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"Literatur in Zeiten der Unfreiheit"

Sabine Peschel18. September 2016

Autoren und Journalisten müssen sich in Asien immer mehr gegen Repressionen wehren. Wie lassen sich ihre Freiräume besser verteidigen? Beim Internationalen Literaturfestival Berlin wurde nach Lösungen gesucht.

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Indien Proteste Meinungsfreiheit (Foto: Getty Images/AFP/M. Sharma)
Bild: Getty Images/AFP/M. Sharma

In vielen Ländern des asiatischen Kontinents wird die Meinungsfreiheit zunehmend eingeschränkt. In China hat die Repression unter Präsident Xi Jinping ungeahnte Ausmaße angenommen. Nach Angaben des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) sind dort fast 50 Journalisten inhaftiert, Reporter ohne Grenzen spricht von 23 Journalisten und 84 Bloggern. In Myanmar sind inzwischen die Grenzen des Öffnungskurses deutlich erkennbar. Auf den Philippinen bleiben Maßnahmen zum besseren Schutz von Journalisten wirkungslos. Schwere Gewalttaten gegen Medienschaffende in Indien und Bangladesch sind nicht verfolgt worden. Die Liste ließe sich fortsetzen, denn selbst in Japan ist die Medienfreiheit deutlich zurückgegangen - oft durch Selbstzensur der Journalisten.

Auch die Kunst und die Literatur ist von dieser Entwicklung betroffen. Anlass für die Heinrich-Böll-Stiftung im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals Berlin mit zwei Autoren, die sich in Asien für Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit einsetzen, über den Kampf gegen immer stärker eingeschränkte Spielräume zu sprechen: Pankaj Mishra lebt in Indien und Großbritannien. Der Essayist, Literaturkritiker und Schriftsteller wurde spätestens durch sein Buch "Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens" zu einem der globalen Diskussionsführer. Der indonesische Schriftsteller Eka Kurniawa wurde von dem amerikanischen Nachrichtenmagazin "Foreign Policy" zu den wichtigsten globalen Intellektuellen 2015 gerechnet, da er "die indonesische Literatur am globalen Horizont platziert" habe. Gemeinsam mit Katrin Altmeyer, der Leiterin des Asien-Referats der Heinrich-Böll-Stiftung, loteten sie die Möglichkeiten und Grenzen der aktuelle Situation für asiatische Autoren und Journalisten aus.

Die Bedrohung der Meinungsfreiheit ist ein globales Phänomen

"Die Frage der Meinungsfreiheit und ihre Bedrohung durch autokratische Systeme muss in einem viel weiteren Zusammenhang gesehen werden, als wir das gewöhnlich tun", sagte Pankaj Mishra. "Was wir zur Zeit erleben, ist ein umfassenderer Angriff auf viele Dinge, die wir in Demokratien schätzen gelernt haben. Die Meinungsfreiheit gehört dazu, aber auch die Vorstellung von Wahrheit in der Politik." Man müsse die globale Entwicklung betrachten, Asien allein in den Blick zu nehmen, sei irreführend. Beispielsweise hätten auch die britischen Medien in der Brexit-Diskussion eine verheerende Rolle gespielt, so der Autor weiter.

Pankaj Mishra (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)
Intellektueller von Weltrang: Der indisch-britische Publizist Pankaj MishraBild: picture-alliance/dpa

"Es gibt verschiedene Arten der Repression", erklärte Mishra. "Darunter ist auch die Unterdrückung durch den Markt." Indien sei zwar die älteste asiatische Demokratie, aber die Medien gehörten Konzernen, die fast allesamt das hindu-nationalistische Regime Narendra Modis unterstützten. Und dieses habe sehr wenig Toleranz für freies Denken und Diskussionen. "Das Ergebnis ist, dass Schriftsteller und Journalisten unter Druck sind wie nie zuvor." Letztlich setze eine globale Medien-Elite einer pluralistischen Debatte ihre Grenzen.

Schriftsteller befänden sich grundsätzlich in einer kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, religiösen und politischen Mächten. Vielleicht sei es eine romantische Verklärung, von ihnen einen großen gesellschaftlichen Einfluss zu erwarten. "Wir müssen anerkennen, dass das, was Schriftsteller tun, immer riskant ist", erinnert Pankaj Mishra.

