Lindemanns Solo-Debüt
18. Juni 2015Schweine, Blut, Schleim, dazu Figuren wie aus einem Hieronymus-Bosch-Gemälde, die abwechselnd im düsteren Schmutz oder auf einer jungfräulich weißen Bühne agieren - im Hintergrund wabern schwerer Gitarrensound, finstere Chöre und treibende Schlagzeug-Beats. Der vor Hass triefende Text hat ungefähr diese Aussage: "Ich hasse mein Leben und dich und überhaupt alles, und ich finde Abtreibung toll".
Das kann der Rammstein-Sänger gut - fiese Texte verfassen, die hinter ihrer Brutalität eine Botschaft verstecken. Wer das nicht kennt, dürfte sich erst mal angeekelt wegdrehen und sich fragen, was für ein krankes Gehirn sich solche Zeilen ausdenkt. Herz, Schmerz, Blut, Fleisch, Tod und Tränen; Nekrophilie, Vergewaltigung und andere Abgründe menschlichen Daseins - das sind Sachen, die Till Lindemann interessieren. In seinen Texten schlüpft er in die Rollen der Freaks, die unsere Welt bevölkern, und liebt es zu provozieren. "Je mehr sich Leute darüber aufregen, desto mehr spornt mich das an, noch schlimmer zu dichten", sagt er in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt. So dürfen wir nun auch auf dem ersten Soloalbum von Till Lindemann wieder mit verstörenden, satirisch-ironischen Texten rechnen, über thailändische Ladyboys, über den alltäglichen Gebrauch von Pillen für und gegen alles, über einen alternden Macho oder über den Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen.
Der Schockrocker und der Metal-Gott
Das Soloprojekt des Rammstein-Sängers ist eigentlich gar kein Soloprojekt. Wie die anderen Rammstein-Musiker nutzte auch Lindemann die Kreativpause seiner Band, um endlich eine lang geplante Kooperation zu verwirklichen. Vor gut 14 Jahren lernte Lindemann den schwedischen Produzenten Peter Tägtgren kennen, der mit den beiden Death- und Black-Metalbands Hypocrisy und Pain in der Szene Ikonen-Status erreicht hat. Tägtgren ist ein Musikgenie - er spielt sämtliche Instrumente, komponiert und produziert. Schon immer wollten er und Lindemann etwas zusammen machen, dazu ist es nie gekommen. Der richtige Zeitpunkt kam dann, als Lindemann überlegte, was er in der zweijährigen Rammstein-Pause anstellen sollte - und Tägtgren an einem neuen Pain-Album arbeitete. Beide nisteten sich in Tägtgrens legendärem "Abyss"-Studio bei Stockholm ein, warfen ihre musikalischen Wurzeln zusammen, und so entstand "Skills In Pills" - ein Mix aus Rammstein-Gesang und Pain-Metal. Die Musiker erinnern sich gerne an die Zeit: "Die Produktion hatte einen gewissen Urlaubscharakter", erzählt Lindemann. "Peters Studio ist direkt an einem See gelegen. Ich konnte vom Fenster aus meine Angel auswerfen, und während wir gearbeitet haben, hat immer mal wieder was angebissen."
Bis auf die Orchester-Arrangements haben die beiden alles im Alleingang gemacht. "Wir sind eine Zwei-Mann-Band", sagt Till Lindemann, "sozusagen die Pet Shop Boys des Rock'n'Roll". Die Frage des Namens war schnell geklärt: Das Projekt nennt sich kurz und bündig "Lindemann" – in allen Sprachen gut auszusprechen.
"Für diese Platte kommen wir in die Hölle"
"Skills In Pills" erscheint am 19. Juni. Es wird, so versprechen die beiden, für jeden etwas dabei sein, für Headbanger wie für Romantiker, von heavy bis tanzbar. Lindemann singt mit seiner bekannten Rammstein-Stimme. Witzig: Er tut es auf Englisch. Mit einem starken deutschen Akzent. Nicht ganz unbeabsichtigt: Lindemann hatte zunächst versucht, den deutschen Akzent zu eliminieren, doch gerade das fand Tägtgren so charmant und bestand auf genau dieses "f***ing German English". Der Zuhörer gewöhnt sich schnell dran. Die Texte allerdings sind wieder harter Tobak. "Für diese Platte kommen wir auf jeden Fall in die Hölle", lacht Peter Tägtgren; beide hoffen, dass die Leute schnell den Humor, der hinter den Texten liegt, verstehen werden.
Das Ganze lässt sich auf Youtube schon mal gut an - das Video zu "Praise Abortion" ist vor drei Wochen online gegangen und hat bereits fast 2,5 Millionen Views.
Beide Musiker glauben, dass es nicht bei diesem einmaligen Projekt bleibt. Dazu habe es den beiden viel zu viel Spaß gemacht, heißt es bei "Metal Hammer"; außerdem planen Lindemann und Tägtgren ein paar gemeinsame Konzerte, wenn das Album gut läuft.
Diesen Herbst soll es übrigens auch Neues von Rammstein geben.