Alte Probleme für Iraks neue Regierung
9. September 2014In Washington und Teheran war die Erleichterung über die Abstimmung in Bagdad offenbar groß. Nach Monaten der Krise hat das irakische Parlament am Montagabend Premier Haidar al-Abadi (Artikelbild) und dessen neues Kabinett bestätigt. US-Außenminister John Kerry sprach von einem "bedeutenden Meilenstein". Damit stehe ein Eckpfeiler im Kampf gegen die sunnitische Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS, früher ISIS). Auch der Iran gratulierte dem Nachbarland umgehend. Irans Präsident Hassan Rohani äußerte die Hoffnung, dass die neue Regierung dem gesamten Irak Ruhe bringen werde. Ob die neue Regierungsmannschaft die hohen Erwartungen erfüllen kann, ist jedoch offen. Zentrale Ressorts sind noch unbesetzt. Bei der Vereidigung der Ministerriege fehlten ein Innen- und ein Verteidigungsminister.
Am Kabinettstisch sitzen viele, die seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 die irakische Politik prägten. Der Kurde Hoschjar Sebari, früher Außenminister, wurde einer von zwei Vize-Ministerpräsidenten. Der andere ist der Sunnit Saleh al-Mutlak, der diesen Posten auch schon zuvor innehatte. Das Außenamt leitet nun der Schiit Ibrahim al-Dschafari, der 2005-2006 selbst Übergangspremier war. Auch der ebenfalls schiitische Ex-Premier Nuri al-Maliki ist nicht von der politischen Bühne verschwunden. Er ist künftig einer von drei Vizepräsidenten, die aber nur begrenzten Einfluss haben.
"Viele alte Gesichter sind dabei. Es ist eigentlich kaum jemand neu hinzugekommen", kommentiert Anja Wehler-Schöck, Leiterin des Regionalbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Jordanien, das neue Kabinett. Das erzeuge bei vielen Irakern den Eindruck, dass Al-Abadi nur eine Neuauflage der alten Regierung vorgestellt habe. Dennoch sei der Wechsel von Al-Maliki zu Al-Abadi ein wichtiger Schritt. "Al-Maliki hat sich in den letzten Jahren immer mehr als ein neuer Diktator und Reformverweigerer gezeigt", sagt die Nahost-Expertin im DW-Gespräch. Dagegen gelte Al-Abadi als kompromissbereit und moderat.
Minister für Kampf gegen IS gesucht
Auch beim Verteidigungs- und Innenministerium gibt es Parallelen zur alten Regierung. Die beiden strategisch wichtigen Posten für den Kampf gegen innere und äußere Feinde waren schon unter Al-Maliki vakant. Dieser hatte die Ressorts nur mit Übergangsministern besetzt und de facto selbst geführt. "Al-Maliki folgte einer Logik, die Macht in seinen Händen zu konzentrieren", erläutert Myriam Benraad vom Zentrum für Internationale Studien und Forschung an der Universität Sciences Po in Paris. Al-Abadi hat sich vorbehalten, über die Posten selbst zu entscheiden, sollten binnen einer Woche keine passenden Kandidaten gefunden werden. Das wecke die Sorge, dass sich das System des früheren Ministerpräsidenten wiederhole, betont Benraad. Nach Einschätzung von Wehler-Schöck ist es angesichts der politischen Spannungen im Land nahezu sicher, dass die beiden Minister nicht innerhalb der Frist benannt werden können.
Die tiefen Gräben zwischen sunnitischen, schiitischen und kurdischen Parteien und sogar innerhalb der schiitischen Parteienbündnisse hatten eine Regierungsbildung über Monate blockiert. Al-Maliki hatte mit seinem zunehmend autokratischen Regierungsstil vor allem die sunnitische Bevölkerungsminderheit verprellt. Damit hatte er dem Zerfall des Landes und dem Machtzuwachs der sunnitischen IS-Kämpfer Vorschub geleistet. Al-Abadi versucht nun, die rivalisierenden Gruppen wieder stärker einzubinden. Im neuen Kabinett haben die Sunniten bislang sieben Ministerien. Die Zahl der Posten spiegele allerdings nicht automatisch deren Einfluss in der Regierung wider, gibt Wehler-Schöck zu bedenken. So sei Vizepremier Saleh al-Mutlak in der vergangenen Legislaturperiode von Al-Maliki ausgegrenzt und an der Ausübung seines Amtes gehindert worden. "Das zeigt, dass durch die alleinige Besetzung von Ämtern mit Sunniten die Diskriminierung und Marginalisierung dieser Bevölkerungsgruppe nicht zwingend endet", erklärt die Expertin der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Viele Herausforderungen für neue Regierung
Ganz oben auf der Aufgabenliste der neuen Regierungsmannschaft steht der Kampf gegen IS und gegen die fortschreitende Auflösung des Staates. Das Kabinett von Al-Abadi wird auch auf die weitgehenden Autonomieforderungen der irakischen Kurden Antworten geben müssen. "Das sind riesige Aufgaben", sagt Wehler-Schöck. Dazu kommen ihr zufolge andere Herausforderungen wie die marode Infrastruktur und die Arbeitslosigkeit.
Die französische Forscherin Benraad vermisst dabei eine gemeinsame Strategie der wichtigsten politischen Kräfte. Noch immer überschatte innenpolitisches Tauziehen den notwendigen Kampf gegen die Bedrohungen für den Zusammenhalt des Irak. "Aller Streit und interner Kampf dreht sich darum, wer was bekommt, aber die Notlage ist ernst. Der 'Islamische Staat' setzt seine Eroberungen fort", warnt die Nahost-Analystin.