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Leselust und Lesefrust

Monika Hülsken-Stobbe15. Oktober 2004

Lesen ist "out". Das ist zwar bedauerlich, aber keineswegs Anlass zur Sorge. Viele wissen zwar mangels Erfahrung nicht, was ihnen entgeht, aber schließlich sagt man es ihnen. Auf vielen Wegen.

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Lesen macht Spaß - nicht nur im UrlaubBild: Bilderbox

Die Buchbranche in Deutschland lamentiert über die "generelle Konsumschwäche bei den Käufern". Auch die US-Amerikaner drohen ein Volk von Nicht-Lesern zu werden. Nicht einmal jeder zweite Erwachsene liest dort einer Studie zufolge noch Romane, geschweige denn Gedichte. Ganze vier Prozent der Befragten konnten sich zur Lektüre von Dramen aufraffen. Am Weisheitshimmel drohen dunkle Wolken der Ahnungslosigkeit herauf zu ziehen. Rettung tut not.

Lesen ist pure Lust. Das zumindest meint Thomas Anz, Psychologie-Professor an der Universität Marburg. Er hat die Psychologie des Lesens erforscht und das Buch "Literatur und Lust - Glück und Unglück beim Lesen" geschrieben. Lesen, so schloss er, sei die "Lust am Weggetreten sein", am Trance-Zustand, aus dem man jederzeit wieder in die Wirklichkeit zurückkehren kann. Lesen ist die Lust an der Spannung, am Lachen, am Schrecklichen, am Schockierenden, kurz: die Lust auf Emotionen. Aber Lesen ist auch die Lust an der Entdeckung intellektueller Zusammenhänge. "Lesen ist nicht zuletzt die Lust am Spiel, die der Leser mit dem Autor teilt", meint Anz. Auch das Schreiben von Literatur sei eng verbunden mit der Lust auf Spielen.

Wer nicht liest, bleibt dumm. Oder?

Was aber, wenn die Lust am Lesen trotz medienvermittelter Überzeugungsarbeit nicht geteilt wird? "Wie andere Spiele, muss auch das Spiel Lesen trainiert werden", so der Psychologe. Ist man gut im Training, dann liest es sich besser, wie im Sport. "Viele geben in der Trainingsphase auf und erlangen die wahre Lust am Lesen nicht", meint Anz. Lesen heißt auch, den Alltag vergessen zu können. Es braucht ganz einfach Zeit, sich in ein Buch zu versenken. "Diese Zeit ist bei einer aufwändigen Alltagsbewältigung vielfach nicht mehr vorhanden", so Anz. Ob auch körperliche Unterschiede für Lust oder Nichtlust am Lesen verantwortlich seien, das habe die Psychologie bislang noch nicht untersucht.

Wenn weniger Leute lesen, so bedeutet das noch keine Krise, geschweige denn Katastrophe. Denn was das Lesen für eine Gesellschaft bedeutet, war schon immer eng verbunden mit der sozialen Bewertung. Im 18. Jahrhundert galt Lesen in Europa als Sucht und als höchst sittenwidrig. Damals konnten überhaupt nur 10 Prozent aller Menschen lesen. Wissen und Kultur wurden stärker über das Theater vermittelt. "Heute gilt Lesen in der westlichen Kultur als notwendig, während viele Menschen beispielsweise starken Videokonsum als bedenklich einstufen", fand der Wissenschaftler heraus. Die Zeiten ändern sich.

Internet kaum als Literaturmedium genutzt

Das Internet gewinnt als Medium zwar immer größere Bedeutung, aber zur Literaturvermittlung findet es wenig Anwendung. Literarische Texte werden im Internet kaum gelesen, wohl aber gekauft. So war der deutsche Buchversand "Amazon.de" einer der erfolgreichsten Pioniere im Internetgeschäft. Das "Projekt Gutenberg" stellt eine Ausnahme dar. Das Online-Portal stellt seit über zehn Jahren klassische deutsche Literatur zur Verfügung. Es enthält fast 15.000 Werke von über 450 Autoren, von der Antike bis ins 21. Jahrhundert.

Die Rettung der Lese-Lustkultur? Professor Anz, der Psychologe, sieht das gelassen. "Es gab immer Phasen, in denen mal mehr, mal weniger gelesen wurde." Die Lust am Lesen kommt ganz sicher zurück, und wenn der britische Bestsellerheld Harry Potter im nächsten Band persönlich dafür kämpfen muss. Immerhin hat seine Erfinderin J. K. Rowling die Ehrendoktorwürde der Universität Edinburgh erhalten, weil sie erreicht hat, dass junge Leute das Lesen ganz einfach "cool" finden.