"Langer Weg zum Frieden"
8. Oktober 2012Deutsche Welle: Die Moro Islamische Befreiungsfront - MILF - kämpft seit mehr als 40 Jahren für einen autonomen Staat in der Region Mindanao im Süden der Philippinen. In dem Konflikt kamen rund 150.000 Menschen ums Leben. Wie kam es jetzt zu der Einigung?
Jasmin Lorch: Es gibt schon seit Jahren immer wieder Verhandlungen zwischen der philippinischen Regierung und der MILF. Der jetzige Präsident Benigno Aquino hat sich schon in seinem Wahlkampf und bei seinem Amtsantritt 2010 groß auf die Fahnen geschrieben, innerhalb seiner Amtszeit einen Friedensvertrag mit der MILF zu erreichen. Bereits in der Vergangenheit war man einem Friedensvertrag schon recht nahe gekommen, zum Beispiel 2008 unter der Regierung von Gloria Macagapal-Arroyo. Auch die derzeitige Führerschaft der MILF, die als relativ moderat gilt, strebt seit längerem einen Friedensvertrag an.
Der Befreiungsfront scheint also kein eigener Staat mehr vorzuschweben. Wie kam es zu dem Sinneswandel?
Die MILF zeigt seit einigen Jahren eine gewisse Kompromissbereitschaft. Die Abkehr von dem Wunsch, unbedingt einen eigenen Staat zu haben, hat nicht erst unter dem jetzigen Präsidenten stattgefunden. Hinzu kommt: Die MILF kontrolliert bereits ein beträchtliches Territorium, in dem es eine große Eigenständigkeit gibt. Es geht den Führern der Aufständischen darum, diese Autonomie, die de facto in ihren Territorien besteht, jetzt institutionell abzusichern. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass man das am besten im Rahmen eines Friedensvertrages erreichen kann. Hinzu kommt, dass ein erfolgreicher Friedensvertrag auch für die Führerschaft der MILF ein Mittel darstellen könnte, die lokale Bevölkerung, die inzwischen auch kriegsmüde ist, an sich zu binden.
Die Muslime bilden eine Minderheit in dem vorwiegend katholischen Land. Sie leben hauptsächlich in Mindanao. Dort sieht der Rahmenplan für einen Friedensvertrag die Gründung einer halbautonomen Provinz, genannt Bangsamoro, vor. Sind damit alle Probleme gelöst?
Ein Problem ist, dass es auch innerhalb der muslimischen Bevölkerungsgruppe große Spaltungen gibt, und nicht alle Muslime in Mindanao der MILF anhängen. Außerdem gibt es auf Mindanao auch Gebiete, die mehrheitlich von Christen bewohnt werden. Die Interessenlagen sind sehr heterogen. Es geht bei dem Konflikt neben der Religion auch um Clanpolitik, Sprache, ethnische Spannungen und um Landrechte.
Welche weiteren Eckpunkte enthält dieses neue Rahmenabkommen für einen Friedensvertrag?
Es sieht eine große Autonomie bei innenpolitischen Angelegenheiten - etwa in der Steuerpolitik - vor und in Teilen eine eigene Gerichtsbarkeit, die muslimische Scharia-Gerichtsbarkeit. Mindanao ist reich an natürlichen Ressourcen wie Gas und Öl. Von den Erträgen aus diesen Ressourcen soll die Regierung der zukünftigen autonomen Region einen großen Anteil erhalten. Fragen der Währung, Verteidigung und Außenpolitik hingegen sollen beim Zentralstaat verbleiben.
Der stellvertretende MILF-Chef hat die Einigung mit der Regierung begrüßt. Ist sie als Durchbruch zu werten?
Sie ist insofern ein Durchbruch, als dass die Eckpunkte von Seiten der Regierung wie auch von Seiten der MILF anerkannt werden. Letzten Endes stellen sich aber zwei Fragen: Die eine ist, ob ein Friedensvertrag auf dieser Basis durchgesetzt werden kann. Außerdem müsste ein solcher Friedensvertrag noch durch ein Referendum abgesegnet werden. Er könnte noch daran scheitern, dass er in den mehrheitlich christlichen Gebieten keine Unterstützung findet.
Das vorläufige Rahmenabkommen soll nach Medienberichten Mitte Oktober unterzeichnet werden. Der Friedensvertrag soll bis zum Ende von Aquinos Amtszeit unter Dach und Fach sein. Welche Herausforderungen sehen Sie noch bei der Umsetzung dieses Rahmenplans?
Ein großes Hindernis ist die philippinische Verfassung: Sie schreibt einen unitarischen Staat vor. Eine weitreichende Autonomie für die von der MILF kontrollierten Gebiete wäre letztlich jedoch nur bei einem föderalistischen Staatsaufbau möglich. Und genau daran sind die Friedensverhandlungen in der Vergangenheit gescheitert. Ohne Verfassungsreform besteht auch jetzt ein großes Risiko, dass die Friedensverhandlungen und letztlich die Implementierung des Vertrages scheitern.
Eine noch größere Schwierigkeit sehe ich in der Tatsache, dass die MILF sehr zersplittert ist. Es gibt Gruppierungen, die viel radikaler sind als die derzeitige Führung. Und die haben wenig Interesse, sich einem Friedensvertrag zu unterwerfen. Schon früher haben sich einzelne Kommandeure wieder abgespalten und neue radikalere Aufstandsbewegungen gegründet. Die größte Herausforderung wird also darin liegen, einen Friedensvertrag zu implementieren und ihn so zu gestalten, dass es der MILF-Führerschaft gelingt, Geschlossenheit in den eigenen Reihen zu behalten.
Jasmin Lorch ist Gastwissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Asien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.