Uganda: LGBTQ+ und ihre Gemeinschaftsgärten
26. August 2021Im vergangenen Jahr als die Corona-Pandemie ausbrach, teilte Shawn Mugisha seine Zweizimmerwohnung in einem Wohnblock in einem Vorort von Kampala mit neun Mitbewohnern. Geplant war diese Wohngemeinschaft nicht. Alle Bewohner gehören zur verfolgten queeren Gemeinschaft von Kampala. Das heißt, sie sind zum Beispiel homosexuell oder transgender. Mugisha hatte sie durch seine Arbeit als Menschenrechtsaktivist und Rechtsanwaltsgehilfe kennengelernt. Seine Mitbewohner wurden von ihren Familien verstoßen. Andere wussten nach der Haftentlassung nicht, wo sie unterkommen sollten - und dann kam auch noch Corona.
Der Lockdown machte ihre Probleme noch größer, sagt Shawn. "Was bedeutet ‘zu Hause bleiben' eigentlich für jemanden, der gar kein zu Hause hat? Was bedeutet ‘zu Hause bleiben' für jemanden, der sein Geld damit verdient, seinen Körper zu verkaufen?”
Im April 2020 gab es den ersten Lockdown in Uganda. Es gab immer weniger zu essen, die Versorgung war regelrecht zusammengebrochen. Die Lebensmittel wurden immer teurer, viele Menschen mussten hungern. Besonders hart traf es die Städte, allen voran die Hauptstadt Kampala. Frische Lebensmittel wie Brot oder Fleisch gab es kaum noch zu kaufen, ebenso wenig Obst oder Gemüse.
Die Menschen in der Stadt waren in dieser Zeit auf die Hilfe der Familienangehörigen auf dem Land angewiesen. Aber queere Menschen, die von ihren Familien verstoßen wurden, waren in dieser Zeit vollends auf sich allein gestellt, erzählt Shawn. Der 34-jährige ist selbst Transgender.
Vom Garten zur Selbsthilfeorganisation
"Wir waren komplett auf die Lebensmittelversorgung durch die Regierung angewiesen. Aber viele von uns gingen leer aus”, erzählt er. "Also mussten wir einen Weg finden, wie wir in dieser Situation überleben können."
Er beschloss, bei seinem Wohnblock einen Garten anzulegen, um eigenes Obst und Gemüse anzubauen. Das war gleichzeitig der Beginn einer neuen Organisation. Der Name: FAMACE, ein Akronym für Farming (Landwirtschaft), Art (Kunst), Mental Health Advocacy (Einsatz für die psychische Gesundheit), Collaboration (Zusammenarbeit), und Ethical human-centered design (ethisches, am Menschen orientiertes Design). Ihr Ziel ist es, durch nachhaltige Landwirtschaft die Widerstandsfähigkeit der queeren Gemeinschaft Ugandas zu stärken und Opfern von Missbrauch und Diskriminierung Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.
Shawn hat selbst nachhaltige Landwirtschaft studiert. Er glaubt, dass sie auch Opfern von Diskriminierung und Missbrauch helfen kann, ihre Traumata zu überwinden und ein neues Leben aufzubauen. Ein Leben, in dem sie nicht mehr darauf angewiesen sind, ihre Körper zu verkaufen und so erneut in die Hände der Polizei zu geraten. "'Ethical human-centered Design' bedeutet, dass man zur Lösung seiner Probleme sich selbst in den Mittelpunkt stellt und dann auch schaut, wie es zu diesen Problemen gekommen ist”, erklärt er.
Gewalt und Inhaftierung
Uganda ist ein feindseliger Ort für seine LGBTQ+-Community. LGBTQ+ steht für lesbisch, ‘gay' - also schwul - bisexuell, transgender, queer und intergeschlechtlich. 2019 wurde der Anwaltsgehilfe und Aktivist für Schwulenrechte Brian Wasswa in seinem Haus brutal ermordet. Menschenrechtler sprechen von einem Verbrechen aus reinem Hass.
Es erinnert an den Mord an David Kato im Jahr 2011. Kato war ebenfalls ein Aktivist und kämpfte für die Rechte von Schwulen. Er wurde zu Tode geprügelt, nachdem er einen Prozess gegen eine Lokalzeitung gewonnen hatte. Das Blatt hatte seinen Namen in einem Artikel über Homosexuelle veröffentlicht. Die Überschrift lautete: "Hängt sie."
Im Jahr 2014 verabschiedete das Parlament ein Anti-Homosexualitätsgesetz. Es wurde später vom Verfassungsgericht Ugandas für verfassungswidrig erklärt. Doch im Mai dieses Jahres passierte ein Gesetz über Sexualdelikte das Parlament. Unter anderem werden darin gleichgeschlechtliche Beziehungen kriminalisiert. Es drohen Strafen von bis zu fünf Jahren Gefängnis.
Präsident Yoweri Museveni hat das Gesetz vorerst nicht unterschrieben. Viele Straftatbestände seien bereits mit der aktuellen Gesetzgebung abgedeckt, heißt es zur Begründung.
Florence Kyohangirwe ist Redakteurin beiMinority Africa, ihr Schwerpunkt sind sexuelle Minderheiten. Sie ist der Meinung, dass die Regierung, indem sie das Gesetz überhaupt diskutiert, Homophobie legitimiert und "die LGBTQ-Gemeinschaft in gewisser Weise schikaniert."
