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"Love Commandos" in Indien

Katja Keppner23. Oktober 2013

Grausame Hinrichtungen junger Paare machen häufig Schlagzeilen in Indien. Was als Selbstmord vertuscht wird, entpuppt sich oft als Ehrenmord. "Love Commandos" kümmern sich um Paare, die um ihr Leben fürchten.

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Indisches Liebespaar hält sich an den Händen (Foto: DW)
Bild: DW/K. Keppner

Fast 100 Tage. So lange sind manche schon hier. Zweiter Stock, Sicht zum Innenhof. Blau, grün, rot und gelb gestrichene Wände bringen Wärme an diesen Ort, von dem keiner wissen soll, dass er existiert. Nicht einmal die engsten Freunde der hier Anwesenden.

Auf dem Tisch im Flur eine rote Rose. Aus dem Raum dahinter dringt der Duft von Räucherstäbchen. Ein Zimmer weiter sitzen sie: die frisch Verliebten, Verlobten oder heimlich Verheirateten. Viele von Ihnen wurden geschlagen, eingesperrt und vorgeführt, bevor sie Schutz bei den "Love Commandos" fanden.

"Wenn du sie heiratest bringen wir sie um"

"Es war Liebe auf den ersten Blick," erklärt der Imram* (21). Jedesmal, wenn Shazia, (21), ins Dorf der Tante zu Besuch kam, sah er sie. Alle paar Wochen war das, irgendwo im Bundesstaat Punjab. Nach Jahren gesteht er ihr seine Liebe. Sie glaubt ihm zunächst nicht. Er kommt aus einer höheren, sie aus einer niederen Kaste. Seine Familie ist wohlhabend und gebildet, ihre Eltern haben keinen Schulabschluss und gerade genug Geld, um Shazia und ihre Geschwister zu ernähren. Eine Hochzeit wäre ein Skandal. Trotzdem entscheiden die beiden sich füreinander und gegen ihre Familien.

Zwei Liebespaare von hinten, sie fürchten um ihr Leben (Foto: DW)
Zwei indische Liebespaare, die aus Furcht vor ihren Familien geflohen sindBild: DW/K. Keppner

Dass sie nun hier im Wohnzimmer der "Love Commandos" sitzen, gleicht einem Wunder. Es ist ihr zweiter Versuch. Bei der ersten Flucht im April ins Haus von Freunden gaben sie irgendwann auf und kehrten zurück zu den Eltern, angelockt mit der Aussicht, bald heiraten zu dürfen. Doch die Eltern brechen ihr Wort. Shazia wird im Haus der Familie eingesperrt, Imrams Vater findet klare Worte: "Wenn du sie heiratest, bringen wir sie um".

Fünf Monate später steht Shazia wieder bei Imram vor der Tür. Vereint, aber verzweifelt blicken sie in die Zukunft. Er ist ohne Job, sie hat die Schule abgebrochen. "Wir saßen an den Gleisen und haben überlegt, uns umzubringen", gesteht Imram und knippst nervös an seinen Fußnägeln. Wäre da nicht ein Freund gewesen, der ihnen von den "Love Commandos" erzählt und das Ticket nach Delhi bezahlt hätte - sie wären zusammen in den Tod gesprungen.

Schutz für die Liebenden

Seit drei Jahren finden Paare wie Imram und Shazia Zuflucht bei den "Love Commandos". Hinter den "Comrades", wie sich die Organisatoren nennen, stecken gestandene Herren mit klarer Mission: Zuflucht für die Liebenden nennt es Sanjoy Sachdev, der Sprecher der Gruppe. 49 Paare leben momentan allein in den sieben Zufluchtsorten, den sogenannten Shelters, in Delhi. In ganz Indien gibt es mittlerweile 200 dieser geheimen Orte. Eine landesweite Hotline vermittelt Paare an Zufluchtsorte in ihrer Nähe. Mittlerweile sei ein gigantisches Netz aus Freiwilligen entstanden, eine Bewegung, meint Sanjoy. Ohne, dass sie dafür eine einzige Rupie bekämen. Das sei der größte Erfolg.

