Lichtspiele am Hindukusch
18. September 2002"Wir machen gute Fortschritte," versichert Siddiq Barmak, Filmproduzent und Direktor des afghanischen Filmarchivs in Kabul, im Gespräch mit DW-WORLD. "Sehr viele Menschen in Afghanistan gehen gerne ins Kino oder interessieren sich sogar fürs Filmemachen."
Dabei hat der Film in Afghanistan – wie alle kulturellen Bereiche – eine mehrjährige Leidensgeschichte hinter sich. Mehrere Male haben die Taliban versucht, das von Barmak geführte Filmarchiv zu zerstören. Mit einer Resolution von mehreren hundert Produzenten, die von der UN und vom Roten Kreuz unterstützt wurde, ließ sich das Regime zunächst davon abhalten, weitere Versuche zu unternehmen.
Verbrannte Filme
Nach der Sprengung der Buddha-Statuen durch die Taliban wuchs erneut die Angst vor der Skrupellosigkeit der Herrscher am Hindukusch. Vor allem die Originalfilme wollte man retten. "In Mauern, unter dem Dach, hinter Leinwänden und in Lautsprechern – überall haben wir die Filme versteckt," erinnert sich Archivar Barmak. "Trotzdem haben die Taliban etwa 2800 ausländische und afghanische Filme verbrannt, darunter viele brilliante Klassiker, die wir jetzt mühsam und kostspielig wieder beschaffen müssen."
Unter Führung der Übergangsregierung kehrt die afghanische Filmkultur aus ihren dunklen Verstecken nun langsam auf die Leinwand zurück. Sieben Kinos sind wieder in Betrieb, weitere zwei werden derzeit restauriert.
Renaissance der Filmkultur
"Das größte Interesse erzielen indische, europäische und amerikanische Filme sowie Werke aus Hong Kong," schildert Barmak die Vorlieben seiner Landsleute. "Allerdings können wir uns viele der Filme einfach nicht leisten. Dann versuchen wir mit einigem Erfolg, in Indien oder Pakistan aus zweiter Hand Filme zu erwerben." Auch afghanische Eigenproduktionen sind wieder im Kommen. Siddiq Barmak erzählt: "Sobald ein Film aus Afghanistan im Kino läuft, sind die ausländischen Vorstellungen wie leer gefegt. Die Menschen wollen alle unsere eigenen Filme sehen."
Neben dem Kino stehen in Afghanistan Videotheken hoch im Kurs, allein rund um die Stadt Kandahar gibt es mehr als 400 davon. Auf Videos ist auch die Fußball-Weltmeisterschaft ins Land gekommen. Im Kabuler Olympiastadion zeigte die FIFA auf einer Großbildleinwand Aufzeichnungen der WM-Spiele – nicht ohne Stromausfall und ähnliche Pannen, dennoch aber mit großem Erfolg bei der Bevölkerung.
Die Landbevölkerung nicht vergessen
Mit mobilen Projektoren erreichen die afghanischen Filmemacher auch die ländlichen Gebiete des Landes. Das Angebot reicht von Charlie-Chaplin-Filmen bis hin zu neuen afghanischen Produktionen. Barmak hat großes Interesse an den Vorführungen festgestellt: "Jetzt wollen wir Sponsoren für diese Aktivitäten finden. Damit können wir eine Brücke zwischen den Städten und der Provinz schlagen."
Die Übergangsregierung in Kabul versucht unterdessen, ihren Teil zur Renaissance der Filmkultur beizutragen. Wie er DW-WORLD gegenüber erklärte, will der afghanische Kulturminister Ghulam Rasoul Yousuf Zai auch Produzenten aus dem Ausland nach Afghanistan holen: "Wir bieten gute Möglichkeiten für Filmemacher. Jeder kann hier tun, was er möchte. Darüber hinaus gewährt der Staat finanzielle Unterstützung. In Zukunft wollen wir hier ein internationales Filmfestival veranstalten."
Bei aller Euphorie sollte jedoch nicht außen vor bleiben, dass sich der Wiederaufbau in Afghanistan erst am Anfang befindet. Der Krieg ist längst nicht völlig überwunden und erst Mitte August war ein Kino Ziel eines Anschlags. Siddaq Barmak ist dennoch zuversichtlich: "Jeder neue Tag bringt weiteres Wachstum für eine neue afghanische Filmkultur."