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Politik

Libyen: Hoffen auf die nächste Konferenz

Kersten Knipp (Mitarbeit: Irina Filatova)
15. Januar 2020

In Moskau sind die jüngsten Libyen-Friedensgespräche gescheitert. Jetzt soll ein neuer Anlauf in Berlin folgen. Doch die Gemengelage ist kompliziert. Denn alle Teilnehmer verfolgen ihre eigenen Interessen.

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Kombibild - Putin, Khalifa Haftar, Fajis al-Sarradsch

Erst Moskau, in wenigen Tagen Berlin. Die internationalen Verhandlungen um die Beilegung des Konflikts in Libyen gehen in eine weitere Runde. Am kommenden Sonntag richtet Deutschland in Absprache mit UN-Generalsekretär António Guterres eine internationale Konferenz in Berlin aus. Ziel sei es, die Bemühungen der UNO für ein souveränes Libyen und einen Versöhnungsprozess in dem nordafrikanischen Land zu unterstützen, teilte die Bundesregierung mit.

Zu Beginn der Woche hatte die russische Regierung die beiden wichtigsten libyschen Gegenspieler, Regierungschef Fajes al-Sarradsch und General Chalifa Haftar, zu Gesprächen eingeladen. Al-Sarradsch steht der international anerkannten Regierung in Tripolis vor, während Haftar dem aus den Wahlen von 2014 hervorgegangenen Repräsentantenhaus mit Sitz in Tobruk verbunden ist.

Nachdem es zunächst so schien, als würden sich die beiden Akteure einigen, verließ General Haftar in den frühen Morgenstunden die von Russland und der Türkei geleiteten Gespräche, ohne das bereits von al-Sarradsch unterschriebene Abkommen seinerseits zu unterzeichnen.

Libyen Tripolis Demonstration gegen die türkische Parlamentsentscheidung Truppen nach Libyen zu senden
Anhänger von General Haftar protestieren in Benghasi gegen die Entsendung türkischer Truppen nach LibyenBild: Reuters/E. O. Al-Fetori

Das Kalkül General Haftars

Haftar dürfte befürchtet haben, dass sich seine Gegner nicht an die Vereinbarung halten würden. Denn die Regierung der Nationalen Einheit (GNA) in Tripolis könne die mit ihr verbündeten Truppen kaum kontrollieren, erläutert Libyen-Experte Andreas Dittmann von der Universität Gießen. "Diese bestehen zu großen Teilen aus ganz unterschiedlichen Milizen, von denen sich viele islamistischen Bewegungen wie etwa den Muslimbrüdern zurechnen lassen." Hätte Haftar seine Truppen angehalten, hätte dies vor allem der Türkei ermöglicht, diese Milizen mit weiterem Nachschub zu versorgen. "Haftar ging wohl davon aus, dass er durch seine Unterschrift nur Zeit verloren hätte", glaubt Dittmann.

Die türkische Regierung unterstützt seit einigen Wochen militärisch die Regierung der nationalen Einheit unter al-Sarradsch. Diese wird zwar von den allermeisten Staaten wie auch den UN anerkannt, ist aber von den Libyern nicht gewählt worden. "Die internationale Gemeinschaft hatte zunächst auf al-Sarradsch gesetzt, weil man annahm, er würde sich im innerlibyschen Machtkampf durchsetzen. Geordnete Wahlen, so das Kalkül, würden sich dann später durchführen lassen."

Inzwischen stellt sich die Lage anders dar. General Haftar kontrolliert mit seinen Truppen den geographisch größten Teil Libyens - mit Ausnahme der Region Tripolitanien rund um die libysche Hauptstadt. Dort leben die meisten Bürger des Landes.

Haftar, sagt Tim Eaton, Nahostexperte beim Londoner Think Tank Chatham House, befinde sich in einer starken Position. Die GNA erhält militärische Hilfe im Grunde nur von der Türkei. "Darum ist es für sie viel schwieriger, das Ansinnen der Türkei abzulehnen. Haftar hingegen, der von mehreren Ländern - Russland, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten und Frankreich - unterstützt wird, hat einen viel größeren Spielraum und kann es sich viel besser leisten, die Ansinnen einzelner Staaten zurückzuweisen."

