Zwischen Hoffnung und Hilfe
16. Mai 2015
Rami hat die Hoffnung aufgegeben, jemals wieder nach Hause gehen zu können. "Ich habe Bilder gesehen, es ist alles zerstört dort, unser Haus, unsere Schule." Rami ist inzwischen sechzehn Jahre alt, seit zwei Jahren lebt er hier im Lager bei Zahlé, nahe der syrischen Grenze. Als wir ihn vor einem Jahr trafen, hauste er bereits im selben Zelt - ein Raum, seine Eltern, seine Großmutter, seine vier Brüder - der jüngste gerade ein Jahr - und Rami.
Es ist eng und laut, durch die Zeltplane hört man die Nachbarn. "Das Beste an unserem Leben hier ist, dass ich noch zur Schule gehen kann. Aber wer weiß, wie lange das noch geht."
Unterricht im Schichtsystem
Der Unterricht findet in einem Schulgebäude drei Kilometer entfernt statt, am Nachmittag von 15 bis 19 Uhr, nach syrischem Lehrplan. In manchen Orten in Libanon übersteigt die Zahl der Flüchtlingskinder die der einheimischen weit, Unterricht findet in Schichten vormittags und nachmittags statt. Rami besucht jetzt die elfte Klasse, seine Lieblingsfächer sind Chemie, Physik und Mathematik. Kontakt zu Libanesen hat er kaum, er kommt aus dem Lager nicht heraus - abgesehen von dem Weg zur Schule.
"Wir sollten gefälligst Miete zahlen"
"Es gibt nette Libanesen und weniger nette", sagt Rami und seine Mutter ergänzt: "Einige sind freundlich und sind sogar zu Freunden geworden. Die Mehrheit der Libanesen, vor allem hier in dieser Gegend, kann es aber immer noch nicht akzeptieren, dass wir in ihrem Land leben. Viele sehen in uns eine Last. Manchmal kommen Libanesen mit dem Auto hier vorbei und sagen, wir sollten gefälligst Miete für die Zelte, den Strom und das Wasser zahlen – oder verschwinden.“
Die libanesische Gesellschaft hat über die vergangenen vier Jahre eine weltweit beispiellose Großzügigkeit gezeigt. 30 Prozent aller im Libanon lebenden Menschen sind Flüchtlinge, die meisten von ihnen Syrer. Offiziell registriert sind 1,2 Millionen, dazu kommen mehrere hunderttausend Illegale. Deren Zahl steigt, denn die libanesische Regierung hat im Januar eine Visapflicht eingeführt, und Visa gibt es nur unter strengen Auflagen, die die meisten Flüchtlinge nicht erfüllen können.
Das sei zwingend nötig gewesen, sagt der libanesische Außenminister Gebran Bassil nach seinem Treffen mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier. "Seitdem wir an der Grenze strenger kontrollieren, ist die Lage in unserem Land sehr viel sicherer geworden." Kämpfer aller Kriegsparteien in Syrien versuchen, das Grenzgebiet des Nachbarlandes als Rückzugsraum zu nutzen. Die Soldaten des syrischen Präsidenten Assad bringen ihre Familien in Dörfern der Hisbollah unter, Dschihadisten ihre in überwiegend sunnitisch bewohnten Gemeinden.Bassil sagt, sein Land benötige auch Unterstützung im Sicherheitsbereich. "Die ganze Struktur, der ganze Zusammenhalt der Gesellschaft hier ist in Gefahr", sagt der Außenminister.
Mehr internationale Hilfe – diese Forderung zieht sich durch alle Gespräche auf dieser Reise von Außenminister Steinmeier. Obwohl: "Selbst wenn alle Länder ihren Verpflichtungen nachgekommen wären, es würde trotzdem nicht ausreichen", beklagt der libanesische Außenminister. Deutschland nimmt er von seiner Kritik allerdings ausdrücklich aus.
Sie müssen mehr tun
"Was der Libanon leistet, grenzt an ein Wunder", formuliert Außenminister Steinmeier seinen Respekt. "Die internationale Gemeinschaft muss mehr tun." Er habe nicht über andere zu richten, "ich kann nur versprechen, dass wir unsere Zusagen einhalten werden".
Deutschland hat für die Bewältigung der Flüchtlingskatastrophe in Syrien und den Nachbarländern insgesamt mehr als eine Milliarde Euro bis ins Jahr 2017 zugesagt. Bislang 250 Millionen gingen an den Libanon, für Infrastrukturprojekte, für Abwasserentsorgung. Und für Schulgeld: Fast dreiviertel der Flüchtlingskinder bekommen überhaupt keinen Unterricht mehr. Für mehr als die Hälfte derjenigen, die wie Rami an libanesischen Schulen unterrichtet werden, zahlt Deutschland das Schulgeld.
So oder so werden die Hilfszusagen nie ausreichen, denn am Ende geht es darum, die Ursache für die größte Flüchtlingskatastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg zu beseitigen, das Blutvergießen in Syrien zu beenden. Steinmeier hofft auf eine gemeinsame Initiative der USA und Russlands. "Wir müssen sehen, dass wir Weichenstellungen hinbekommen", sagte Steinmeier. Vielleicht entstehe aus dem Russland-Besuch von US-Außenminister John Kerry in dieser Woche eine neue Initiative.
Vielleicht nach Europa...
Vor einem Jahr stand der junge Rami dem deutschen Außenminister direkt gegenüber. Er gehörte zu der Gruppe von Jugendlichen, die ihm eine Petition überreichten. Der Appell damals an die Weltgemeinschaft: Sorgt für uns und sorgt vor allem dafür, dass wir wieder nach Hause können. "Viel verändert hat sich dadurch nicht", sagt Rami. Er denkt daran, vielleicht nach Europa zu gehen.