Immer wieder berichten Aktivisten, dass die Pandemie als Vorwand für weitere Schikanen genutzt wird. So führe die Polizei gezielt Razzien in Obdachlosenunterkünften der LGBTQ+-Community durch. Sie verhafte dann die Menschen unter dem Vorwand, dass sie sich aktiv an Handlungen beteiligen, die COVID-19 verbreiten könnten.
Mit Gartenarbeit Traumata heilen
Im Juni führte die Polizei eine Razzia in einer LGBTQ+-Unterkunft am Stadtrand von Kampala durch. Sie verhaftete 44 Personen, die angeblich an einer "gleichgeschlechtlichen Hochzeit" teilgenommen hatten. Der offizielle Grund: "die Verbreitung von Krankheiten." Ob damit Corona gemeint war, gaben die Polizisten nicht an.
Shawn, der als Anwaltsgehilfe und bereits für mehrere Menschenrechtsorganisationen gearbeitet hat, half dabei, die Freilassung der Inhaftierten zu erreichen. Er erzählt, dass LBGTQ+-Menschen, die vom Staat verfolgt wurden, nach ihrer Freilassung in Unterkünfte kommen, wo sie nur das Nötigste zum Leben bekommen.
"Jedes Mal habe ich mich gefragt, warum es für diese Menschen nicht eine andere, tragfähige Lösung geben kann”, sagt er. "Den Menschen wird in diesen Unterkünften ihre Würde genommen. Sie kriegen eine Decke, vielleicht auch ein Moskitonetz und oft nur eine Mahlzeit am Tag.”
Mit FAMACE würde Shawn gerne in ganz Uganda Gemeinschaftsgärten an diese Notunterkünfte angliedern. So hätten die Bewohner Zugang zu einer besseren Lebensmittelversorgung. Das ist wichtig für diejenigen, die HIV-Medikamente einnehmen. Zum anderen hätte die Gartenarbeit aber auch positive Auswirkungen auf die körperliche und physische Gesundheit der Bewohner, sagt er.
Tumukunde* ist eine von Shawns Mitbewohnerinnen. Sie war von zu Hause weggelaufen, weil ihre Familie vermutete, dass sie lesbisch ist und sie zwang, einen Pastor zu heiraten. Für Tumukunde* ist der Garten nun ein Ort des Trostes und der Heilung.
"Der Garten war eine große Hilfe für mich, weil ich in dieser Zeit viel durchgemacht habe”, erzählt sie. "Vielleicht brauchte ich einfach etwas ohne Menschen. Ich wollte mit niemandem reden. Ich wollte einfach immer nur für mich sein."
"Gekündigt, weil wir homosexuell sind"
Im Januar musste Shawn seine Wohnung plötzlich und ohne Begründung räumen. "Nur weil wir homosexuell sind”, sagt er. Shawn zog in eine große Doppelhaushälfte auf einem privaten Grundstück voller Blumen und zwitschernder Vögel und legte dort einen neuen Gemüsegarten an. Hier kann er nur eine weitere Person mit unterbringen und wird auch in wenigen Tagen schon wieder ausziehen müssen. Dabei trägt der Garten gerade so viele Früchte.
Dem 39-jährigen Charles hat der Garten ein Stück weit Frieden gebracht. Charles lebt zurzeit bei Shawn. Seine Gemeinde hatte ihn geoutet, nachdem er Schwulen-Pornos heruntergeladen hatte - und ihn regelrecht verstoßen. Drei Anschläge auf sein Leben hat er überlebt.
"Hier ist es still und ich kann wie unsichtbar sein”, sagt Charles über den Garten. Er hat Tränen in den Augen. "Hier denke ich über das Leben nach, über die Entscheidungen, die ich bislang für mich getroffen habe. Wenn ich im Garten arbeite, habe ich das Gefühl, etwas kontrollieren und beeinflussen zu können. Es gibt Dinge in meinem Leben, die kann ich eben nicht kontrollieren. Bei der Gartenarbeit gelingt mir das sehr wohl.”
Traum vom LGBTQ+-Ökodorf
Bislang hat FAMACE fünf Menschen unterstützt. Begeistert spricht Shawn über Pläne für ein queeres Ökodorf und wie die Ethik und die Prinzipien der Permakultur sowie der umweltfreundlichen Landwirtschaft in Projekte für sozialen Wandel integriert werden könnten.
Zurzeit versucht er, Geld für neue Räume aufzutreiben, die er auch dauerhaft nutzen kann. Bislang reichen die Früchte aus seinem Garten für alle Menschen aus dem Projekt. Wenn er endlich mehr Fläche zur Verfügung hätte, könnte er mehr produzieren. Gern würde er dann einen Teil der Früchte auf den Märkten in der Umgebung verkaufen und einen Teil bedürftigen Familien spenden.
"Wir leben in einer Gesellschaft, in der man sozialen Schutz genießt, sobald man irgendeinen Beitrag für die Gemeinschaft leistet", erzählt er. "Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir anfangen, unsere eigenen Lösungen zu entwickeln. Nur so können wir unsere Marginalisierung und Diskriminierung bekämpfen. Gerade in den Städten, wo Lebensmittel knapp sind, "könnten wir das als unseren Weg in die Mitte der Gesellschaft nutzen. Denn da gehören wir hin."
*Die Namen wurden aus Sicherheitsgründen geändert. Die richtigen Namen sind der Redaktion bekannt.