Traditionelle Hochzeit in Indien (Foto: DW)
Traditionen gehören bei der Eheschließung in Indien dazuBild: DW/P.M.Tewari

Er steht auf und zeigt stolz auf eine kleine gelbe Sprühflasche im Regal neben dem Altar mit den Räucherstäbchen: "Wenn es gefährlich wird, schützen wir uns hiermit", sagt Sanjoy und grinst. Mit Pfefferspray. Immerhin riskierten er und seine Kollegen tagtäglich ihr eigenes Leben, einige besonders zornige Familien hätten ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt.

Töten im Namen der Ehre

Nach Angaben der National Commission of Women in India gehen pro Monat etwa 70 bis 80 Morde auf das Konto der alten Traditionen. Die Dunkelziffer könnte noch höher liegen, da viele Taten nicht angezeigt oder als Selbstmord vertuscht werden. Soziologen wie Surinder S. Jodhka warnen jedoch davor, die Taten lediglich als Zeichen verkrusteter Traditionen zu deuten. Dass darüber überhaupt in der Öffentlichkeit gesprochen werde, sei ein Zeichen des Wandels, sagt er. Junge Paare, die sich entgegen den Vorstellungen ihrer Familie für eine Liebesheirat entscheiden, das habe es vor einigen Jahren noch nicht gegeben. In zehn bis 15 Jahren würde es die Morde im Namen der Ehre nicht mehr geben, sagt der Soziologe voraus.

Sanjoy Sachdev, Sprecher der "Love Commandos" am Telefon (Foto: DW)
Sanjoy Sachdev von den "Love Commandos" hilft jungen PaarenBild: DW/K. Keppner

Wichtig sei eine schnellere juristische Verfolgung der Täter. Auch wenn es nach allgemeinem Gefühl zu immer mehr Ehrenmorden komme, seien sie als Reaktion der alten Patriarchen zu werten, die nicht akzeptieren wollten, dass sich die junge Generation selbst entscheiden möchte, wen sie heirate.

Handys, Facebook, Individualisierung

Auch bei Ashraf (27) und Bahar (24) hat sich die Globalisierung durchgesetzt. Er schickte ihr eine Freundschaftsanfrage via Facebook, sie begannen zu chatten, lernten sich kennen. Heimlich, versteht sich, denn die Eltern waren bereits auf der Suche nach dem richtigen Bräutigam für Bahar. Einmal die Woche kamen potenzielle Ehemänner zu Besuch und schauten sie an. Bahar starrt auf den Boden: "Ich fühlte mich billig und zur Schau gestellt". Doch ihr Vater gab ihr wortwörtlich zu verstehen: "Wir würden dich eher umbringen als unser Prestige wegen irgendeines Dahergelaufenen zu opfern". Ashraf war für ihn solch ein Dahergelaufener.

Junge Frau in der Küche eines geheimen Zufluchtsorts für Liebende (Foto: DW)
200 geheime Zufluchtsorte für Liebende gibt es in IndienBild: DW/K. Keppner

Als der Vater von den Hochzeitsplänen des Paars hört, zeigt er Ashraf bei der Polizei der Kleinstadt im Bundesstaat Uttar Pradesh an. Als Ashraf davon erfährt, wählt er die Hotline der "Love Commandos", die er ein paar Tage zuvor in der Zeitung gesehen hatte. "Wir hatten große Angst, aber sie sagten uns, keine Sorge, wir sind für euch da, wir helfen euch", erklärt Ashraf. Das war vor 12 Tagen. Seitdem bekommen sie hier Essen und einen Platz zum Schlafen. "Wir sind jetzt verheiratet", erzählt Ashraf und lächelt. Ob sie auch Kinder wollen? Bahar kichert und Ashraf antwortet, dass er dafür erst einmal einen Job finden müsse und das gehe erst, wenn die Polizei aufhöre nach ihm zu suchen. So lange, sagen sie, wollen sie hier warten.

* Die Namen sind von der Redaktion geändert.