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London Eye: Ballermann in Downton Abbey

Gerhard Elfers18. Dezember 2015

Für die "Party season" herrscht in der Londoner City ein strenger Dresscode. Doch trotz aller Eleganz nehmen die geschäftlichen Weihnachtsfeiern für viele ein böses Ende, weiß unser Kolumnist Gerhard Elfers.

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Großbritannien Weihnachten London Symbolbild
Bild: Reuters/T. Melville

Abgesehen vom Gedudel der Weihnachtsmusik in Supermärkten, der erhöhten Taktung von Parfümwerbespots im Fernsehen und der wachsenden Anzahl von Mitarbeitern des Einzelhandels in lustigen Nikolausmützen gibt es ein paar ganz und gar London-typische Zeichen dafür, dass Weihnachten bevorsteht: So wird es zum Beispiel schon ab Anfang November immer schwieriger, abends einen Tisch in einem besseren Restaurant zu reservieren. Auf den Straßen sieht man immer häufiger Gruppen von sehr ausgelassenen, erstaunlich gut gekleideten Menschen. Und am Hinterausgang des Bahnhofs Liverpool Street - wie auch an ein paar anderen Orten - werden unauffällige Zelte aufgestellt. Es ist die besinnliche Zeit der Weihnachtsfeiern, die sogenannte "Party-season".

Nur im Smoking zur Weihnachtsfeier

Auch in anderen Ländern gibt es Weihnachtsfeiern, doch das ist nicht vergleichbar mit dem Zirkus, der in diesen Tagen die britische Hauptstadt heimsucht. Zunächst einmal herrscht bei vielen Parties ein strikter Dresscode: Vor allem im Finanzdistrikt, der City, gilt #link:http://www.debretts.com/british-etiquette/british-behaviour/h/dress-codes/black-tie):"Black tie"#. Zu Deutsch: Smoking ist Pflicht! Anders als in Deutschland lohnt sich hierzulande übrigens die Anschaffung eines "Dinner suit" - die Mehrkosten gegenüber einem Mietfrack hat man in zwei Jahren wieder hereingefeiert. Die Männer sehen darin aus wie sehr, sehr entfernte Verwandte von James Bond. Die Frauen, in ihren für die Jahreszeit stets unangemessen kurzen Kleidchen, stöckeln auf sehr, sehr hohen Absätzen herum und schreien in ihre Handys, in welcher Bar jetzt ohne den Chef weitergefeiert wird.

Leider ist die festliche Kleidung keine Garantie für zivilisierte Feierlichkeiten, wie man sie aus der Parfümwerbung kennt. Vielmehr zeigt sich jetzt nicht nur auf den Gehwegen, was ein Cocktail aus Glühwein, Eierpunsch, Champagner und Gin im Körper ungeübter Trinker anrichten kann, sondern vor allem in den Notaufnahmen der Krankenhäuser. Nirgendwo sonst sieht man so viele hervorragend gekleidete Leute derartig abgeschossen in den Seilen hängen. Mitunter sieht es dort aus, als sei in Downton Abbey der Bowletopf explodiert.

12.2015 DW Wirtschaft Moderator Gerhard Elfers (nah)
DW-Kolumnist Gerhard Elfers lebt in London

Freitag vor Weihnachten ist es am schlimmsten

Seit die Feierlichkeiten immer öfter Ballermann-ähnliche Ausmaße annehmen, kommt in den Spitälern vor lauter Betrunkenen die Versorgung echter Notfälle zu kurz. Den letzten Freitag vor Weihnachten nennt das Ambulanzpersonal scherzhaft "Black Friday": Bis zu 100 Alkoholopfer kratzen die Sanitäter dann allein von den Straßen des Vergnügungsviertels Soho. Und müssen sich dabei allerlei Freundlichkeiten von den Betroffenen anhören, meistens: "I'm not drunk!" Dem "London Ambulance Service" wurde das irgendwann zu bunt. Die Verantwortlichen setzten deshalb seit ein paar Jahren auf eine typisch britische und wunderbar hemdsärmlige Lösung: In der Feiersaison patrouillieren jetzt sogenannte "Booze buses" durch die Straßen der City und des Westends, den Epizentren des adventlichen Partybebens.

Diese Kleinbusse haben Sitzbezüge aus leicht abwaschbarem Material. Darin sammeln geduldige Sanitäter die Partygänger ein, hängen ihnen Plastikschürzen um und bringen sie, je nach Grad des Alkoholpegels, entweder ins Krankenhaus oder in eines der Notaufnahmezelte der Johanniter, etwa das am Bahnhof Liverpool Street Station. Dort können sie in komfortablen Feldbetten kostenlos ihren Rausch ausschlafen, bis sie von dem Mann geweckt werden, der mit dem Hochdruckreiniger durchs Zelt geht. Manche sind von so viel adventlicher Nächstenliebe ganz überwältigt. Bevor sie frühmorgens, mit den Schuhen in der Hand, blinzelnd in die Bahnhofshalle stolpern, hinterlassen sie diskret eine großzügige Spende, oft gleich ganze Geldbörsen. Es ist ja schließlich bald Weihnachten.

Gerhard Elfers lebt seit mehr als einem Jahrzehnt in London. In seiner Kolumne "London Eye" berichtet er über all das, was ihn bis heute in Großbritannien zum Staunen bringt.