"Wir können alles schreiben, aber niemand liest uns"

In Indonesien tragen Autoren und Journalisten noch die Last der jüngeren Vergangenheit. Nach dem Sturz des Diktators Suharto 1998 sei Indonesien oberflächlich zwar demokratischer geworden, aber dieselben Eliten und das Militär seien nach wie vor an der Macht, berichtete Eka Kurniawan. "Die Gesellschaft ist offener geworden. Man kann alles sagen und schreiben, vor allem im Internet und den sozialen Medien." Für Autoren hieße das, dass die Situation zwar hoffnungsvoll, aber auch herausfordernd sei. "Wir können uns als Autoren glücklich schätzen, dass wir schreiben können, was wir wollen. Aber, es spielt keine Rolle: Niemand liest uns." Für die indonesischen Schriftsteller bedeute das, dass ihr Kampf um Freiheitsrechte am ehesten noch auf dem Umweg über das Ausland aussichtsreich sei. "Erst nachdem der Film 'The Act of Killing' im Ausland so bekannt geworden ist, haben wie in Indonesien unsere Vergangenheit stärker reflektiert."

Eine liberale Sprachpolitik ist Voraussetzung für die Meinungsfreiheit

In den meist vielsprachigen asiatischen Gesellschaften ist auch die Sprachpolitik der jeweiligen Regierung für die Ausdrucksmöglichkeiten von Autoren relevant. Freiheit ist auch eine Frage der Sprache, in der sich ein Schriftsteller ausdrücken kann, daran erinnerte Eka Kurniawan. Für die meisten indonesischen Autoren sei dies jedoch nicht ihre Muttersprache, sondern das dem Malaiischen verwandte Einheitsidiom "Bahasa Indonesia". Es wird zwar von 162 Millionen Indonesiern gesprochen, ist aber nur für die Javaner, etwa 21 Millionen Menschen, auch die Regionalsprache, mit der sie aufwachsen. "Es ist gut, dass wir diese Sprache haben und uns so alle miteinander verständigen können", sagte Kurniawan, "aber gleichzeitig ist es auch schlecht, denn uns fehlt ein heimatliches Idiom."

Indonesischer Autor Eka Kurniawan (Foto: Getty Images/AFP/Goh Chai Hin)
Eka Kurniawan, Autor von "Beauty is a Beast" und "Tigermann"Bild: Getty Images/AFP/Goh Chai Hin

Auch in Indien gibt es neben mehreren Amtssprachen zahllose Dialekte, von denen einige vom Aussterben bedroht sind. Dass Sprache verschriftlicht und in Form von Literatur auf gedruckten Seiten festgehalten werde, sei jedoch - menschheitsgeschichtlich betrachtet - eine noch junge Entwicklung, findet Pankaj Mishra. Und sie ist jetzt gefährdet.

Die digitale Revolution zerstört den Diskurs

"Die Gutenberg-Revolution, die uns bedruckte Seiten beschert hat, war etwas äußerst Besonderes: Sie appellierte an die Vernunft. Man begann zu lesen, setzte sich mit Argumenten auseinander. Man dachte nach, schrieb darüber." Mit der Einführung des Fernsehens habe sich das geändert. Schon in den 1960ern habe eine neue Ära begonnen, die jetzt in das digitale Zeitalter übergegangen sei. "In vielen Teilen Asiens, wo die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben an sich oft noch relativ jung ist, sind die Menschen plötzlich mit der digitalen Revolution konfrontiert. Sie lesen keine Zeitungen mehr und verlernen es, zu reflektieren und zu debattieren."

Mishra führt seine Anschauung in Myanmar als Beispiel an: "Achtzig Prozent der Menschen in Rangoon haben enorm große chinesische Smartphones, ihr erster Geschmack von Luxus. Und sie sind davon abhängig." Selbst in einem der ärmsten Länder der Welt ließe sich die dramatische Abkehr von Büchern oder gedruckten Medien beobachten. "Das ist ein dramatischer Übergang, der all unsere Konzepte von Lesen, Schreiben und Nachdenken infrage stellt, und das überall. Das betrifft auch nicht nur die ganz jungen Leute, sondern auch die jetzt 40- oder 50-Jährigen." Der Gutenberg-Ära entstammende Konzepte, Dinge zu begreifen und mit der Welt in Verbindung zu treten, änderten sich fundamental, nicht nur in Asien, sondern global.

Kurniawan und Mishra haben den Blickwinkel auf die Bedingungen der Unfreiheit erweitert. Lösungen, Autoren in ihrem Kampf für mehr Meinungsfreiheit zu unterstützen, haben auch sie nicht. "Wir leben in einer Welt seltsamer Phänomene", fasst der indisch-britische Autor zusammen. Einem davon wird er sich in seinem nächsten Projekt zuwenden: Er will ein Buch über den militanten Buddhismus schreiben.