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Listicle: Deutschlands Migrationsgeschichte

Jan D. Walter17. September 2015

Deutschland - Einwanderungsland? Die Debatte dreht sich seit Jahren im Kreis. Letztlich ist es eine Definitionsfrage. Dass große Migrationsbewegungen Bestandteil der deutschen Geschichte sind, ist hingegen unstrittig.

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Ein Beamter heftet den Leuten Tickets für den Weitertransport per Zug an die Mäntel. (Foto: Getty Images/Lewis W. Hine)
Eine deutsche Familie lässt sich auf Ellis Island in New York als Immigranten registrieren. Foto um 1905Bild: Lewis W Hine/Getty Images

17. Jahrhundert: Europas Religionskriege

Während des Dreißigjährigen Krieges flohen viele Menschen vor den marodierenden Heeren, die mit ihren Gräueltaten und durch die Übertragung von Seuchen ganze Landstriche entvölkerten. Nach dem Westfälischen Frieden 1648 kehrten viele Flüchtlinge in ihre alte Heimat zurück. Zudem luden die deutschen Fürsten arbeitskräftige Steuerzahler aus ganz Europa zur Ansiedlung ein. Eine größere Gruppe stellten Frankreichs Protestanten, die vor den katholischen Repressalien Ludwigs XIV. flohen. Rund 35.000 Hugenotten siedelten sich vor allem im protestantischen Norddeutschland an.

Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen Der Simplicissimus, (Radierung von Hans Ulrich Franck)
Szenen aus dem Dreißigjährigen Krieg: Soldaten treiben Bauern und Vieh fort. Radierung von 1655Bild: Eichborn

18./19. Jahrhundert: Deutscher Exodus

Missernten und Hungersnöte in deutschsprachigen Gebieten drängten viele Menschen zur Emigration, zwischen 1680 und 1800 siedelten sich rund 750.000 Deutsche in Ost- und Südosteuropa an. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wuchs die Migrationsbewegung weiter, wechselte aber die Himmelsrichtung. Bis Ende des 19. Jahrhunderts wanderten mehr als fünf Millionen Deutsche in die Vereinigten Staaten von Amerika aus.

Spätes 19. Jahrhundert: Migrantenmagnet Industrialisierung

Die Reichsgründung 1871 beschleunigte Deutschlands Industrialisierung rapide. Obwohl nun weniger Menschen auswanderten, reichten die Arbeitskräfte nicht. Deutschland wurde wieder zum Einwanderungsland. Am Vorabend des ersten Weltkriegs arbeiteten rund 1,2 Millionen "Wanderarbeiter" zumeist aus Polen in Deutschland.

Emigranten an Bord hinter einem Rettungsring mit der Aufschrift "Crefeld" und "Bremen" (Foto: Die Maus - Gesellschaft für Familienforschung)
Die "Crefeld" brachte ab August 1922 deutsche Emigranten von Bremen nach Brasilien, Uruguay und ArgentinienBild: Die Maus - Gesellschaft für Familienforschung

1918 bis 1933: Weimarer Chaos-Republik

Die Grenzverschiebungen nach dem Ersten Weltkrieg zwangen mehr als zehn Millionen Europäer zur Umsiedlung. Die Oktoberrevolution trieb Hunderttausende Russen nach Deutschland. Und Deutsche, die vor den innenpolitischen und wirtschaftlichen Wirren der Weimarer Republik flohen, zog es nach Südamerika.

1933-1945: Deportation und Zwangswanderung

Hunderttausende politisch Verfolgte flohen zwischen 1933 und 1939 vor dem Nazi-Terror, darunter 400.000 der 500.000 Juden, die in Deutschland lebten. Während des Zweiten Weltkriegs wurden bis zu 12 Millionen ausländische Zwangsarbeiter in Deutschland eingesetzt. Noch mehr Menschen in Osteuropa wurden von deutschen Truppen verjagt oder deportiert, die dort Siedlungsraum für "Volksdeutsche" schaffen sollten.

Ausschnitt aus einer offenbar längeren Reihe schwer bepackter Frauen mit Kindern auf Wanderschaft. (Foto: Picture-alliance/AKG-images)
Polnische Flüchtlinge im Zweiten Weltkrieg auf dem Weg durch Russland in den IranBild: picture alliance / akg-images

1945-1955: Umsiedlung, Vertreibung, Deportation

Ab 1943 wendete sich das Blatt. Nun flohen Deutsche vor der sowjetischen Roten Armee. In den Nachkriegsjahren wurden rund 13 Millionen Deutsche systematisch aus besetzten Reichsgebieten, die heute nicht mehr zu Deutschland gehören, aber auch aus anderen osteuropäischen Ländern vertrieben. Insgesamt machte der Zweite Weltrieg 50 bis 60 Millionen Europäer - also etwa zehn Prozent der Bevölkerung - zu Flüchtlingen, Vertriebenen oder Deportierten.

