Was wollte Sarkozy in Libyen?
22. März 2018Es waren dramatische Worte, die Nicolas Sarkozy am 19. März 2011 wählte, als er sich per Fernsehansprache aus dem Elysée-Palast an das französische Volk wandte. Mit ernster Miene informierte der Präsident seine Landsleute darüber, dass sich Frankreich im Bürgerkrieg in Libyen engagieren werde - an der Spitze einer westlichen Militärkoalition. "In Libyen ist eine friedliche Zivilbevölkerung in Lebensgefahr, die lediglich ihr Recht beansprucht, über ihr eigenes Schicksal zu entscheiden. Wir haben die Pflicht, auf ihren angsterfüllten Hilferuf zu reagieren."
Kurz vor dieser Fernsehansprache hatten französische Rafale-Kampfflugzeuge mit Luftangriffen auf Verbände des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi diese Schlacht eröffnet. Die Gaddafi-Einheiten befanden sich auf dem Vormarsch Richtung Bengasi, dem Zentrum des libyschen Aufstandes. Die Rebellen dort, die für Freiheit und das Recht auf Selbstbestimmung zu kämpfen schienen, sollten vor einem Massaker bewahrt werden. Aus Sicht westlicher Intellektueller, die Druck auf Sarkozy gemacht hatten, musste der Westen in Libyen ein zweites Srebrenica - einen Völkermord - verhindern.
Französische Intellektuelle machten Druck
Ronja Kempin ist Expertin für Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Sie erinnert sich noch gut an die Debatten in sicherheitspolitischen Fachkreisen im Frühjahr 2011. Es ging damals um militärische Risiken, um die Frage, ob der Westen eine UN-Resolution für den Krieg bekommen werde, und die Frage, ob die Arabische Revolution, die in Tunesien so hoffnungsvoll gestartet war, in Libyen einen schweren Rückschlag erleiden könnte. Um eines allerdings ging es nicht: um mögliche private Motive von Nicolas Sarkozy. "Das war ein blinder Fleck in der Debatte."
Der französische Präsident, so schien es damals, hatte sich unter dem Druck der französischen Intellektuellen zu diesem Hilfseinsatz für die bedrängten Aufständischen entschieden. Der Sieg der Rebellen über Gaddafi, die Bilder frenetisch jubelnde Libyer, die Sarkozy und den Briten David Cameron begeistert in Libyen empfingen, schienen ihnen Recht zu geben.
Mehr als sechs Jahre später allerdings wird in Frankreich nun über die Frage diskutiert, ob Sarkozy mit Libyen gut ein Jahr vor den Präsidentenwahlen vor allem sich selbst einen Gefallen tun wollte. Die Justiz ermittelt derzeit gegen den Ex-Präsidenten wegen verbotener Wahlkampffinanzierung. Mindestens fünf Millionen Euro in bar sollen im Winter 2006 von einem Mittelsmann von Gaddafi direkt in das französische Innenministerium gebracht worden sein, indem Sarkozy sich auf die Präsidentschaftskandidatur vorbereitete. Noch gibt es keine Anklage gegen den früheren Präsidenten, aber der Vorwurf, Sarkozy habe von Gaddafi Geld erhalten, steht schon lange im Raum. Revolutionsführer Gaddafi hatte dies auch öffentlich behauptet, weitere Indizien sprechen für diese These.
Wollte sich Sarkozy die Wiederwahl sichern?
Fest steht: Im Frühjahr 2011 ging Sarkozys erste Amtszeit in ihr letztes Jahr. Enthüllungen aus Tripolis konnte der Konservative nicht gebrauchen.
