Literaturfest mit Aha-Effekt
17. März 2015Die Eintrittskarten waren im Nu fast ausverkauft. Zum 15. Mal feiert ganz Köln das kommerziell erfolgreichste Literaturfestival Deutschlands, noch bis zum 21. März. An elf aufeinanderfolgenden Abenden bilden sich lange Schlangen vor den Eingängen von Dutzenden Veranstaltungsorten. Die Veranstalter der "lit.Cologne" erwarten bis zum Ende 100.000 Besucher und sprechen vom größten Literaturfest Europas.
Literarisches Kaleidoskop
Das wichtigste Erfolgsrezept des internationalen Festivals besteht darin, Prominenz und Literatur – in dieser Reihenfolge – gemeinsam auf die Bühne zu bringen. Und sie kommen alle: etwa 350 Autoren, Schauspieler, Moderatoren, aber auch Musiker, Politiker und Philosophen, Comedians, Bienenzüchter oder Fußballfreunde. Darunter die besten oder zumindest bekanntesten Deutschlands und, soweit es die Autoren betrifft, der Welt. Die Mischung macht's. Denn das ist das zweite große Erfolgsgeheimnis: Die lit.Cologne hat zwar Grundlinien, aber kein übergeordnetes Thema, und so findet sich das literarische Kaleidoskop zum globalen Zeitgeschehen, die prosaische oder poetische Spiegelung verwandter Künste oder individueller Befindlichkeiten in mehr als 200 Veranstaltungen bunt gemischt präsentiert. Ernsthaft oder mit viel Witz, in jedem Fall aber unterhaltsam. Sehr unterhaltsam.
Neue Lesarten
Das bringt zum Beispiel den Weltbestseller-Autor Frank Schätzing mit dem ehemaligen israelischen Botschafter in Deutschland Avi Primor unter dem Etikett "Brückenbauer" zusammen – im Dialog über den Palästina-Konflikt oder das deutsch-israelische Verhältnis. Oder den Popmusiker Herbert Grönemeyer mit dem Schriftsteller und Lyriker Michael Lentz ins Gespräch über die Texte des Sängers. Ähnliche, nach erstem Eindruck erstaunliche Paarungen oder Kombinationen gibt es viele bei der lit.Cologne, und sie sorgen durch den neuen Kontext für den Aha-Effekt, der dem Publikum so viel Vergnügen bereitet. "Liegen meine Sterne im Gewühl / fangen die Tage an / mit mir zu streiten / sind die Grenzen längst gesetzt" – der Anfang von Grönemeyers Song "Morgen", plötzlich ein Gedicht?
Natürlich gibt es ein paar formale Kriterien für die Buchauswahl: Es muss sich um Neuerscheinungen handeln, und die Titel dürfen nicht bereits in Köln präsentiert worden sein. Abgesehen davon sind die Organisatoren sehr kreativ und lassen sich bei ihrer Themensetzung durchaus von eigenen Interessen und literarischen Vorlieben leiten.
Unwiderstehliche Titel
Liebe ist in diesem Zusammenhang ein gutes Stichwort: "Willst Du mit mir gehen? Ja □ Nein □ Vielleicht □" ist der unwiderstehliche Titel zu einem Abend, an dem "die schönsten und die kläglichsten Liebeserklärungen der Menschheitsgeschichte" präsentiert werden, unter anderen von der spätestens seit ihrem TV-Einsatz als Krimikommissarin deutschlandweit prominenten Schauspielerin Nina Kunzendorf. Genau so funktioniert die lit.Cologne.
Dass Literatur und Zuhören Spaß machen muss, ist auch ein Gebot bei der Programmauswahl für Kinder und Jugendliche, die Reihen "lit.kid.Cologne" und "Klassebuch". Was nicht heißt, dass nicht auch politische Themen wie die Geschichte der pakistanischen Friedensnobelpreisträgerin Malala mit dem Buch von Patricia McCormick behandelt werden können.
Nachdenken im "Literarischen Salon"
Humorvolle Reflexion, literarisches Entertainment, spaßhaftes Ausprobieren neuer Formen – der lit.Cologne würde die Basis fehlen, wären da nicht noch diejenigen Schriftstellerinnen und Autoren, die ihre Werke leise und inhaltlich konzentriert präsentieren.
Die Schweizerin Gertrud Leutenegger zum Beispiel, im "Literarischen Salon" im Gespräch mit den Kollegen Guy Helminger und Navid Kermani über ihr Buch "Panischer Frühling". Da führt das ruhige Nachdenken über "das Gewicht der Erinnerung" zur Frage, ob es die Aufgabe von Literatur sein muss, "gegen die Barbarei der Gegenwart anzuschreiben", der Dialog über "Fragmente der Lebenslandschaften" politisch konkret zur Anti-Überfremdungsinitiative in der Schweiz.
Sehr zum Gelingen des Kölner Literaturfestes trägt schließlich auch der Synergieeffekt mit der Leipziger Buchmesse und ihrem "Lesefest" bei. Weit von einander entfernt, befruchten sich die beiden großen Literaturveranstaltungen, indem sie es Verlagen und Autoren leicht machen, innerhalb weniger Tage an beiden opulenten Festivals mitzuwirken.