1949-1961: Deutsch-deutsche Migration

Mit der Gründung der beiden deutschen Staaten teilt sich auch die Migrationsgeschichte vorübergehend. Gemeinsam ist ihnen, dass sowohl die BRD, als auch die DDR ab Mitte der 1950er-Jahre ausländische Arbeitskräfte anwarben. Die DDR versuchte damit vor allem die Abwanderung von 2,7 Millionen Menschen nach Westdeutschland zu kompensieren, die bis zum Mauerbau 1961 "rübermachten".

Vietnamesische Auszubildende und Studenten 01.05.1971 Dresden (Foto: Imago)
Vietnamesische Auszubildende und Studenten demonstrieren in Dresden gegen den VietnamkriegBild: imago

1949-1989: Sozialistische Vertrags-Migration

Zwischen 1966 und 1989 holte die DDR-Führung rund eine halbe Million Arbeitskräfte ins Land. Die "Vertragsarbeiter" kamen aus Vietnam, dem europäischen Ostblock, aber auch anderen sozialistischen Bruderstaaten wie Mosambik und Kuba. Ihr Aufenthalt war zeitlich begrenzt und der Kontakt zur DDR-Bevölkerung unerwünscht. Bei der Wiedervereinigung lebten knapp 100.000 Arbeitsmigranten in Ost-Deutschland.

1955-1973: Gastarbeiter für das Wirtschaftswunder

Die Bundesrepublik benötigte für ihr Wirtschaftswunder deutlich mehr Arbeitskraft. Zwischen 1955 und 1973 holten Unternehmen und Behörden rund 14 Millionen "Gastarbeiter" aus Italien, Marokko, der Türkei und anderen Mittelmeerländern nach West-Deutschland. Etwa drei Millionen von ihnen blieben, holten ihre Familien nach und gründeten so eine der größten Gruppen von Deutschen mit Migrationshintergrund.

Rainer Werner Brigitte Mira und El Hedi ben Salem beim Tanzen in Fassbinders Film "Angst essen Seele auf" (Foto: Imago/United Archives)
Porträt der Vorurteile gegenüber "Gastarbeitern": Rainer Werner Faßbinders Film "Angst essen Seele auf" von 1973Bild: Imago/United Archives

1973-2000: Die Aussiedler kommen

Auch nach dem Anwerbestopp 1973 wuchs die ausländische Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik bis 1989 weiter von vier auf fünf Millionen. Grund war das Familienwachstum der Gastarbeiter, aber auch der Zuzug einer Migrantengruppe, die erst mit Ende des Kalten Krieges in den Fokus rückte: 3,3 der 4,5 Millionen (Spät-)Aussiedler, die heute in Deutschland leben, sind nach 1987 eingewandert. Dazu zählen insbesondere Nachkommen deutscher Siedler aus der ehemaligen Sowjetunion und Rumänien.

1990-2014: Wieder Krieg in Europa

Das Zusammenbrechen des Ostblocks trieb massenweise Asylbewerber nach Deutschland. Zwischen 1990 und 1993 wurden 1,2 Millionen Asylanträge in Deutschland gestellt. Nach der Verschärfung des Asylrechts 1993 sank die Zahl der Anträge rapide. Die größte Gruppe von Menschen, denen Asyl gewährt wurde, stammte in den 90er-Jahren aus dem im Bürgerkrieg zerfallenden Jugoslawien. Mit der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union wuchs in den 2000er-Jahren der Anteil der EU-Immigranten. Insgesamt zogen zwischen 1991 und 2013 etwa 17 Millionen Ausländer - aus der EU und Drittländern - nach Deutschland.

Ein Junge im Anorak, die Finger um etwas Proviant gekrallt, dahinter weitere Flüchtlinge (Foto: Picture-alliance/dpa)
Frühjahr 1999: Kosovo-Albaner in Mazedonien auf der Flucht vor serbischen TruppenBild: picture-alliance/dpa

2015: #WelcomeRefugees

Weiterhin kommen viele Asylbewerber aus Ex-Jugoslawien und Albanien - 2014 waren es 30 Prozent aller Antragsteller. Ihre Erfolgschancen sind jedoch schlecht, weil ihre Länder als politisch sicher gelten. Ob sie in Deutschland sesshaft werden, ist daher fraglich. Wahrscheinlicher ist dies für die Hunderttausenden Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien und Irak, die inzwischen die größte Gruppe unter den Asylbewerbern bilden. Offiziell erwartet die Bundesregierung 800.000 Asylbewerber in diesem Jahr.