Corona-Krise: Hoffnung und Sorge in Hongkong
15. Mai 2020Elyce Chau hatte endlich ihren Traum verwirklicht, als sie 2017 ihren ersten Betrieb in Hongkong aufmachte - das Café La Luz. In den ersten beiden Jahren führte sie das Café mit einem Kollegen, dann stellte sie Mitarbeiter in Vollzeit ein. Das war nur wenige Monate, bevor im Frühjahr 2019 erneut Massenproteste gegen die pekingtreue Hongkonger Regierung begannen und zeitweise den Betrieb ihres Cafés lahmlegte.
Nachdem Hongkong fast ein Jahr lang zum Teil gewalttätige Proteste erlebt hatte, normalisierte sich das Geschäft langsam wieder. Bis Corona kam. "Jeden Tag machen wir uns Sorgen über neue Änderungen oder Entscheidungen der Regierung", sagt Chau und meint dabei die Maßnahmen der Hongkonger Behörden zur Eindämmung des Coronavirus.
Chau beklagt, dass sie wegen der Corona-Krise nicht in der Lage war, ihr Café besser auszustatten und sparen muss, um ihre Mitarbeiter zu bezahlen. Und natürlich, um die hohen Mietkosten aufzubringen, die in kaum einer Metropole der Welt so hoch sind wie in Hongkong. "Die vergangenen zwei Jahre waren tragisch für Hongkong. Die Menschen in der Stadt sind voller Wut. Und es ist traurig, mitanzusehen, wie der Ort, an dem man aufgewachsen ist und den man geliebt hat, sich so zum Negativen gewandelt hat", sagt Chau. Viele Unternehmen in der Stadt seien gezwungen gewesen, inmitten der Krise sogar ihre Teilzeitkräfte zu entlassen.
Kleinbetriebe und Tourismus als Leidtragende
Es sind vor allem die kleinen Unternehmen Hongkongs, die seit dem vergangenen Jahr am stärksten unter den Auswirkungen der Proteste zu leiden hatten und die jetzt die volle Wucht der Coronavirus-Krise verkraften müssen. Bis Dezember 2019 machten 340.000 kleine und mittlere Unternehmen mehr als 98 Prozent aller Unternehmen in Hongkong aus und beschäftigten nach Angaben der Regierung rund 1,3 Millionen Menschen. Durch die Pandemie waren etwa 1.000 Restaurants und Lebensmittelläden in der ganzen Stadt gezwungen, zu schließen oder ihre Geschäftstätigkeit einzustellen.
Am 27. März forderte die Regierungschefin der Stadt, Carrie Lam, alle Restaurants und Imbisse auf, die Zahl der jeweils zu bedienenden Gäste um die Hälfte zu reduzieren, die Tischbelegung auf vier Personen zu beschränken und die Tische im Abstand von 1,5 Metern aufzustellen. Inzwischen sind wieder acht Personen pro Tisch zugelassen.
Hongkongs Regierung verbot außerdem die Einreise ausländischer Besucher, um eingeschleppte Corona-Infektionen zu verhindern. Der Tourismus ging daraufhin im ersten Quartal 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 80 Prozent zurück. Ein Schock für alle Unternehmen, die in der Stadt von den vielen Touristen und Geschäftsreisenden abhängig sind, die normalerweise jedes Jahr in die asiatische Weltstadt und Finanzmetropole pilgern. Hongkong konnte die Zahl der an COVID-19 Erkrankten auf rund 1050 begrenzen, vier an der Krankheit Verstorbene wurden bislang registriert.
Die Wirtschaft bricht massiv ein
Doch Hongkongs Wirtschaft schrumpfte im ersten Quartal 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 8,9 Prozent. Das war das größte Minus seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1974, wie das Statistische Amt der Stadt am 4. Mai mitteilte. Einer der Hauptgründe für den Konjunktureinbruch war nach Regierungsangaben der Rückgang des privaten Konsums um 10,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Folgen der COVID-19-Pandemie haben Hongkong in die tiefste Rezession seit der globalen Finanzkrise im Jahr 2009 gestürzt.
Schon vor dem Shutdown zur Eindämmung des Corona-Ausbruchs hatte Hongkong mit einer Rezession zu kämpfen. Seit dem dritten Quartal 2019 befand sich die Wirtschaft im Rückwärtsgang. Das war nicht allein eine Folge der eskalierenden Konflikte zwischen Protestbewegung und Regierung in der zweiten Jahreshälfte; die Volatilität an den globalen Waren- und Finanzmärkten sowie die Auswirkungen des US-Handelskonflikts mit China kamen noch hinzu.
Anfang Mai dieses Jahres gaben dann die Aktienmärkte nach, als US-Präsident Donald Trump China wegen dessen Krisenmanagements bei der Corona-Epidemie scharf kritisierte. Trump behauptete, das Virus stamme aus einem Labor in Wuhan und drohte mit neuen US-Strafzöllen auf chinesische Waren.
Demonstranten missachten Abstandsregeln
Seit einer Woche ist Hongkong dabei, die strengsten Corona-Maßnahmen zu lockern, wobei die grundlegenden Gesundheits- und Hygienevorschriften weiter gelten. Viele Restaurants und Cafés können trotzdem nicht öffnen oder müssen ihren Betrieb weiter stark einschränken, weil der Platz für die Abstandsgebote in der dicht bebauten Metropole fehlt. Und alle Läden, in denen hauptsächlich Alkohol verkauft wird, müssen voraussichtlich mindestens weitere zwei Wochen geschlossen bleiben.
Ökonomen in Hongkong warnen trotz der langsamen Rückkehr zur Normalität vor zu großem Optimismus. Die Lockerung der Abstandsregeln in der Öffentlichkeit könnte die Demokratiebewegung wieder zurück auf die Straßen bringen und damit die Wirtschaft in Hongkong weiter belasten.
Allerdings zeigten Protestaktionen der vergangenen Tage, dass die bestehenden Distanzregeln die Menschen in Hongkong nicht von Demonstrationen abhalten. Die Polizei meldete am vergangenen Montag die Verhaftung von 230 Personen, die an verschiedenen Aktionen der Demokratiebewegung teilgenommen hatten, einige von ihnen waren erst zwölf Jahre alt. Die Behörden warfen den Festgenommenen vor, sie hätten das Versammlungsverbot für Gruppen von mehr als acht Personen missachtet. Am Mittwoch kam es erneut zu Protestaktionen, diesmal in mehreren Einkaufszentren. Zielscheibe war die bei den Aktivisten verhasste Regierungschefin Carrie Lam, die an diesem Tag Geburtstag hatte.
"Regierung muss uns zuhören"
Das Wiedererstarken der Proteste könnte die Hoffnung auf eine wirtschaftliche Erholung zunichte machen, befürchten Ökonomen. Elyce Chau sieht das anders. Sie glaubt, dass positive Veränderungen und Verbesserungen im Arbeitsleben von Millionen von Hongkongern nur dann eintreten werden, "wenn die Regierung uns wirklich zuhört und die Menschen in Hongkong respektiert". Die Rezession komme so oder so, meint Chau. "Und wir nehmen diese Herausforderung an, um gestärkt und mit neuen Erfahrungen aus der Krise hervorzugehen."