Linke: Der Funke springt kurz über
10. Juni 2017Dietmar Bartsch hat alle Höhen und Tiefen der Linken und ihrer Vorgängerin namens Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) seit 1990 durchgemacht - auch ganz persönlich. Seine größte Niederlage erlebte der Bundestags-Fraktionschef 2012 in Göttingen, als er in einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz dem völlig unbekannten Bernd Riexinger unterlag. Damals hielten viele eine Spaltung der Linken für möglich, die in hasserfüllte Grabenkämpfe verwickelt war. Vor diesem Hintergrund ist ihre Entwicklung in den zurückliegenden fünf Jahren durchaus erstaunlich.
Schon ein Jahr nach dem Tiefpunkt avancierte die Linke zur stärksten Oppositionsfraktion im Bundestag - vor den Grünen. Und drittstärkste Kraft will Bartsch auch bei der Bundestagswahl am 24. September werden. Daran lässt er am Samstag auf dem Parteitag in Hannover gleich zu Beginn seiner Rede keinen Zweifel. Sein selbstbewusst vorgetragenes Ziel honorieren die Delegierten mit viel Beifall. Bartsch gelingt es mit wenigen Sätzen, die vorher ehe gedämpfte Stimmung aufzuhellen.
"Natürlich sind wir bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen"
Trotz stagnierender Umfragewerte für die Linke und sinkender Zustimmung für Sozialdemokraten und Grüne macht Bartsch in Optimismus. Seine zumindest theoretischen Sympathien für ein rot-rot-grünes Bündnis münden in ein klares Bekenntnis: "Natürlich sind wir auch bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen." Ein Satz, der aber nur deshalb bei der Basis gut ankommt, weil Bartsch sogleich Bedingungen stellt.
Es sind die bekannten Forderungen der Linken an SPD und Grüne für einen Politikwechsel: keine Kampfeinsätze der Bundeswehr, keine Rüstungsexporte, höhere Steuern für Reiche und Millionäre, höhere Löhne und höhere Renten, Investitionen in die öffentliche Infrastruktur. Natürlich weiß Bartsch, dass diese Liste mit seinen potentiellen Wunschpartnern bestenfalls teilweise durchsetzbar wäre. Und er kennt die in seiner Partei traditionell weit verbreitete Skepsis gegenüber Regierungsbeteiligungen.
Dietmar Bartsch wettert gegen "Lokführer" Martin Schulz
Auch und gerade deshalb fordert er als Spitzenkandidat der Linken, "im Wahlkampf unsere Erfolge in den Mittelpunkt zu stellen". Darunter versteht er unter anderem Vergünstigen für sozial Benachteiligte und Maßnahmen gegen steigende Wohnungsmieten. In Thüringen, Brandenburg und Berlin kann die Linke ihren Einfluss geltend machen - in diesen drei ostdeutschen Bundesländern ist sie an der Regierung beteiligt.
Für mehr wird es nach Lage der Dinge kurzfristig aber kaum reichen, schon gar nicht auf Bundesebene. Dafür fehlt, jedenfalls den Umfragen zufolge, die nötige Mehrheit. Schuld daran ist nach Bartschs Lesart die SPD. Es reiche nicht, wenn sie den "Lokführer" auswechsle, der Zug müsse auch in eine andere Richtung fahren. Damit spielt er auf SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und seinen Kurs an. Davon hält Bartsch genauso wenig wie sein Parteivorsitzender Bernd Riexinger, der vor ihm redete. "Ohne Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums seien alle Versprechungen Schall und Rauch", wetterte er Richtung SPD.
Gregor Gysis neue Rolle
Als größtes Problem für Deutschland und Europa betrachtet die Linke jedoch Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Sparkurs ihres Finanzministers Wolfgang Schäuble. Damit hätten sie das europäische Projekt "an den Rand des Scheiterns" gebracht. Bartsch verknüpft diesen Vorwurf mit seinem zentralen Wahlkampf-Appel. Deutschland sei nicht das Land von Merkel und Schäuble. "Das ist unser Land. Holen wir es uns zurück!" Und obwohl alle im Saal ahnen, dass es für eine Regierungsbeteiligung der Linken nicht reichen wird, sind die Delegierten von ihrem Spitzenkandidaten begeistert. Eine Stimmung, die auf dem Parteitag sonst nirgends spürbar ist.
Später tritt auch noch ein Mann als Redner auf, der bis 2015 das Gesicht der Linken schlechthin war: Gregor Gysi. Bartschs Vorgänger als Fraktionsvorsitzender im Bundestag spricht erstmals in seiner neuen Funktion als Präsident der Europäischen Linken. Bevor er seine Sorge über den Zustand der Europäischen Union zum Ausdruck bringt, erlaubt er sich eine Bemerkung zum Bundestagswahlkampf. Wenn man in die Politik gehe und für Parlamente kandidiere, müsse man zum Opponieren und Regieren bereit sein. "Aber in der Regierung können wir wirksamer und schneller etwas tun", schiebt Gysi nach. Einen Seitenhieb auf die Gegner jeglicher Regierungsbeteiligung erlaubt sich die graue Eminenz der Linken auch noch: "Wer nicht kompromissfähig ist, ist auch nicht demokratiefähig." Beifall gibt es für diesen Satz nicht.