Libyen Fortschritte bei Verhandlungen über Waffenstillstand ARCHIV
Seit dem Sturz von Ex-Diktator Gaddafi 2011 herrscht in Libyen BürgerkriegBild: picture-alliance/Photoshot/A. Salahuddien

Ernüchterung in Moskau

Vor allem in Moskau galt General Haftar lange Zeit als Garant der russischen Interessen in Libyen. Unter Diktator Gaddafi war der Kreml einer der wichtigsten Partner des nordafrikanischen Landes, sagt Andreas Dittmann. "Sowohl die Sowjetunion wie später auch Russland hatten enge Beziehungen nach Tripolis." Dann aber habe man in Moskau bemerkt, dass Libyen immer stärker unter westlichen Einfluss geriet. "Das hat man in dieser Form nicht hinnehmen wollen" - und fortan den General unterstützt.

Nachdem Haftar nun aber seine Unterschrift unter die Waffenstillstandsvereinbarung verweigert habe, könnte Moskau seine Position zu ihm überdenken, deutet Tim Eaton an: "Denn Haftar hat in aller Öffentlichkeit auch Putins persönliche Vermittlungsfähigkeiten in den Wind geschlagen."

Neuer Versuch in Berlin

Nach der russischen versucht nun die deutsche Regierung, die beiden Kontrahenten zu einem Waffenstillstand zubewegen. Ihre Teilnahme zugesagt haben bereits die wichtigsten internationalen Akteure in dem Konflikt: Regierungsvertreter aus den USA, aus Russland und der Türkei sowie aus Frankreich, Italien, Ägypten und den VAE. Auch die EU, die Arabische Liga und die Afrikanische Union werden nach Auskunft der Bundesregierung in Berlin vertreten sein. Offen ist, ob auch al-Sarradsch und Haftar nach Berlin reisen.

Die Erfolgschancen der Konferenz stünden nicht schlecht, sagt Andreas Dittmann. Offenbar habe man aus den Fehlern der ersten Syrien-Konferenzen gelernt. Lange Zeit nämlich seien dort längst nicht alle Akteure eingeladen worden. So sei der Iran lange Zeit außen vor geblieben, ungeachtet seiner Rolle als einer der wesentlichen Unterstützer des Assad-Regimes in Syrien. Diesen Fehler scheine man bei der nächsten Libyenkonferenz in Berlin nicht zu machen. Denn dort alle maßgeblichen Akteure seien eingeladen.

UN-Sicherheitsrat in New York
Die Lage in Libyen gehört zu den Dauerthemen im UN-SicherheitsratBild: picture-alliance/dpa/M. Elias

"Ein europäischer Stellvertreterkrieg"

"Das heißt allerdings nicht, dass alle Karten offen auf dem Tisch liegen. Es haben ja nicht nur die Russen Interessen in Libyen. Auch die westlichen Akteure verfolgen konkrete Ziele", so Dittmann. Die seien allerdings sehr unterschiedlich. So konkurrieren Frankreich und Italien um die libyschen Erdöl-Exporte. Dabei unterstütze Frankreich Haftar massiv. Der libysche Kommandant verfüge über französische Flugzeuge, die von Piloten aus den vereinigten Arabischen Emiraten gesteuert würden. Diese wiederum seien in Frankreich ausgebildet worden. "Im Grunde findet in Libyen auch ein europäischer Stellvertreterkrieg statt", so Dittmann.

Das wichtigste Ziel der EU ist aber nicht der Zugang zum Öl, sondern eine geordnete Migration. Seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Gaddafi herrscht im Land Chaos; Menschenschmuggler nutzen Libyen als Durchgangsgebiet für Migranten, die in Europa Zuflucht suchen. Auch deshalb ist Brüssel sehr an Stabilität in Libyen interessiert.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika