"Lifeline"-Kapitän: Vorgehen der EU widerlich
2. Juli 2018Der deutsche Kapitän des Flüchtlings-Hilfsschiffes "Lifeline" hat das harte Vorgehen von EU-Staaten gegen zivile Seenotretter scharf kritisiert. "Die EU nimmt das Sterben aus politischen Gründen in Kauf. Das ist widerlich", sagte Claus-Peter Reisch laut einer Erklärung der Organisation Mission Lifeline. "Die EU-Politik versucht mit aller Macht, Seenotrettung zu verhindern."
10.000 Euro Kaution, Pass eingezogen
Seit Anlaufen des Schiffs in Malta war der 57-Jährige mehrfach von der Polizei vernommen worden. Ein Gericht in der Hauptstadt Valletta entschied nun nach einer ersten Anhörung, dass Reisch gegen eine Kaution von 10.000 Euro auf freiem Fuß bleiben kann. Er darf aber Malta nicht verlassen, sein Pass wird eingezogen. Als nächster Gerichtstermin wurde der 5. Juli festgesetzt.
Die Behörden werfen den Flüchtlingshelfern vor, sich bei der Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer behördlichen Anweisungen widersetzt und gegen internationales Recht verstoßen zu haben. In der Anklageschrift wird den Helfern um Reisch zudem vorgehalten, dass die "Lifeline" in den Niederlanden falsch registriert ist. Bei der Anhörung bemängelte die Staatsanwaltschaft überdies, dass das Patent des Kapitäns nur für die Küstenschifffahrt bis zu 30 Seemeilen von der Küste entfernt gelte, nicht jedoch in internationalen Gewässern.
"Retter werden zu Tätern gemacht"
"Das Sterben im Mittelmeer geht weiter, während wir festsitzen", sagte Reisch. "Was ist das für eine Welt, in der die Retter zu Tätern gemacht werden? Was ist das für eine Welt, in der stärker gegen das Retten als gegen das Sterben vorgegangen wird?" Reisch kritisierte auch die maltesische Justiz und erhob schwere Vorwürfe gegen die libysche Küstenwache. "Ich stehe hier vor Gericht, aber warum steht hier nicht die libysche Küstenwache?", fragte der "Lifeline"-Kapitän. Die Küstenwache Libyens habe seine Besatzung und ihn "noch vor kurzem mit dem Tod bedroht". Bei "Rettungen" der Küstenwache würden regelmäßig Migranten sterben.
Reisch kündigte aber zugleich an, mit der Justiz zu kooperieren. "Ich stehe hier bei Gericht gern zu allen Fragen Rede und Antwort und werde dazu beitragen, alle Fragen aufzuklären." Er sei sich jedoch "keiner Schuld bewusst". Er sei seiner Crew "dankbar", dass die Rettung von 234 Flüchtlingen gelungen sei. Die "Lifeline" hatte die Migranten in der vergangenen Woche vor der libyschen Küste aufgenommen und war danach tagelang über das Mittelmeer geirrt, weil Italien und Malta dem Schiff zunächst ein Anlegen verweigert hatten. Das Schiff befindet sich nun in Gewahrsam von Maltas Polizei und darf das Land nicht verlassen.
Auch andere Schiffe blockiert
Auch drei andere große private Seenotrettungsschiffe im Mittelmeer sind weiter für den Einsatz blockiert. Die "Aquarius", die zuletzt nach einem Anlegeverbot Italiens und Maltas eine Odyssee nach Spanien hinter sich hatte, liegt in Marseille. Das von SOS Méditerranée und "Ärzte ohne Grenzen" betriebene Schiff hatte zum Mannschaftswechsel bis an die französische Küste fahren müssen, weil näher am Rettungsgebiet liegende Länder ihr erneut die Einfahrt verwehrt hatten. In Malta liegen neben der "Lifeline" auch die beiden - ebenfalls deutschen - Rettungsschiffe "Seefuchs" und "Sea-Watch 3" im Hafen. Die maltesische Regierung hatte vergangene Woche angekündigt, bis zum Abschluss der "Lifeline"-Ermittlungen die Aktivitäten von Seenotrettungsorganisationen zu unterbinden.
Anstieg der Opferzahl in den vergangenen Tagen
Derweil müssen immer noch mehr Migranten ihre Flucht über das Mittelmeer mit dem Leben bezahlen. Allein in den vergangenen Tagen seien rund 200 Menschen ertrunken, weil Schlepper sie in seeuntauglichen Booten transportiert hätten, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit. Das ist allein ein Fünftel der in diesem Jahr bislang registrierten Opferzahl. Der Anstieg der Flüchtlingszahlen liege vermutlich am günstigen Wetter und am Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan, erklärte IOM-Sprecher Leonard Doyle. "Aber ich denke, es wird auch in der ganzen Welt gesehen, dass die Europäische Union sich um einen besseren Umgang mit dem Thema bemüht." Die Schlepper versuchten daher, Geschäfte zu machen, solange das möglich sei, sagte Doyle. "Für Schlepper geht Profit immer vor Sicherheit." Die libysche Küstenwache hat allein von Freitag bis Sonntag fast 1000 Migranten auf See aufgebracht und zurück an Land transportiert. In diesem Jahr waren es bisher rund 10.000 Menschen.
sti/kle (afp, dpa, epd)