Liberia zwischen Bürgerkrieg und Wahlen
3. April 2005Liberias Weg vom Krieg zum Frieden begann am 11. August 2003: Nach der Ankunft der ersten Interventionstruppe der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS und dem Druck der USA trat Präsident Charles Taylor zurück und ging ins Exil nach Nigeria. Eine Woche später einigten sich die Kriegsparteien in Ghana auf einen Friedensvertrag. Im Oktober 2003 wurde der Geschäftsmann Gyude Bryant zum Vorsitzenden der Nationalen Übergangsregierung gewählt. Nun, nach zwei Jahren, soll es im Oktober 2005 freie Wahlen geben. Charles Taylor wurde vom UN-Sondergerichtshof in Sierra Leone wegen zahlreicher Kriegsverbrechen angeklagt, doch weil ihm Nigerias Staatspräsident Obasanjo Exil gewährt, bleibt er bislang unbehelligt. Auch wenn der Haftbefehl gegen ihn nach wie vor besteht: Die causa Taylor lastet wie ein Fluch auf Liberia und behindert den Neubeginn.
"Exil Strafe genug"
"Taylor ist die Wolke über unseren Köpfen", sagt Jacques Paul Klein, UN-Sondergesandter für Liberia und Leiter der UN-Mission UNMIL. "Hier gibt es eine Menge hartgesottener Taylor-Anhänger, die wissen, dass sie in Liberia keine Zukunft haben, wenn Taylor nicht zurückkommt. Diese Leute tun alles, um unsere Arbeit zu stören. Dann wiederum gibt es andere, die uns gern unterstützen würden, aber sich nicht festlegen wollen, weil Taylor frei herumläuft. Erst wenn er im Gefängnis sitzt, würden sie sich entscheiden. Aber sie haben Angst, er könnte eines Tages zurückkommen. Das ist das Dilemma", erklärt Klein.
Nun hat ausgerechnet Sekou Conneh, Führer der ehemals größten Rebellengruppe LURD, die Situation weiter angeheizt. Conneh fordert eine Generalamnestie für alle Kämpfer während des Bürgerkriegs; also auch für seinen damaligen Widersacher Charles Taylor. Denn im Interesse des Friedens sei es Zeit zu vergeben, sagt Conneh. Das Exil sei genug Strafe für Taylor.
Werner Korte, Liberia-Experte beim Landschaftsverband Rheinland, hält das für ein durchsichtiges Manöver: "Ich halte das für eine Argumentation, die Conneh ja auch betrifft. Denn er ist zumindest politisch, als Führer dieser Rebellengruppe für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit mitverantwortlich. Ich denke, dass man alle Anstrengungen darauf richten sollte, Taylor und andere vor das Tribunal in Sierra Leone zu bringen."
Doch dazu wird es vorerst nicht kommen. Bis heute ist kein Antrag an Nigeria ergangen, Taylor auszuliefern. Der Hintergrund: Die ehemaligen Kriegsparteien, also die Rebellen von MODEL, Sekou Connehs LURD und Vertreter von Taylors früherer Regierungspartei GOL haben in der liberianischen Übergangsregierung die Mehrheit. Und nicht nur Taylor, sondern alle drei Fraktionen haben massive Gräueltaten begangen. Sie wollen noch mindestens bis zu den Wahlen im Oktober ihre Macht wahren.
Druck durch die USA
Unterdessen blüht in Liberia die Korruption. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 80 Prozent, das Bankensystem funktioniert noch nicht. Ausländische Investoren für Kautschuk, Eisenerz, Tropenholz, Fischerei, Diamanten oder Gold an Bord zu holen, ist noch Zukunftsmusik, zum Teil wegen der Sanktionen, aber auch wegen der protektionistischen Verfassung. Zeit also für eine neue, eine demokratisch gewählte Regierung mit einem neuen Präsidenten: Davon ist auch Liberia-Experte Werner Korte überzeugt. Doch was den 11. Oktober als Wahltermin betrifft, ist er skeptisch: "Meiner Ansicht nach ist das zu früh. Bevor nicht eine tief greifende Reform von Staat und Politik und auch der Personen, die Politik machen, stattgefunden hat, sollte man das Experiment nicht riskieren. Auf der anderen Seite gibt es einen enormen politischen Druck, insbesondere durch die Vereinigten Staaten, die auf der Einhaltung des Zeitplans bestehen."
Dieser Druck bringt weitere Probleme: Noch ist unklar, wer überhaupt wählen kann. Die Registrierung von Wählern läuft im April an; da wird es eng für die 350.000 Liberianer, die wegen der Kriegswirren in die Nachbarländer geflüchtet sind. Nur wenn sie bis zum Ablauf der Registrierung im Mai zurückkehren, sind sie stimmberechtigt. Dazu kommen Hunderttausende Vertriebene, die in Liberia noch immer in den Camps des UNHCR leben müssen. 18 Parteien sind bisher für die Wahl registriert, 18 weitere sollen dazukommen. Aber bislang wird keinem Bewerber zugetraut, die zersplitterte Gesellschaft zu einen oder eine stabile Regierung zu führen.
"Wichtiges Experiment"
Liberias Zukunft ist auch von der regionalen Entwicklung abhängig. Gerade erst sind wieder die Kämpfe in der benachbarten Côte d'Ivoire aufgeflammt. Liberias Ex-Kämpfer wurden zwar meist erfolgreich entwaffnet, doch sie sitzen auf der Straße und warten nur auf neue Söldner-Einsätze. Nicht nur für sie wäre ein Signal der Stabilität und der Demokratisierung enorm wichtig. Die Frage ist nur, ob die Wahlen diese Hoffnung erfüllen können. "Die Aufgaben sind jedenfalls gewaltig. Aber es ist ein meiner Ansicht nach wichtiges Experiment, von dem ich nur sagen kann, dass man alles tun muss, damit es gut geht, denn sonst wird diese westafrikanische Region mindestens auf mittlere Dauer nicht zur Ruhe kommen."
Nüchterne, gnadenlose Zahlen
Nach Schätzungen der Wahlkommission werden die Wahlen fast 18 Millionen US-Dollar kosten, die aus den Töpfen von UNO und Europäischer Union fließen sollen. Doch noch fehlt dem UN-Sondergesandten Jacques Paul Klein wichtiges Geld. Verzweifelt ermahnt er die Geberländer, ihre vollmundigen Versprechen vom letzten Jahr einzulösen. Nach den Vereinbarungen hätte die UNO in Liberia insgesamt gut eine Milliarde Dollar an internationaler Hilfe einsetzen können. Gezahlt wurden bislang aber nur 65 Millionen.
"Die Vereinten Nationen haben hart durchgegriffen in Liberia. Das musste auch sein. Wir haben das Feuer gelöscht - aber wer baut das Haus wieder auf? Wo ist das Geld für die langfristige Entwicklung?", sagt Klein. Die UNO brauche jetzt Millionen von Dollars, um eine Pipeline zu bauen, die Monrovia mit Wasser versorgt. Es mangelt an allem. "Wir brauchen Millionen, um den Hafen zu säubern, denn er verschlammt, und dann kriegen wir unsere Schiffe nicht mehr rein. Wir brauchen Millionen für das Stromnetz. Aber das Geld kommt einfach nicht. Wir haben mehr als 800.000 Kinder hier in Liberia, aber nur 24.000 Lehrer."