Matthäus: Zu guter Letzt noch Bundestrainer?
20. März 2021"Solange Karl-Heinz Rummenigge und ich etwas beim FC Bayern zu sagen haben, wird Lothar Matthäus bei diesem Verein nicht einmal Greenkeeper im neuen Stadion." Dieser Satz von Uli Hoeneß aus dem Jahr 2002 ist hängengeblieben. Er galt einem Mann, der ähnlich polarisierte wie Hoeneß selbst: Lothar Matthäus.
Auf der einen Seite war Matthäus zweifacher Weltfußballer, und WM-Kapitän von 1990, auf der anderen "Frauenheld" und Boulevard-Liebling "Loddar". Im Jahr 2000 hatte er seine schillernde und titelreiche Karriere nach einer desaströsen EM und dem Vorrunden-Aus beendet. 150 Länderspiele lagen da hinter Matthäus, ein Happy End nicht. Für viele kam das Karriereende des Rekordnationalspielers zu spät. Musste nach der enttäuschenden WM 1998 in Frankreich wirklich noch die Blamage bei der EURO sein, um zu beweisen, dass Matthäus' Tage als Fußballspieler gezählt waren?
Ein Weltstar in Wien
Nach dem Fußballspieler Matthäus kam der Fußballtrainer. 2001 verpflichtete Rapid Wien den Deutschen. "Ein Fußball-Weltstar in Wien. Das hatte ich bis dato und bis heute nicht wieder erlebt", erzählt Peter Klinglmüller, der damals gerade Pressesprecher bei Rapid geworden war, der DW.
Für die Vorstellung des neuen Trainers mietete der zu dieser Zeit klamme Wiener Traditionsklub eines der nobelsten Hotels der Stadt an - Lothar Matthäus war trotz aller privaten Schlagzeilen der ganz große Wurf für Rapid. "Sogar auf CNN wurde unsere Pressekonferenz übertragen", erinnert sich Klinglmüller.
Obwohl das Debüt auf der Bank missglückte und der gegnerische Trainer Österreichs "Fußball-Promi" und WM-Held von 1978 Hans Krankl war, drehte sich anschließend alles um Matthäus. "Ich kann mich an keinen einzigen anderen Pressetermin erinnern, an dem der Hans Krankl nicht vollkommen im Mittelpunkt stand", erzählt Klinglmüller. Nach Startschwierigkeiten stellten sich bald sportliche Erfolge ein, letztlich aber belegte Matthäus mit einem jungen Team nur den achten Rang in Österreich und wurde entlassen.
Kurzlebigkeit, Trennung, Schlammschlacht
Und die Scheidung verlief nicht ohne Rosenkrieg: Matthäus trat gegen den damaligen Präsidenten nach und unterstellte ihm, er habe sich in die Mannschaftsaufstellung einmischen wollen. "Ich dachte immer, der FC Bayern ist eine Schlangengrube - aber das ist nichts gegen Rapid", giftete Matthäus nach seiner Entlassung.
Die Engagements, die folgten, waren ebenfalls nicht von langer Dauer: Partizan Belgrad (2002-2003), Nationaltrainer Ungarns (2004-2005), Athletico Paranaense in Brasilien (2006), Co-Trainer von Giovanni Trapattoni bei Red Bull Salzburg (2006-2007), Maccabi Netanja in Israel (2008-2009) und Bulgariens Nationalteam (2010-2011). Matthäus feierte Erfolge, wie die Meisterschaft mit Partizan oder einen 2:0-Achtungserfolg mit Ungarn im Testspiel gegen Deutschland, aber immer wieder gab es auch Ärger oder zum Abschied wurde schmutzige Wäsche gewaschen.
Matthäus im Wandel der Zeit
"Es war nicht immer leicht mit ihm", erinnert sich Peter Klinglmüller im Gespräch mit der DW. "Aber heute haben wir ein sehr gutes Verhältnis und ich freue mich immer, wenn Lothar es mal nach Wien und zu uns bei Rapid schafft." Genauso hat sich auch der Blick vieler Fußballfans und -experten gewandelt. Viele sehen Matthäus, der am Sonntag seinen 60. Geburtstag feierte, heute ganz anders als vor 15 oder 20 Jahren. Die Schlagzeilen-Maschine hat der Rekordnationalspieler längst abgestellt.
