Listicle: Der serbisch-kosovarische Konflikt
23. März 2018Die lange Genese
Der als Kosovo-Krieg bekannte Konflikt von 1998/99 hat eine lange Vorgeschichte, die wenigstens bis 1912 zurückreicht. Damals, nach dem Sieg der Balkanländer über die Osmanen, wurde das mehrheitlich von Albanern besiedelte Kosovo ein Teil Serbiens. Der nationale Mythos der Serben, der mit dieser Region verbunden ist, ist noch viel älter. 1389 verlor man auf dem Amselfeld - dem heutigen Kosovo - gegen die osmanischen Besatzer. In der kollektiven Erinnerung der Serben ist die Niederlage bis heute präsent. Nach der Überlieferung sehen sie sich als tapfere Widerständler, die tragisch endeten. Seitdem gilt Kosovo als "die Wiege des Serbentums".
Ende der 1980er Jahre beschnitt das Belgrader Regime unter Slobodan Milosevic systematisch die Autonomie des Kosovo, die ihm im sozialistischen Vielvölkerstaat Jugoslawien zuerkannt wurde. Die Albaner wehrten sich. In der Folge kam es zu systematischen Verbrechen und Vertreibungen an Kosovo-Albanern, die als Reaktion darauf zu aktivem Widerstand übergingen. So entstand die Guerilla-ähnliche "Befreiungsarmee des Kosovo" (UCK), die ebenfalls Verbrechen verübte.
Im Frühjahr 1999 eskalierte die Gewalt. Von systematischen Massenvertreibungen der Albaner durch die Serben war die Rede. Wenig später intervenierte die NATO mit massiven Luftangriffen. Nach 78 Tagen heftiger Bombardements konnte eine UN-Resolution verabschiedet werden. Auf dieser Basis wurde Kosovo zu einer Art internationalem Protektorat und war praktisch von Serbien abgespalten. Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo mit westlichem Segen kam am 17. Februar 2008 - es ist bis heute der jüngste Staat Europas. Das wird in Belgrad ganz anders gesehen. Dort ist das Amselfeld nach wie vor "die serbische Südprovinz".
Wer hat das Kosovo anerkannt?
Bis auf fünf EU-Mitglieder, die alle selber sezessionistische Probleme haben, ist Kosovo von der EU anerkannt. Nicht aber in Spanien, Griechenland, Zypern, Rumänien und der Slowakei. Weniger eindeutig ist die Anerkennungsquote im internationalen Maßstab. Pristina nennt genau 116 Staaten, doch die Zahl schwankt. Der Premierminister von Guinea-Bissau wusste beispielsweise bis vor kurzem nicht, dass sein Staat Kosovo anerkennt.
Fest steht: Während Kosovo diplomatisch aktiv ist, kleinere Staaten zur Anerkennung zu aktivieren, drängt Belgrad andere Staaten, die schon ihre Anerkennung ausgesprochen haben, diese wieder zu annullieren. Eine doppelte Posse, die für viel Unterhaltung und Spott in den sozialen Netzwerken sorgt.
Viel wichtiger in der Anerkennungsfrage sind die UN-Vetomächte Russland und China, die eine Aufnahme des Kosovo in die UNO blockieren. Und das, obwohl der Kreml-Chef Vladimir Putin die Krim-Annexion just mit Kosovo als Präzedenzfall rechtfertigte. Noch vor zwei Jahren mutmaßte die Belgrader Zeitung "Blic", wenn der Westen die Aneignung der Krim akzeptiere, wäre Putin bereit, den UN-Weg für das Kosovo zu ebnen.
Der brotlose Dialog
Politische Gespräche zwischen den Konfliktparteien dauern schon seit sieben Jahren an. In Brüssel hat die EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini die undankbare Rolle der Moderatorin übernommen. Rein bilaterale Treffen in Belgrad oder Pristina sind tabu - auch weil beide Seiten von einst erbitterten Kriegsfeinden regiert werden. Der starke Mann in Belgrad ist Präsident Aleksandar Vucic, in den Neunzigern noch ein nationalistischer Falke. Die beiden Hauptfiguren auf kosovarischer Seite - Staatsoberhaupt Hashim Thaci und Regierungschef Ramush Haradinaj - waren in der Führungsriege der UCK. Haradinaj wird in Serbien wegen unterstellter Kriegsverbrechen gesucht.
Es wurden insgesamt mehr als 30 "technische" Vereinbarungen unterschrieben, obwohl nicht alle vollständig umgesetzt wurden. Der Durchbruch - so sah es wenigstens damals aus - klappte 2013, als das sogenannte Brüsseler Abkommen unterzeichnet wurde. Viel Mühe wurde investiert, das zweiseitige Dokument zu Hause als Erfolg zu verkaufen. Kurz gesagt: Serbien verpflichtete sich, die eigenen halblegalen Institutionen in dem von Serben bewohnten Norden des Kosovo abzuschaffen. Pristina sollte im Gegenzug eine "Gemeinde der serbischen Kommunen" schaffen, die über eine begrenzte Autonomie verfügt. Die mutmaßliche Einigung scheiterte.
