Aufsichtsratsvorsitz nieder, mit 79 kehrt er jetzt wieder in das Gremium zurück.
Heinz Hermann Thiele gehört zu den reichsten Deutschen. Die Nachrichtenagentur Bloomberg taxiert das Vermögen des Selfmade-Milliardärs auf gut etwa 16 Milliarden Dollar.
"Steinzeitkapitalist" und Ehrenbürger
"Er ist der klassische Patriarch. Noch nie ist eine Entscheidung ohne ihn gefallen", heißt es aus Unternehmenskreisen. Seine Tochter Julia ist ebenfalls im Aufsichtsrat, die beiden halten über eine Holding etwa 65 Prozent der Aktien an dem M-Dax-Konzern. Als das Manager Magazin Thiele in seine Business Hall of Fame aufnahm und als "hervorragenden Unternehmer und Antreiber" würdigte, sagte er dem Magazin: "Ich bin Unternehmer und werde bis zum letzten Atemzug unternehmerisch tätig sein."
Als Knorr-Bremse 2017 ein kleines Werk in Berlin schloss, hatte ihn der IG-Metall-Bezirkschef als asozialen "Steinzeitkapitalisten" beschimpft, der aus bloßer Gier Arbeitsplätze vernichte. Einen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft hat der Konzern bis heute nicht. Auf der anderen Seite ist Thiele Ehrenbürger von Aldersbach in Niederbayern und Kecskemét in Ungarn, wo er neue Werke und Arbeitsplätze schuf.