Liebe ohne Treue
Marion und Chris sind seit elf Jahren verheiratet und leben polyamor. Das bedeutet, dass es in ihrer Beziehung Platz für weitere Partner gibt. Für Marion ist eine offene Beziehung die perfekte Beziehungsform. In früheren monogamen Partnerschaften fühlte sie sich schnell eingeengt: Der Partner wollte sie für sich alleine haben, und schon die Freundschaft zu einem anderen Mann war ein Problem. Mit Chris hat sie diese Probleme nicht.
Nicht viele Menschen können sich eine offene Beziehung vorstellen. Soziologe Michael Wagner erklärt, dass die Treue eine weltweit geltende Norm ist. Wie stark die Menschen von ihr geprägt sind, hängt laut Wagner vom gesellschaftlichen Hintergrund ab. Er erklärt: "Wenn die Ehe eine besonders starke Stellung in einer Gesellschaft hat, dann hat auch die Treuenorm eine besonders starke Stellung."
Im Deutschland des 21. Jahrhunderts gibt es heute mehr unterschiedliche Beziehungsformen als noch in den 1950er Jahren. Hier, sagt Wagner, ist die Treue "zur Verhandlungssache geworden zwischen Mann und Frau oder Mann und Mann oder Frau und Frau." Trotzdem reagieren viele Menschen spontan ablehnend auf die Vorstellung, einen Partner nicht für sich alleine zu haben. Ein besonders häufiges Problem ist die Eifersucht.
Auf dem internationalen Buchmarkt sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Selbsterfahrungsbücher erschienen. Es gibt Diskussionsforen, Chats und Blogs zum Thema Polyamorie im Internet. Marion und Chris beschäftigen sich viel mit Themen wie Kommunikation und Konfliktlösung. Dadurch, so sagen sie, haben sie sich selbst besser kennen gelernt.
Glossar
Treue, die - hier: die Tatsache, dass man nur einen Partner/eine Partnerin hat
offene Beziehung, die - die Beziehung, in der die Partner damit einverstanden sind, dass man auch andere Menschen liebt
polyamor - so, dass man mehr als einen Menschen lieben kann und der Partner/die Partnerin das auch weiß (Substantiv: die Polyamorie)
monogam - so, dass man nur einen Partner hat
Partnerschaft, die - hier: die Beziehung, zu der meist auch Sexualität gehört
jemanden einengen - jemandem wenig Freiheiten geben
etwas gilt weltweit - hier: etwas wird auf der ganzen Welt als gleich wichtig empfunden
Norm, die - das, was in der Gesellschaft als richtig und "normal" empfunden wird
von etwas geprägt sein - in seinem Leben von etwas beeinflusst sein
Hintergrund, der - hier: die Umgebung; die Herkunft
eine starke Stellung haben - besonders wichtig sein
Verhandlungssache, die - die Tatsache, dass etwas nicht feststeht, sondern im Gespräch entschieden werden kann
spontan - ohne nachzudenken
Selbsterfahrungsbuch, das - ein Buch, in dem jemand eigene Erfahrungen beschreibt
Diskussionsforum, das - ein Ort (hier: eine Internetseite), an dem Fragen gestellt und Meinungen diskutiert werden
Chat, der (aus dem Englischen) - eine Internetseite, auf der man sich mit anderen Nutzern unterhalten kann
Blog, der (aus dem Englischen) - ein online geführtes Tagebuch
Konfliktlösung, die - die Art, wie man mit Problemen umgeht
Fragen zum Text
1. Was hat sich in Deutschland in den letzten 50 Jahren in Bezug auf Beziehungsformen geändert?
a) Monogame Partnerschaften gelten als einengend und falsch.
b) Heute führen die meisten Deutschen polyamore Beziehungen.
c) Es gibt mehr unterschiedliche Beziehungsformen als früher.
2. Welche Stellung hat laut Michael Wagner heute die Treue in Partnerschaften?
a) Sie ist nach wie vor auf der ganzen Welt sehr wichtig.
b) Sie spielt weltweit keine große Rolle mehr.
c) Sie hat eine stärkere Stellung als früher.
3. In früheren Partnerschaften konnte Marion …
a) nicht ohne Probleme mit anderen Männern befreundet sein.
b) sich nicht eingeengt fühlen.
c) ihren Partner nicht für sich alleine haben.
4. Im Internet gibt es viele Foren … Themen … Treue oder Polyamorie.
a) zu - mit
b) wie - zu
c) zu - wie
5. Chris und Marion müssen sich oft … Themen … Kommunikation und Konfliktlösung beschäftigen.
a) wie - mit
b) mit - wie
c) zu - wie
Arbeitsauftrag
In einigen Ländern der Welt ist es Männern erlaubt, mehrere Frauen zu heiraten. Dies wird Polygamie genannt. Vergleichen Sie diese Form der Ehe mit dem Konzept der Polyamorie. Wo sind Ihrer Meinung nach die Unterschiede und wo die Gemeinsamkeiten? Sammeln Sie diese in einer Tabelle und schreiben Sie dann einen kurzen Text.
Autoren: Marlis Schaum/Anne Gassen
Redaktion: Shirin Kasraeian