Lebende Rettungsinsel für Bangladesch
7. Februar 2019Im Sommer 1988 fegte ein Zyklon über Bangladesch und verursachte die bis dahin schlimmste Flutkatastrophe des Landes. Der Landwirt Hari Podo und seine Familie konnten vor den Überschwemmungen nicht fliehen, also bauten sie ein Floß, mit den Materialien, die sie hatten: Reisstroh und Wasserhyazinthen. Etwa 10 Meter lang und einige Meter breit wurde die Rettungsinsel ein vorübergehendes Zuhause für die Familie und ihre Tiere.
"Wir lebten auf dem Hyazinthenfloß", sagte Podo der DW. "Menschen auf der einen Seite und die Haustiere auf der anderen. Wir haben auf dem Floß geschlafen und gekocht. Wir haben ungefähr zwei Monate lang auf dem Wasser gelebt", erinnert sich Podo. Schon seine Vorfahren bauten aus den schwimmenden Gewächsen Flöße. Damals rettete das Wissen seine Familie. Heute könnten die kleinen schwimmenden Inseln die Lebensgrundlage vieler Menschen sichern.
Wasser von allen Seiten
"Die Jahreszeiten haben sich verändert", sagt Podo. "Der Regen ist heute viel stärker als früher." Das sind nicht nur seine persönlichen Beobachtungen, Studien belegen die Veränderungen. Im Norden des Landes schmelzen die Eiskappen im Himalaja, im Süden steigt der Meeresspiegel des Golfs von Bengalen und der Monsun wird immer stürmischer.
Die Menschen passen sich den verändernden Klimabedingungen an, erklärt Zahid Shashoto von Uttaran, einer Entwicklungsorganisation mit Sitz in Satkhira, im Südwesten Bangladeschs. "Die Bauern wissen nicht unbedingt, was das Problem ist, aber sie suchen nach Lösungen", erklärt er der DW.
Neben Überschwemmungen ist zunehmende Versalzung eine große Herausforderung. Durch den steigenden Meeresspiegel dringt immer mehr Salzwasser in den fruchtbaren Boden des Gangesdeltas ein und bedroht die Felder und Brunnen der Bauern. Zwischen 2000 und 2009 drang das Salz etwa 15 Kilometer von der Küste landeinwärts in die Flüsse vor. Heute dringt das Salz während der Trockenzeit rund 160 Kilometer tief ins Inland und gefährdet damit 40 Prozent des Ackerlands im Süden Bangladeschs.
"Salzwasser schadet der Landwirtschaft", sagt Mahmud Shamsuddoha, Leiter des Forschungsinstituts Center for Participatory Research and Development in Dhaka, Bangladeschs Hauptstadt. "Je weiter man in den Süden geht, desto mehr sieht man, dass Landwirtschaft nicht mehr profitabel ist." Laut Shamsuddoha ist der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt im letzten Jahrzehnt von von 50 auf 20 Prozent gefallen.
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Von Agrikultur zur Wasserkultur
Viele Bauern haben deshalb ihre Felder aufgegeben und suchen Arbeit in Städten. Andere sind geblieben und haben sich den Umständen angepasst: sie betreiben nun Garnelenzucht. Wie zum Beispiel Joggadish Mallick. Der 59-jährige Landwirt lebt in dem kleinen Dorf Parmagur Khali im Südwesten des Landes. Er hat beobachtet, wie sich seine Heimat in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert hat. "Es ist ein Kampf für die Bauern", sagt er, während er barfuß über rutschige Dämme zu seinen Garnelenbecken läuft. "Die meisten verlassen das Dorf und ziehen in Städte. Einige arbeiten in der Textilindustrie in Dhaka."
Für die, die hier im Dorf gebliebenen sind, ist die Garnelenzucht zur Haupteinnahmequelle geworden. "Heute sind wir nicht mehr von tiefer Armut betroffen. Mit der Garnelenzucht geht es uns besser", sagte Mallick der DW. Garnelen sind mittlerweile zum zweitgrößten Exportgut – nach Kleidung – geworden. Das meiste geht in die Europäische Union.
Allerdings bringt die Aquakultur auch Nachteile. Die Natur sei nicht mehr so vielfältig wie vorher. "Es gibt kaum noch Bäume hier, unsere schöne Natur verschwindet langsam", sagt Mallick. Außerdem glaubt er, dass auch sein Dorf irgendwann leer stehen wird. Denn die immer stärkeren Zyklonen schädigen die nahe Küste immer weiter und werden auch die Garnelenzucht beeinträchtigen oder sogar unmöglich machen. Und dann werden auch die verbliebenen Landwirte die Region verlassen müssen.
Leben in einem Sumpfgebiet
In den Distrikten Gopalganj, Jessore und Kuhlna ist das Eindringen von Salzwasser bisher noch kein Problem. Dafür aber Überschwemmungen. Doch auch hier passen sich die Bauern bereits verändernden Klimabedingungen an.
Giassudin Saddar baut Bananen, Guaven, Kokosnüsse, Mangos und Okraschoten an. Sein Feld ist umrandet von großen, blattreichen Bäumen und einem Labyrinth von Kanälen. "Wir lieben unsere Flüsse und unsere Kanäle. Wir sind an dieses Leben gewöhnt", sagt Saddar voller Stolz. Sein Dorf Nazir Bazar ist auf ehemaligen Sumpfboden gebaut. Die Dorfbewohner haben das Land mit Erde aufgeschüttet und Kanäle gegraben, um den Grund trockenzulegen und soliden Boden für ihre Häuser und Gärten zu schaffen. Kinder springen von den schattigen Kanalufern in das grüne Wasser. Sie fahren mit dem Boot zur Schule, die Eltern damit zum Markt.
Im Gegensatz zu Garnelenzüchter Mallick blickt Saddar optimistisch in die Zukunft. "Was auch immer kommen mag – Flüsse, Kanäle, Regen, Überschwemmungen – wir haben gelernt, mit einer verändernden Umwelt zu leben", sagt er der DW.
Lebende Flöße
Mit dem Wasser zu leben, daran versuchen sich auch Bauern zu gewöhnen, die bisher an Land ihre Felder bestellt haben. Wie Podo, der seine Familie Ende der 1980er Jahre von den Überschwemmungen mit einem Floß gerettet hat, setzen nun auch andere Landwirte auf die traditionelle, fast vergessene Form der Wasserkultur auf schwimmenden Inseln.
Frauen und Männer arbeiten Seite an Seite, um die bis zu 20 Meter langen lebenden Inseln aus Wasserhyazinthen, Reisstroh und anderem pflanzlichen Material zu bauen und darauf Nahrung anzubauen. Alles ist bio. Denn da die Pflanzen im Wasser wachsen, sind sie weniger anfällig für Schädlinge und brauchen keine Düngemittel. Jedes schwimmende Feld hält etwa drei Monate. Danach wird mit dem organischen Material das Getreide, das an Land wächst, gedüngt.
Wasserhyazinthen, die die Basis für die schwimmenden Gärten bilden, galten lange als Plage. Sie sind eine invasive Pflanze, die auch im mit Salz verunreinigten Wasser gut gedeiht. Jetzt gelten sie als Allzweckwaffe. Allerdings sind auch sie nur in bestimmten Bedingungen überlebensfähig, sagt Shamsuddoha. Denn wenn die Meeresspiegel weiter steigt und das Grundwasser zunehmend versalzt, könnte das auch für die robusten Wasserhyazinthen giftig werden. Doch zumindest für den Moment sind die schwimmenden Gärten ein Rettungsanker für unzählige Familien.