Matthäus sammelte nach seiner letzten Trainerstation in Bulgarien Erfahrung als TV-Experte bei verschiedenen Sendern. Seit 2012 arbeitet er als Experte und Kolumnist beim Pay-TV-Sender Sky, wo er sich im Laufe der Jahre einen Ruf als präziser Analytiker erarbeitet hat und Stück für Stück wieder mehr als Fußball-Fachmann wahrgenommen wird und nicht mehr als Boulevardfigur.
Schließlich doch noch Greenkeeper
Und auch er selbst blickt heute mit einer gewissen Gelassenheit auf sein bewegtes Privatleben mit fünf Ehen und vier Scheidungen zurück: Er sei mit seinem Leben "sehr zufrieden", sagte Matthäus, der mit seiner fünften Frau Anastasia in der ungarischen Hauptstadt Budapest lebt, jüngst im Magazin "51" seines Ex-Klubs Bayern München. "Alles im Grünen Bereich" - zu dieser Titelzeile setzte sich Matthäus voller Selbstironie für das Cover-Foto im Münchner Stadion auf einen Rasenmäher - und auch Uli Hoeneß war anwesend.
Der Ex-Bayern-Macher, dem die Greenkeeper-Aussage nach eigenen Worter "schon am nächsten Morgen leidgetan" hatte, denkt heute ganz anderes über seinen ehemaligen Kapitän.
"Wir haben uns zu meiner aktiven Zeit öfter mal angeschrien, aber wir sind beide Menschen mit großem Herz, von daher kam es auch immer wieder schnell zur Versöhnung, weil wir ja wussten, dass wir eigentlich das gleiche Ziel haben", sagte Matthäus in "51" über sein Verhältnis zum ehemaligen Bayern-Manager.
Und jetzt noch Bundestrainer?
Überhaupt: Pünktlich zum 60. Geburtstag scheint der deutsche Fußball eine gewisse Altersmilde gegenüber Matthäus entwickelt zu haben. Oder besser gesagt: Er hat sie sich erarbeitet - und jetzt scheint sogar ein ganz großer Karriereschritt möglich. "Matthäus als Bundestrainer - ja warum nicht, Lothar", zitiert die "Bild"-Zeitung Ex-DFB-Teamchef Franz Beckenbauer, der damit ausspricht, was viele andere auch denken.
Der 75-Jährige beschrieb seinen Weltmeister-Kapitän einst als "meinen verlängerten Arm auf dem Platz". Er traue Matthäus die Aufgabe "auf jeden Fall" zu. Der Rekordnationalspieler verfüge über "weltweite Erfahrung" und habe sich "sehr weiterentwickelt", so Beckenbauer weiter.
Und Matthäus? Würde wohl beim DFB zusagen, wenn man ihn denn ernsthaft darum bäte. "Ich bin jemand, der gerne hilft. Wenn ich das Gefühl hätte, dass die Verantwortlichen geschlossen dahinterstehen, dann würde ich mir Gedanken machen", sagte der deutsche Rekordnationalspieler nach Löws Rücktrittserklärung bei "Sky": "Franz Beckenbauer wollte 1984 auch nicht Teamchef werden, sondern hat es im Endeffekt gemacht, auch auf einen gewissen Druck hin. Wenn ich diesen spüre und er positiv ist, würde ich es mir überlegen."
Allerdings: Realistisch betrachtet hat Matthäus wohl nur Außenseiter-Chancen. Hansi Flick scheint der Wunschkandidat des DFB zu sein. Bedenkt man aber, wie kategorisch ausgeschlossen es vor einigen Jahren noch war, dass Matthäus beim DFB auf der Bank sitzen könnte, so ist die heute ernsthaft geführte Diskussion um ihn ein weiterer Beleg dafür: Lothar Matthäus und der deutsche Fußball haben wieder zueinander gefunden. Und was mit "einem Lothar Matthäus" im DFB-Team alles möglich ist, hat dieser ja bereits als Spieler eindrucksvoll bewiesen.