LRA: Eher Räuberbande als Armee
21. Januar 2022Die LRA wurde 1987 im Norden Ugandas gegründet, um Präsident Museveni aus dem Amt zu jagen und einen christlichen Gottesstaat zu errichten. Nachdem die LRA-Kämpfer vom ugandischen Militär aus dem Land vertrieben wurden, sorgten sie in den politisch instabilen Nachbarländern der Region - vor allem im südlichen Sudan und heutigen Südsudan, im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo und auch im Südosten der Zentralafrikanischen Republik - für Angst und Schrecken.
Grausamkeiten in der ZAR
"In die Zentralafrikanische Republik kamen sie im Jahr 2008 und wüteten vor allem in meiner Heimatregion Haut Mbomou", erinnert sich Ernest Mizedjo, der als Abgeordneter im Parlament in der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui die Bevölkerung im äußersten Osten vertritt. Immer wieder hätten sie Gräueltaten an der Zivilbevölkerung verübt, sagt Mizedjo, vor allem in den Jahren 2009, 2010 und 2011. "Sie brannten Dörfer nieder und folterten die Bewohner. Die Bauern konnten ihre Felder nicht mehr bestellen, die Jäger konnten nicht mehr auf die Jagd und die Fischer konnten nicht mehr fischen. Sie vergewaltigten schwangere Frauen und Mädchen", erläutert der Abgeordnete im Interview mit dem DW-Korrespondenten in Bangui. Der Grad der Grausamkeiten, die die LRA in der Zentralafrikanischen Republik verübt habe, sei enorm, aber es gebe keine genauen Angaben über die Zahl der Opfer.
Eines dieser Opfer ist der 52-jährige Aubin Kottokpinzé, aus Haut Mbomo. Er erzählt dem DW-Korrespondenten, wie er 2008 im Alter von 39 Jahren von LRA-Kämpfern gefangen genommen wurde: "Sie haben mich entführt, misshandelt und gefoltert. Es war eine schlimme Erfahrung, von der ich mich nie wieder erholt habe", erinnert sich Kottokpinzé und fügt hinzu: "Schauen sie mich an: Ich bin nur noch ein Schatten meiner selbst. Ich wirke heute viel älter als ich es bin."
Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden insgesamt mehr als 100.000 Menschen in verschiedenen Ländern und Regionen durch die LRA getötet sowie zwischen 60.000 und 100.000 Kinder entführt, die auch als Kindersoldaten eingesetzt wurden. Mehr als eine Million Menschen wurden vertrieben.
Wo ist Joseph Kony?
Nach dem Gründer und Anführer der LRA, Joseph Kony, wird seit dem Jahr 2005 weltweit mit Haftbefehl durch den Internationalen Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag gefahndet. Sein Aufenthaltsort ist unbekannt, zeitweise wurde er aber in der Grenzregion Kafia Kingi, zwischen dem Sudan und Südsudan, vermutet. US-amerikanische Agenten, UN-Soldaten, eine Taskforce der AU und Angehörige der offiziellen Armeen in den Ländern, in denen die LRA aktiv ist, fahnden nach Kony. Doch niemand konnte ihn bisher fassen. Die ugandische Armee besaß bis Anfang 2000 nicht einmal ein Foto des Kriegsverbrechers.
"Unsicher ist, ob Kony überhaupt noch am Leben ist, und die LRA-Kämpfer noch seiner Führung unterstehen und es überhaupt noch eine Ideologie gibt, die die Kämpfer zusammenhält. Fest steht, dass die LRA militärisch sehr geschwächt ist", sagt Adolphe Agenonga, Professor und Experte für Geopolitik an der Universität Kinsangani, in der Demokratischen Republik Kongo. Die einstige "Armee" bestehe heute aus Splittergruppen. Nur noch 200 bis 1000 Kämpfer soll die LRA überhaupt haben, verstreute Gruppen, vermutlich ohne engen Kontakt zum Kommandanten Joseph Kony.
