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Film

Dokumentarfilm: Sexarbeit im Wohnmobil

14. März 2020

"Lovemobil" erzählt die Geschichte von Prostituierten, die in "Liebesmobilen" arbeiten. Im DW-Gespräch erzählt Regisseurin Elke Margarete Lehrenkrauss, was sie über die Welt der Sexarbeiterinnen erfahren hat.

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Film Lovemobil
Bild: Lovemobil Film 2020

Die deutsche Regisseurin Elke Margarete Lehrenkrauss hat einen spannenden Dokumentarfilm gedreht:  "Lovemobil" – über Prostituierte in Deutschland, die in "Liebesmobilen" arbeiten. So nennt man Wohnwagen oder Wohnmobile, in denen Sexarbeiterinnen am Rand von stark befahrenen Landstraßen auf Freier warten.

Milena kommt aus Bulgarien, sie ist 23 Jahre alt. Rita ist 24 und der Armut in Nigeria entflohen. Sie will eines Tages eine Familie gründen. Milena traut Männern längst nicht mehr, sie kann sich nicht vorstellen, eines Tages zu heiraten. Sie arbeitet, um ihrem kleinen Bruder in Bulgarien zu helfen.

Anfangs hatte die Regisseurin mehrere Prostituierte mit der Kamera begleitet und interviewt, Milena und Rita sind am Schluss in ihrem Dokumentarfilm als Protagonistinnen geblieben. Und Uschi, eine ehemalige Prostituierte, die jetzt die Wohnmobile  an die Frauen vermietet. "Lovemobil" wurde bereits auf mehreren Filmfestivals gefeiert und ist seit März 2020 in ausgewählten Kinos in Deutschland zu sehen.

DW: Wie kamen Sie auf die Idee, diese Geschichte zu erzählen?

Die "Liebesmobile" kenne ich noch aus meiner Kindheit. Damals war es noch so, dass dort nur deutsche Frauen gearbeitet haben. Das hat sich in den letzten 20, 30 Jahren extrem gewandelt. Heute arbeiten nur noch Frauen aus dem Ausland darin. Ich wollte darüber einen Film machen, denn wenn man in einem Auto sitzt und an den Liebesmobilen vorbeifährt, fragt man sich, wer darin sitzt und wie das überhaupt sein kann.

Ich fand es richtig und wichtig, darüber einen Film zu machen. Der ursprüngliche Gedanke war, eine filmische Geschichte herzustellen, nicht einfach nur eine Reportage zu drehen, sondern wirklich im Kino das Gefühl zu vermitteln, wie es sich anfühlt, an einer solchen Landstraße gestrandet zu sein.

Während des Drehs sind zwei Morde passiert. Die Frauen erzählen über Aggression und Angst. War es damals auch so gefährlich, als dort nur deutsche Frauen gearbeitet haben?

Es war schon immer gefährlich, aber ich habe es nicht in Erinnerung, dass es so gefährlich war. Die deutschen Frauen, die alle die Sprache sprachen und sich auch Hilfe suchen konnten, hatten halt auch nicht dieselbe ökonomische Not. Sie wurden von niemandem gezwungen, dort zu arbeiten.

Ist Integration die Lösung für die Probleme der Sexarbeiterinnen heute?

Absolut. Es ist ein Muss, dass die Frauen, sobald sie hier ankommen und in einer solchen Situation landen, über ihre Rechte aufgeklärt werden. Dass sie an die Sprache herangeführt werden, dass sie wissen, dass sie raus können, wenn sie es wollen. Natürlich spielt Sprache immer eine große Rolle. Ich glaube, dass eine Anlaufstelle da sein muss, von der sie wissen.

Frau lächelt in die Kamera, Schwarzweißbild
Regisseurin Elke Margarete LehrenkraussBild: Lovemobil Film 2020/Nina Nonnenmacher

Es war für mich eine Überraschung, dass auch Freier in dem Film zu sehen sind. 

Zum Schutz unserer Protagonistinnen haben wir nicht an dem Ort, wo sie eigentlich arbeiten, gedreht. Wir sind immer in ein anderes Wohnmobil "umgezogen". Die Freier hatten keine Probleme damit, vor der Kamera zu agieren. Ich glaube, das liegt daran, dass die ein ganz anderes Frauenbild haben. Und da fängt das Problem an. Für sie ist es selbstverständlich, dass es Prostitution gibt. Es ist ein komplett anderes Gesellschafts- und Frauenbild.

