Lieferkettenprobleme erzwingen Werkschließung
30. September 2021Wer sich gerade überlegt, ein neues Auto anzuschaffen, muss tiefer in die Tasche greifen. Denn Neuwagen haben sich nach einer aktuellen Analyse des Auto-Experten Ferdinand Dudenhöffer um rund 360 Euro verteuert. "Weniger Tageszulassungen, gesunkene Rabatte bei den 30 meistverkauften Neuwagen sowie bei Elektroautos und Plug-In Hybriden machen die Neuwagen teurer", sagte der Chef des Center Automotive Research (CAR) in Duisburg.
Allerdings sind das nur die Transmissionsriemen für die höheren Preise. Ursache ist die Halbleiter-Knappheit, die dem Automarkt mehr und mehr zusetzt. "Ein knappes Auto-Angebot lässt die Netto-Preise steigen und führt dazu, dass bei konstanten Listenpreisen die Zugeständnisse der Verkäufer kleiner werden", schreibt Dudenhöffer.
Opel-Werk in Eisenach stoppt Produktion komplett
Wie gravierend die Probleme sind, hatte sich bereits in den vergangenen Wochen gezeigt, wo verschiedene Hersteller vermehrt Kurzarbeit für ihre Beschäftigten ankündigten. Am Donnerstag nun kündigte die Stellantis-Tochter Opel einen darüber hinaus gehenden Einschnitt an: Der Autohersteller stoppt wegen des weltweiten Chipmangels bis Anfang kommenden Jahres die komplette Produktion in seinem Werk im thüringischen Eisenach. Sofern die Lieferketten dies zuließen, sollen die Bänder Anfang kommenden Jahres wieder laufen. Für die Beschäftigten ist bis dahin Kurzarbeit vorgesehen.
Der Mangel an Rohstoffen und Vorprodukten in vielen Bereichen der Industrie treibt die Preise zunehmend. So ist im September die Inflation in Deutschland nach einer ersten Schätzung des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden auf 4,1 Prozent geklettert. Das ist der höchste Wert seit fast 30 Jahren.
Corona sorgt weiter für erhebliche Verwerfungen
Die Statistiker machen dafür zum einen so genannte Basiseffekte verantwortlich - etwa die zeitweise Senkung der Mehrwertsteuer und die niedrigen Energiepreise während der Krise im vergangenen Jahr 2020. Denn die Preisteuerung bemisst sich an den - in diesem Fall niedrigen Preisen - des Vorjahres. Zum anderen aber liegt der Anstieg der Preise auch am mangelnden Nachschub in den Lieferketten und einer insgesamt deutlich gestiegenen Nachfrage, weil die Menschen das Geld, was sie wegen der Corona-Krise nicht für Reisen und ähnliches ausgeben konnten, nun in Konsumgüter oder Homeoffice-Ausstattungen investieren.
In Autoindustrie und Unterhaltungselektronik fehlen vor allem Halbleiter; auf dem Bau mangelt es an Holz, Stahl und Kunststoffen - die Preise sind entsprechend gestiegen. Doch auch Nahrungsmittel erleben derzeit einen deutlichen Preisanstieg. Dabei spielen die Verwerfungen in Folge der Corona-Pandemie eine zentrale Rolle: Die Nachfrage ist nach den Einschränkungen und Lockdowns hoch, die meisten Volkswirtschaften befinden sich im Aufschwung. Gleichzeitig aber haben während der Krise viele Firmen und Zulieferer ihre Produktion heruntergeschraubt. Zudem sorgen Kurzarbeit oder Lockdowns in einigen Regionen weiterhin für Störungen in der Produktion.
Vietnam fällt in der Lieferkette vorerst aus
So meldet der Sportartikelhersteller Adidas angesichts steigender Infektionszahlen in Vietnam Störungen seiner Produktion. Der Konzern erwägt, die Produktion vorübergehend in andere Länder zu verlagern. Auch Konkurrent Nike leidet unter den Corona-Maßnahmen in vietnamesischen Fabriken. Bisherige Erfahrungen hätten gezeigt, dass es mehrere Monate dauern werde, bis die Produktion das übliche Niveau erreiche, sagte Finanzchef Matt Friend zur Vorlage der Nike-Quartalszahlen. Nach Einschätzung eines Sprechers von Puma ist mittlerweile die gesamte Branche vom Corona-Infektionsgeschehen in Vietnam betroffen. Auch potenzielle Käufer von Apples neuem iPhone 13 müssen sich Medienberichten zu Folge auf möglicherweise längere Wartezeiten einstellen, da Teile der Optik in Vietnam gefertigt werden – oder eben auch nicht.
Zunehmend kommen Zweifel auf, ob sich die Lage bald verbessern wird - auch bei Chefinnen und Chefs wichtiger Notenbanken. Die hatten bisher darauf gehofft, dass sich die Probleme in den Lieferketten schnell wieder lösen ließen. Die Unsicherheit in den Unternehmen über die Lieferung von Rohstoffen und Materialien sei "eine Bedrohung für das Wachstum", sagte die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, am Mittwoch beim EZB-Zentralbankforum. Es sei unklar, wie lange es diese "Flaschenhälse" noch geben werde.
Licht am Ende des Tunnels?
Der Chef der amerikanischen Notenbank, Jerome Powell, zeigte sich frustriert davon, dass sich die Lieferkettenprobleme nicht besserten. Das werde sich vermutlich bis ins nächste Jahr hineinziehen, so seine Einschätzung - und auch die Inflation länger auf einem höheren Stand halten als gedacht.
Auch jüngste Umfragen des Ifo-Institutes bei Industrie-Unternehmen sprechen erst einmal für eine weitere Verschärfung der Lage. So berichteten über 77 Prozent der Firmen in Deutschland im September über Engpässe und Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen. Im August waren es knapp 70 Prozent. "Der Flaschenhals auf der Beschaffungsseite wird immer enger", kommentierte daher auch der Leiter der ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. Immerhin: Im Bausektor hat sich die Versorgungslage laut Ifo hierzulande wieder ein wenig entspannt. Ein erster Lichtblick.