LRA heute mit kriminellen Banden zu vergleichen
Agenonga weiter: "Die LRA ist heute kaum vergleichbar mit der berüchtigten Armee, die 2012 durch die Medien ging. Diese Miliz verübt in letzter Zeit nur noch sporadische Angriffe, deren einziges Ziel es ist, das Überleben ihrer Mitglieder zu garantieren. Angriffe und Raubzüge scheinen vor allem ein Ziel zu haben: ihre eigene Ernährung zu sichern. Viele von ihnen mischen sich unter die nomadischen Mbororo-Hirten in der Region, um unterzutauchen. Natürlich werden nomadische Hirten selbst auch manchmal Opfer von Entführungen und Geiselnahmen durch die LRA-Kämpfer."
Die LRA-Kämpfer seien heute mit kriminellen Banden zu vergleichen, die vor allem herumziehen, um sich ihren Lebensunterhalt zu sichern, etwa durch Raubzüge und Geschäfte mit Elfenbein, bestätigt auch der Abgeordnete Ernest Mizedjo im DW-Interview: "Die LRA-Rebellion hat sich in den letzten Jahren in ein Business verwandelt. Sie schmuggeln und handeln mit Waffen über Grenzen hinweg, vor allem beliefern sie alle möglichen anderen Milizen im Nordosten der DR Kongo. Sie schmuggeln Elfenbein und handeln auch mit geschmuggeltem Elfenbein aus dem Sudan. Die LRA hat sich also von einer Rebellengruppe zu einer Banditengruppe gewandelt, die illegale Geschäfte macht."
Zieht sich die LRA aus der Zentralafrikanischen Republik zurück?
In den letzten Tagen verdichteten sich die Hinweise, dass die LRA-Soldaten - zumindest in der Zentralafrikanischen Republik - auf dem Rückzug sind. Das bestätigt auch Judes Ngayakon, Präfekt der Region Haut Mbomou, gegenüber der DW. "Ich habe kürzlich eine Delegation der LRA empfangen, die mir mitteilte, dass sie bereit sei, die Waffen niederzulegen. Ihre Kämpfer wollen zurück ins zivile Leben."
Verhandlungen mit Joseph Kony?
Damit nicht genug: In Bangui häufen sich Gerüchte, Joseph Kony persönlich habe einen Waffenstillstand in Aussicht gestellt. Im Gegenzug wolle er in einen möglichen Friedensprozess eingebunden werden. Außerdem wolle er die zentralafrikanische Staatsangehörigkeit annehmen. Gegenüber der DW bestätigte die zentralafrikanische Ministerin für Humanitäre Maßnahmen, dass es entsprechende Hinweise gebe.
Was steckt dahinter? Der aus der östlichen Region stammende Abgeordnete Ernest Mizedjo ist der Meinung, alles deute darauf hin, dass die LRA-Kämpfer müde geworden seien: "Sie haben wahrscheinlich auch die Moral verloren, und vielleicht ist es einfach auch so, dass sie keinen Anführer mehr haben. Dazu kommt: Sie erfahren einfach keine Unterstützung. Jede Rebellion braucht einen gewissen Rückhalt in der Bevölkerung." Weil dieser ausbleibt, hofft Mizedjo, dass geflüchtete Bauern nun auf ihre Felder zurückkehren können.
So sieht es auch Aubin Kottokpinzé, der seit seiner Entführung durch die LRA 2008 an vorderster Front gegen die Präsenz der LRA in der Zentralafrikanischen Republik kämpft. Heute ist er Präsident des Verbands der LRA-Opfer und nimmt eine mögliche Kapitulation der LRA zur Kenntnis. Er plädiert für eine juristische Aufarbeitung: "Wir begrüßen, dass die ugandischen Rebellen aus unserem Land ausziehen und ihre Waffen niederlegen. Unsere Sorge ist, dass unser Staat und die internationale Gemeinschaft ihrer Verantwortung nachkommen und unser Leid anerkennen. Wir wollen aber auch, dass den Tätern der Prozess gemacht wird. Wir bitten die zentralafrikanische Regierung, uns bei unserem Streben nach Gerechtigkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu unterstützen."