Und es sind echte Freier, die solche Gespräche vor der Kamera geführt haben?

Wir hatten sechs Protagonisten. Drei davon sind in dem Film. Wir haben sogar Sexszenen gedreht. Die Freier, die in dem Film sind, sind bekannte Stammkunden. Sie wussten, dass wir mit der Kamera da sind.

Was haben Sie durch den Film gelernt?

Ich habe gelernt, dass man nichts über einen Kamm scheren darf. Man muss differenzieren zwischen den freien, meist deutschen Sexarbeiterinnen, die dort etwas freiwillig tun, und auf der anderen Seite die Zwangsprostituierten, die durch Menschenhandel dort gelandet sind. Zwischen diesen beiden Extremen bewegt sich ganz viel. Der Film zeigt auch eine Grauzone. Milena ist nicht hier, weil sie es entschieden hat, sondern weil sie rübergelockt wurde und dann geblieben ist. Bei Rita ist es ökonomische Not.

Der Film existiert, um genau solche Fragen zu diskutieren. Was ist Arbeit? Ist Sexarbeit Arbeit? Was bedeuten Freiheit und Freiwilligkeit bei dieser Arbeit? Darüber kann man viel diskutieren. Für mich ist es die Sackgasse des globalisierten Kapitalismus, dort an der Landstraße. Wir als Gesellschaft machen die Augen zu, und die Schwächsten, in diesem Fall die Frauen, werden massiv ausgebeutet. Ich glaube, dass man anhand dieses Films über die soziale Situation in Deutschland diskutieren kann.

Es war mir wichtig, meine Protagonistinnen nicht nur als Opfer zu stilisieren, weil sie auch eine Stärke haben. Ich wollte sie nicht nur als Sexarbeiterinnen und Prostituierte darstellen, sondern als ganze Persönlichkeiten, mit denen man als Zuschauer fühlen kann. Es passiert ganz viel, sie verlieben sich, sie vermissen ihre Familien, sie haben Streit mit Freunden – Momente, die wir als Zuschauer aus unserem eigenen Leben kennen. Das war mein größtes Anliegen, dass man einen Zugang findet, auch für die Atmosphäre, die am Straßenrand herrscht. Dass man diese Einsamkeit und dieses Bedrückende spüren kann.

Uschi vermietet die Liebesmobile. Sie bekommt jeden Tag 70 Euro von den Frauen. Wird sie wie eine Protagonistin oder eine Antagonistin wahrgenommen?

Sie wird eher als Antagonistin eingeführt, als eine Geschäftsfrau. Mit dem Verlauf des Films weicht das auf. Am Ende merkt man, dass sie selber eine Prostituierte war, bis zu dem Punkt, wo man erfährt, dass sie als Kind missbraucht wurde. Ich glaube, da kippt alles. Das soll nicht heißen, dass alles, was Uschi macht, gerechtfertigt ist, aber es soll ein System aufzeigen, eine Kette von Machtmissbrauch, die zu Machtmissbrauch in der nächsten Generation führt.

Wie schwer war es, sie zu überzeugen, ihre Geschichte zu erzählen?

Ich glaube, Uschi hat ein Alter erreicht, in dem sie den Dingen mit einem Lächeln begegnet. Wir haben sehr viel Zeit mit ihr verbracht. Sie hat uns de facto wie ihre Kinder wahrgenommen. Wir haben eine andere Auffassung, politisch und gesellschaftlich, irgendwie hat sie aber doch ein gutes Herz, muss man sagen.

Wo kann man den Film sehen?

Im Moment ist er hauptsächlich in Nord- und Ostdeutschland unterwegs. Wir hoffen, dass er auch im Rest des Landes gezeigt wird.

Was ist Ihr nächstes Projekt?

Der deutsche Wolf, der zurückkommt, als Symbolbild für die Angst der Deutschen vor dieser "Bedrohung aus dem Osten". Indem wir über den Wolf erzählen, erzählen wir eigentlich über die Menschen und ihre Ängste.

Das Gespräch führte Alexandar Detev

Ein junger Mann mit Bart blickt lächelnd in die Kamera. Er trägt ein weißes Hemd und einen dunklen Blazer
Alexandar Detev Autor, Korrespondent und Redakteur