Lebende Bomben
3. März 2004Keiner weiß was Admiral Masabumi Arima zuletzt durch den Kopf ging, als er mit seinem Kampfjet nahezu senkrecht auf den amerikanischen Flugzeugträger Franklin zuraste und zerschellte. Arimas Kamikazeeinsatz am 15. Oktober 1944 gilt als Geburtsdatum des systematisierten Selbstmordangriffes in der Moderne. Zunächst nur im rein militärischen Sinne angewandt, gelten menschliche Bomben seit Mitte der 1970er-Jahre als effektivstes Kampfinstrument terroristischer Gruppen und Guerillas weltweit.
Drastischer Anstieg
Ob Moskau, Jerusalem oder Bagdad - auch im Februar 2004 vergeht keine Woche ohne die Nachricht eines erneuten Anschlages von Attentätern, die zu allem entschlossen sind. Am Dienstag (2.3.2004) scheinen Selbstmordattentäter auch in der irakischen Stadt Kerbela ein Blutbad unter schiitischen Pilgern angerichtet zu haben. Und die Zahl der Selbsmordanschläge steigt weltweit drastisch. Waren es in den gesamten 1980er-Jahren gerade mal 31 Anschläge, so sind es allein zwischen 2000 und 2001 mehr als 50 Angriffe mit menschlichen Bomben. Westliche Beobachter sind ratlos. Das Phänomen Selbstmordanschlag scheint unbegreiflich - widersetzt sich der Attentäter doch einer Grundregel menschlicher Existenz.
Das kaum vorhandene Wissen über Herkunft und Motivation der Täter hat zu schnell zusammengezimmerten Erklärungsansätzen geführt, die ein ums andere Mal religiöse Fanatiker und Wahnsinnige am Werk sehen. Ein historisch reflektierter Blick auf das Phänomen widerlegt solche Pauschalurteile. Joseph Croitoru, in Haifa geborener Journalist und Buchautor, hat die historischen Wurzeln des Selbstmordattentats näher untersucht. "Der Eindruck, es handle sich stets um religiöse Fanatiker, wird bereits von den palästinensischen Selbstmordattentätern der 1970er-Jahre widerlegt, die als antiimperialistische Guerilleros und nicht als islamische Gotteskrieger auftraten", erklärt Croitoru im Gespräch mit DW-WORLD.
Netz des Terrors
Anschaulich zeichnet Croitoru in seinem Buch "Der Märtyrer als Waffe" eine historische Linie von den japanischen Kamikazepiloten zu den Todespiloten des 11. Septembers 2001. Und verweist auf ein transnationales Netz des Terrors. "Es gibt ein eindeutiges Beziehungsgeflecht", sagt Croitoru. So hätten beispielsweise nordkoreanische Militärs ihr in Japan erlangtes Wissen in palästinensischen Trainingslagern weitergegeben und auch die Tamilen in Sri Lanka unterstützt. Was vereint diese unterschiedlichen Akteure?
Croitoru sieht vor allem ähnliche gesellschaftliche Bedingungen, die die Entstehung und Akzeptanz von Selbstmordattentaten begünstigen. "Es handelt sich hier fast ausnahmslos um vormoderne Gesellschaften, die hierarchisch und autoritär strukturiert sind und einen lebendigen Ehrenkodex aufrechterhalten", erklärt er. Eine wirkliche oder wahrgenommene nationale Unterdrückung von außen, möglicherweise verstärkt durch eine Besatzung, können so schnell zum Einsatz unkonventioneller Strategien führen.
Grenzenloser Erfolg
Die Folge sind Anschläge mit einer mächtigen und universal einsetzbaren Waffe. "Der Erfolg beim Einsatz von Selbstmordanschlägen kann gar nicht überschätzt werden", sagt Croitoru. Schließlich ist es nahezu aussichtslos Selbstmordanschläge zu verhindern. Medial inszeniert, zielen die Anschläge auf die Schwachstellen moderner Gesellschaften. Die ausführenden Attentäter sind dabei letztlich nur Instrumente von rational kalkulierenden Drahtziehern im Hintergrund. Indoktriniert durch Tradition und Jenseitsvorstellungen stürzen sich junge Iraker, Tschetschenen und Palästinenser in den Tod. Und folgen dem tragischen Beispiel von Admiral Masabumi Arima.