Hatte der Hausherr im Elysée eine versteckte Agenda? Jan Techau, Europaexperte des German Marshall Fund, ist skeptisch: "Für mich klingt das ein bisschen nach Räuberpistole." Denn, so Techau, "wenn es Sarkozy um die Beseitigung eines Belastungszeugen gegangen wäre, hätte er wohl auch andere Wege gefunden. Ich glaube, die Entscheidungssituationen der Präsidenten und Premierminister in solchen Situationen sind ganz andere." Tatsächlich haben sich neben Frankreich auch 15 weitere Staaten an der Militäroperation beteiligt. Auch sie hatten - unabhängig von möglichen Wahlkampfspenden - gute Gründe, um ihre Soldaten gegen Gaddafi in Stellung zu bringen.
Frankreich-Expertin Kempin macht jedoch im Rückblick auf eine interessante Wendung der Kriegsziele aufmerksam. "Zunächst einmal ging es um eine humanitäre Intervention. Dem hatte ja auch Russland im UN-Sicherheitsrat mit seiner Enthaltung de facto zugestimmt. Später hat dann Sarkozy auf den Sturz des libyschen Regimes gedrängt. Und das hat dann einige Alliierte verwundert."
Welche Rolle spielte Frankreichs Geheimdienst bei Gaddafis Tod?
Nutzte Sarkozy also die Gunst der Stunde, um aus der Hilfe für bedrängte Aufständische eine persönlich motivierte Jagd auf den libyschen Diktator zu machen? Am Tod Gaddafis sollen die Franzosen jedenfalls ihren Anteil haben. Im Oktober 2012 berichteten Medien, dass der syrische Geheimdienst wenige Tage vor Gaddafis Tod die geheime Satellitentelefonnummer des überall im Land Gesuchten an den französischen Geheimdienst übermittelt haben sollen. Angeblich als Gegenleistung für das Versprechen, den französischen Druck auf Damaskus zu verringern. Im Interview mit dem britischen "Telegraph" behauptete damals Rami Obeidi, der ehemalige Chef des ausländischen Geheimdienstes der revolutionären libyschen Übergangsregierung, dass die französischen Geheimdienste eine direkte Rolle bei der Ermordung Gaddafis spielten. Angeblich hätten die Franzosen aber Gaddafi lebend gefangen nehmen wollen. Doch dazu kam es nicht.
Dem toten Revolutionsführer hat Sarkozy keine Träne nachgeweint. Die Beziehungen zwischen ihm und Gaddafi waren zu diesem Zeitpunkt schon lange auf dem Tiefpunkt. Schon 2007, im ersten Jahr von Sarkozys Präsidentschaft, war Gaddafi in Ungnade gefallen. Sein Ausflug nach Paris im Dezember 2007 war für den neuen Präsidenten ein Albtraum, wie er später berichtete. Der exzentrische Machthaber mit seinen Operettenuniformen hatte darauf bestanden, in unmittelbarer Nähe des Elysée-Palasts sein Beduinenzelt aufzuschlagen. Eine unangenehme Situation für den Präsidenten, obwohl sich damals auch viele EU-Partner um enge Beziehungen zum Autokraten in Tripolis bemühten.
Strategisches Desaster
Gaddafi und Sarkozy hatten sich im Frühjahr 2011 nichts mehr zu sagen. Aber für die Entscheidung zum Libyen-Krieg dürften dennoch kaum persönliche Gründe den Ausschlag gegeben haben. Dass am Ende aber Gaddafi von der politischen Bühne verschwand, war durchaus im Sinne Sarkozys. Die Androhungen von Wahlkampfenthüllungen von Gaddafi und seinem Umfeld im Frühjahr 2011 wurden im Elysée so verstanden, wie sie gemeint waren: als Kampfansage.
Unabhängig von möglichen Motivationen für die Militärintervention haben weder Libyer noch Europäer langfristig vom Regime-Wechsel in Libyen profitiert. Sicherheitsexperte Jan Techau: "Das Land ist in einem absoluten Chaos versunken. Es ist zum Selbstbedienungsladen, zum Waffenschrank für IS-Milizionäre und alle möglichen anderen Gruppierungen geworden. Da hat der Westen das Gute gewollt, aber ein langfristiges strategisches Desaster angerichtet."