Die Leiharbeit bleibt umstritten
1. Mai 2012Leiharbeit war in der jüngeren Vergangenheit die Beschäftigungsform mit dem höchsten Wachstum. Zwischen Mitte 2003 und Mitte 2007 hatte sich die Anzahl der Zeitarbeitskräfte in Deutschland mehr als verdoppelt. Heute sind rund 900.000 Menschen in einer der rund 17.500 Zeitarbeitsfirmen beschäftigt, die anderen Unternehmen Arbeitskräfte zur Verfügung stellen - das sind knapp drei Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland.
Es war ausgerechnet der sozialdemokratische Kanzler Gerhard Schröder, der den Einsatz von Leiharbeitern einfacher machte. Die Idee: Die Unternehmen sollten es leichter haben, Arbeitskräfte auf Zeit einzusetzen, um Auftragsspitzen abzufangen. Zugleich war die Leiharbeit als Brücke für Arbeitslose gedacht, um einen regulären Job zu finden.
Wer schafft den Wiedereinstieg?
"Zeitarbeit ist ein ganz wichtiges Instrument für den Arbeitsmarkt", sagt Marcel Speker vom Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen iGZ. "Rund ein Drittel der Zeitarbeitnehmer, das haben unsere Umfragen ergeben, wird irgendwann auch in den Kundenbetrieb übernommen." Florian Lehmer vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB in Nürnberg sieht das etwas differenzierter: "In der Tat schaffen Arbeitslose über die Leiharbeit einen Einstieg. Allerdings ist der Effekt nicht sehr groß. Es schaffen nur wenige Menschen."
Die Nürnberger Wissenschaftler sprechen von sieben Prozent, die nach der Leiharbeit einen regulären Job finden. Was stimmt denn nun, sieben oder 30 Prozent? "Es ist plausibel, dass 30 Prozent aller Leiharbeitnehmer nach ihrer Tätigkeit auch außerhalb der Branche einen Job finden", sagt Arbeitsforscher Lehmer. "Aber wenn man, wie bei uns, auf die wirklichen Problemgruppen schaut, also auf die Langzeitarbeitslosen, dann kommt man auf sieben Prozent."
Gleichbehandlung Fehlanzeige
Selbst wenn man unterstellt, dass rund ein Drittel der Leiharbeiter in Deutschland eine reguläre Beschäftigung findet - was ist mit den anderen zwei Dritteln? "Es hat sich eine sehr große Skepsis ausgebreitet bei den Gewerkschaften. Das wird deutlich beim Aufruf zum 1. Mai", sagt Alexander Herzog-Stein vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. "Von dem angedachten Grundsatz der Gleichbehandlung, der ja im Gesetz steht, dass Leiharbeitnehmer und Beschäftigte in den Betrieben gleiche Arbeitsbedingungen haben sollen, sind wir leider meilenweit entfernt."
Die Gewerkschaften hegen den Verdacht, reguläre Belegschaften könnten durch Leiharbeiter ersetzt werden - zu wesentlich niedrigeren Löhnen. Zwar können sich Fälle wie der des Drogerieketten-Tycoons Anton Schlecker, der 2009 seine eigene Zeitarbeitsfirma gründete, seine Belegschaft entließ und sie anschließend zu Hungerlöhnen zurück mietete, seit der Einführung der so genannten "Drehtürklausel" nicht mehr wiederholen. Doch eine Studie der IG Metall vom Frühjahr nennt Namen wie Porsche oder BMW, wo in manchen Abteilungen der Anteil der Leiharbeitnehmer unverhältnismäßig hoch sein soll.
Missbrauch nicht nachweisbar
Indes: Marcel Speker vom Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen, wiegelt ab: "Das lässt sich statistisch nicht nachweisen. Einzelfälle finden Sie immer, wenn Sie lange genug suchen." Was Florian Lehmer vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bestätigt: "Dass die Verdrängung von Stammbelegschaften ein Massenphänomen wäre, dafür haben wir keine Hinweise."
Bleibt der Vorwurf, Leiharbeiter seien Arbeitnehmer zweiter Klasse, seien eine billige Verfügungsmasse, um deutsche Unternehmen flexibler und damit wettbewerbsfähiger zu machen - zu geringen Kosten, denn ein Leiharbeiter verdient wesentlich weniger als sein regulärer Kollege an der gleichen Werkbank. "Wenn wir auf das Ausgleichen von Nachfragenschwankungen setzten, da hat die Leiharbeit ihre Daseinberechtigung", sagt Alexander Herzog-Stein vom gewerkschaftsnahen WSI. "Die Unternehmen kaufen sich Flexibilität. Das Problem ist nur, dass solche Flexibilität nicht billig sein muss".
Stufenweise zum gleichen Lohn
"Trommeln gehört zum Handwerk, gerade zum 1. Mai", hält Marcel Speker vom Verband der Zeitarbeitsfirmen dagegen. "Wir haben einen Mindestlohn vereinbart, der zum 1. November auf 8,19 Euro im Westen steigt. Damit liegen wir - was die Zeitarbeit tariflich angeht - höher als etwa 5,5 Millionen anderer Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland." Die Gewerkschaften streben dagegen einen Mindestlohn von 8,50 Euro an - und langfristig "equal pay", gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Langfristig sei das sicher erstrebenswert, sagt der Nürnberger Arbeitsmarktforscher Florian Lehmer. Aber man müsse aufpassen, dass aus der Brücke zur regulären Beschäftigung nicht ein ganz schmaler Steg wird: "Wenn wir equal pay ab dem ersten Tag einführen würden, dann ist zu befürchten, dass der Einstieg für Problemgruppen, für Langzeitarbeitslose schwieriger wird. Deshalb schlagen wir ein Stufenmodell vor, dass die Angleichung nicht ab dem ersten Tag gilt, sondern stufenweise."