Die Scharfmacher
Die Regierung in Pristina ist seit Jahren nur begrenzt handlungsfähig. Premierminister Haradinaj verfügt nur über eine dünne Mehrheit, die noch dazu von serbischen Abgeordneten abhängig ist. Stärkste politische Kraft ist die oppositionelle "Vetevendosja", übersetzt: Selbstbestimmung. Der Name ist das Programm der linksnationalistischen Bewegung, die gegen Korruption und Vetternwirtschaft, aber auch gegen den aktuellen Dialog mit Belgrad kämpft.
"Wir möchten das Recht, uns mit Albanien zu vereinen", fordert Albin Kurti, der Kopf der Bewegung, in einem DW-Interview. Vor allem junge Albaner, von denen die Hälfte arbeitslos sind, unterstützen die Bewegung, die aber tief zerstritten ist.
Die serbischen Scharfmacher sind hingegen weitgehend neutralisiert, denn der wichtigste unter ihnen, Belgrads Machthaber Vucic, zeigt sich in seinem zweiten politischen Leben als überzeugter Europäer. Solange er gegenüber der EU in der Kosovo-Politik "funktioniert", stören seine halbdemokratischen Praktiken im Umgang mit den Medien und der Justiz nur wenige in Brüssel.
Eine Teilung?
Eine Idee, so alt, wie der Konflikt selbst. Das Nordkosovo solle an Serbien angegliedert sein (oder in Serbien bleiben, je nach Perspektive), vielleicht sogar gegen das Presevo-Tal, ein von Albanern bewohntes Gebiet in Südserbien, eingetauscht werden. Im überwiegend serbisch bewohnten Nordkosovo, einem winzigen Territorium von etwa 42.000 Einwohnern, führen Hardliner und Kriminelle aus Belgrad das Wort. Wer ihren Kurs verlässt, muss mit dem Schlimmsten rechnen. Im Januar wurde dort der bekannte Oppositionspolitiker Oliver Ivanovic am helllichten Tag ermordet. Die Tätersuche bleibt bis heute erfolglos.
In Serbien finden sich prominente Unterstützer für eine Teilung. Es wäre die Grundlage für die Unabhängigkeit des Rest-Kosovos. Doch von der Idee hält man in Washington und Brüssel nichts. "Es ist auf jeden Fall ein Öffnen der Büchse der Pandora", sagte der österreichische Politiker Erhard Busek der DW schon vor gut zehn Jahren. Eine Teilung entlang der ethnischen Linien würde ähnliche Bestrebungen auf dem Balkan stärken. Serben und Kroaten aus Bosnien oder die Albaner aus Mazedonien hätten einen Präzedenzfall, auf den sie sich berufen könnten.
Was jetzt?
Noch versucht die EU, mit Zuckerbrot statt mit Peitsche zu operieren. Als Zuckerbrot lockt die bislang noch undeutliche Perspektive eines EU-Beitritts. Die neue Erweiterungsstrategie in Brüssel nennt das Jahr 2025 als mögliches Beitrittsjahr für Serbien und Montenegro. Im Falle Serbiens geht es weniger um die Rechtsstaatlichkeitskriterien, als vielmehr um Kosovo. Ein "umfassendes rechtsverbindliches Normalisierungsabkommen" zwischen Belgrad und Pristina müsse her, je schneller, desto besser. Dann hat auch Kosovo die Perspektive.
"Alle Vorschläge, die man debattiert, beinhalten das Modell des deutsch-deutschen Abkommens", meint Igor Novakovic, Experte des Council for Inclusive Governance, einer internationalen NGO. Es fußt auf dem Grundlagenvertrag zwischen BRD und DDR von 1972. Der hielt fest, dass man über die nationale Frage nicht einig sei, aber gegenseitige Beziehungen aufbauen möchte. Im Fall von Serbien und Kosovo würde so die Statusfrage in Klammern stehen. "So bestehen faktisch zwei Entitäten, die sich gegenseitig nicht anerkennen, aber die Rechte des Anderen in internationalen Beziehungen akzeptieren", sagte Novakovic der DW.
Das wäre dann ein Freibrief für die UN-Mitgliedschaft und die EU-Perspektive von Kosovo. Was Serbien dafür bekommen würde, kommt der berühmten "Eine-Million-Dollar-Frage" nahe. Mehr soll im April bekannt werden, wenn der serbische Präsident Vucic seinen Vorschlag für den "historischen Kompromiss der Serben und Albaner" präsentieren will. Die Uhr tickt.