Sollte die EZB Geld drucken?
11. November 2011Für Bundeswirtschaftsminister Phillip Rösler ist die Sache klar. Bei einer Veranstaltung in Berlin warnte Rösler am Freitag (11.11.2011) davor, der Europäischen Zentralbank die zentrale Rolle bei der Bewältigung der Schuldenkrise zu übertragen. Kurzfristig würde es zwar helfen, wenn die EZB Staatsanleihen der Schuldenstaaten in unbegrenztem Umfang aufkaufte, so Rösler, aber "damit würde der Anreiz für eine dauerhafte Stabilität und Reformen in der Euro-Zone verloren gehen". Überschuldete Staaten wie Italien oder Griechenland würden sich einfach darauf verlassen, dass die Zentralbank sie als "lender of last resort", als Kreditgeber der letzten Instanz, schon auffangen wird.
Bundesbank sagt Nein
Jens Weidmann, der neue Präsident der Deutschen Bundesbank, spricht sich auch ganz klar gegen die direkte Finanzierung von Staatsdefiziten durch die EZB aus. In einer Rede erklärte Weidmann noch am Dienstag in Berlin, diese monetäre Staatsfinanzierung wäre die "schlimmste Form von Geldpolitik". Zusammen mit der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank "ist das Verbot der monetären Staatsfinanzierung, das im Artikel 123 des EU-Vertrages festgelegt ist, eine der wichtigsten Errungenschaften im Zentralbankwesen überhaupt", so Weidmann.
Das Risiko einer steigenden Inflation, also Geldentwertung, sei einfach zu hoch, glaubt der Präsident der Bundesbank, der qua Amt im Aufsichtsrat der Europäischen Zentralbank sitzt, zusammen mit seinen Kollegen aus den übrigen 16 Euro-Staaten. Gerade Deutschland müsse wegen seiner Erfahrung mit Hyper-Inflation nach dem Ersten Weltkrieg auf dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung, kurz gesagt des Gelddruckens, bestehen, sagte Weidmann laut Redemanuskript.
Druck aus den USA und Großbritannien
Die Position der Bundesregierung und der Bundesbank scheinen also klar und deckungsgleich. Dennoch mutmaßen viele Ökonomen, dass die Schulden- und Finanzkrise, die nun auch Italien erfasst, die Europäische Zentralbank zu einem Kurswechsel zwingen könnte. Der amerikanische Wirtschaftsprofessor und Nobelpreisträger, Paul Krugman, sagte der Zeitung "Handelsblatt", die EZB müsse den Euro mit allen Mitteln retten. Notfalls müsse sie auch monetäre Staatsfinanzierung zulassen und - vereinfacht gesagt - die Notenpresse anwerfen, Geld drucken. "Am Ende wird die EZB in den Abgrund blicken und sagen: Vergessen wir alle Regeln, wir müssen die Anleihen kaufen", sagte Krugman im Handelsblatt.
Auch britische und US-amerikanische Finanzpolitiker verlangen seit Wochen das Gleiche. Die britische und die amerikanische Notenbank drucken seit dem Beginn der Finanzkrise verstärkt Geld, um die Haushalte ihrer Staaten zu finanzieren. Die Inflationsgefahren seien geringer als die Gefahr, dass in Europa das gesamte System kollabiert, behauptete zum Beispiel der US-amerikanische Finanzminister Timothy Geithner bei Treffen mit den europäischen Finanzministern.
US-Ökonom Paul Krugman argumentiert, dass die Europäische Zentralbank angesichts der steigenden Zinssätze für italienische Staatsanleihen auf jeden Fall klar machen muss, dass sie davon so viel kaufen wird, wie nötig. Motto: Wir retten jeden Staat der Euro-Zone, koste es, was es wolle. Der bisher konstruierte Rettungsfonds EFSF der Euro-Zone ist für solch eine Stützung Italiens, Spaniens oder gar Frankreichs viel zu klein. Diese "Feuerkraft" hätte nur die Europäische Zentralbank, weil sie - zumindest theoretisch - über unendlich viele Mittel verfügt.
EZB-Präsident will nicht noch mehr Anleihen kaufen
Und was sagt dazu der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, der gerade seit elf Tagen im Amt ist? Bei seiner ersten Pressekonferenz am 03. November meinte Draghi: "Es ist wirklich sinnlos zu glauben, dass die Zinssätze für Staatsanleihen auf Dauer durch eine externe Intervention gesenkt werden könnten." Gemeint ist eine Intervention durch die EZB. Die Hauptaufgabe seiner Zentralbank bleibe es, für einen stabilen Geldwert, also eine niedrige Inflation, zu sorgen, so Draghi in Frankfurt am Main.
Bislang hat die Europäische Zentralbank bereits für 185 Milliarden Euro Staatsanleihen aus Italien, Spanien, Griechenland, Portugal und Irland gekauft, um die Zinsen zu drücken. Das tut sie bislang aber am sogenannten Sekundärmarkt. Das heißt, die EZB kauft Banken und anderen Gläubigern Staatsanleihen ab. Sie kauft nicht direkt bei den betroffenen Staaten. Diese Praxis sei, so Mario Draghi, nur befristet möglich und nur zur Stützung des gesamten Euro.
Sollte Italien allerdings tatsächlich auf den Kapitalmärkten kein Geld mehr zu erträglichen Zinsen aufnehmen können, wird es alleine schon durch seine Größe zum Problem. In diesem Jahr muss Italien um die 80 Milliarden Euro refinanzieren, im nächsten Jahr sind es 300 Milliarden. Insgesamt liegt die Staatsschuld bei 1900 Milliarden Euro, was 120 Prozent der italienischen Wirtschaftsleistung entspricht.
Fraglich ist, ob der Regierungswechsel in Italien und rigide Sparpakete reichen, um die privaten Investoren wieder zu beruhigen. Zurzeit schwankt der Zins für italienische Staatsanleihen um sieben Prozent herum. Fünf Prozent werden als erträglich angesehen.
Stunde der Wahrheit für Euro-Zone?
Der Chef des Europäischen Rettungsfonds EFSF, Klaus Regling, sagte der "Süddeutschen Zeitung" in Luxemburg, sein Fonds stünde bereit, Italien mit Notkrediten zu helfen, falls dies nötig werde. Dafür hat der EFSF zurzeit 250 bis 300 Milliarden Euro zur Verfügung. Die restlichen Garantien von 200 Milliarden Euro sind an Portugal, Irland und Griechenland vergeben. Erst im Laufe der nächsten Monate wird der EFSF auf rund 1000 Milliarden ausgeweitet, noch wird an den notwendigen finanztechnischen "Hebeln" gearbeitet. Aber auch dann wäre der Fonds zu klein, um alle Krisenstaaten in der Euro-Zone zu retten.
Deshalb gehen viele Experten, wie der amerikanische Nobelpreisträger Paul Krugman, davon aus, dass jetzt die Stunde der Wahrheit für die Euro-Staaten gekommen ist. Entweder sie erklären bald, dass sie ihre Währungsunion mit allen Mitteln, auch mit der Notenpresse der EZB, verteidigen oder sie beenden die Währungsunion. Das nächste Gipfeltreffen der Europäischen Union findet am 9. Dezember statt. Spätestens dann erwarten die Finanzmärkte eine klare Antwort auf die Frage, die Paul Krugman aufgeworfen hat.
Autor: Bernd Riegert (mit dpa, rtr)
Redaktion: Iveta Ondruskova