Leben im Kibbuz
Claudia Adada ist Mitte Fünfzig und leitet die Wäscherei des Kibbuz "Ramat Rachel" im Süden Jerusalems. Die Deutsche kam in den 70er Jahren als freiwillige Helferin nach Israel - 1977 entschied sie sich für das Leben im Kibbuz. Früher war es für sie ein Traum, wie sie erzählt: "Damals war der Kibbuz noch lebender Kommunismus. Das war vor allem die lebende Form von dem, was wir alle toll fanden, also Kommune, Zusammenleben, Teilen."
Die ersten Kibbuzim entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts. Kibbuzim waren Gemeinschaften, die die neu erschlossenen Gebiete des damaligen Palästinas besiedelten und bewirtschafteten. In den Siedlungen fanden vor allem Neuankömmlinge einen Platz zum Bleiben. Aber auch viele junge Menschen aus Europa, die sich einen Kommunismus wünschten, der nicht vom Staat aufgezwungen wurde, kamen dorthin.
Für die Arbeit in der Wäscherei bekommt Claudia umgerechnet 900 Euro. Den gleichen Betrag erhalten alle Mitglieder - egal, welche Arbeit sie leisten. Es ist kein Lohn, sondern Taschengeld, wie Claudia erklärt. Alle Bewohner des Kibbuz können bestimmte Dinge kostenlos benutzen, wie zum Beispiel die Wäscherei oder die Großküche.
Die Zukunft macht Claudia allerdings Sorgen. Sie befürchtet, dass die Kibbuzim nicht mehr viel mit ihrem damaligen Traum von einer Kommune zu tun haben werden. Denn die Privatisierung erreicht auch die Kibbuzim. In einigen der Kommunen müssen die Menschen bereits für bestimmte Dinge bezahlen. Auch die Mitglieder werden weniger: Während 1948 noch jeder zehnte Israeli in einem Kibbuz lebte, sind es heute nicht mal mehr zwei Prozent.
Glossar
Kibbuz, der (Plural: Kibbuzim) - eine von mehreren → Siedlungen in Israel, die → sozialistisch strukturiert ist
Siedlung, die - ein Ort, an dem Menschen Häuser bauen, um dort zu wohnen
sozialistisch - auf den Sozialismus bezogen
Kommunismus, der - eine politische Richtung, die sich gegen den Kapitalismus richtet
Wäscherei, die - ein Ort, an dem die Wäsche von vielen Menschen gewaschen wird
Kommune, die - hier: die Gemeinschaft, in der alles gemeinsam entschieden wird
erschlossenes Gebiet, das - Land, das durch Arbeit nutzbar gemacht wird
etwas besiedeln - eine → Siedlung an einem Ort errichten
etwas bewirtschaften - etwas landwirtschaftlich nutzen
Neuankömmling, der - hier: der Migrant
jemandem etwas aufzwingen - jemanden durch Drohung oder Gewalt dazu bringen, etwas zu akzeptieren
umgerechnet - in eine andere Währung übertragen
Betrag, der - die Summe
Lohn, der - das Geld, das man durch Arbeit verdient
Taschengeld, das - hier: Geld, das jeder für sich ausgeben darf
Privatisierung, die - die Tatsache, dass etwas, das allen gehört hat, in das Eigentum einer einzelnen Person übergeht
Fragen zum Text
1. Claudia Adada kam nach "Ramat Rachel", weil sie …
a) nicht mehr in Deutschland leben konnte.
b) als freiwillige Helferin in Israel arbeitete.
c) sich für die Privatisierung interessierte.
2. Alle Bewohner eines Kibbuz bekommen …
a) verschiedene Löhne.
b) den gleichen Lohn.
c) ein Taschengeld.
3. Claudia befürchtet, dass …
a) die Wäscherei demnächst Geld kosten wird.
b) immer mehr Menschen in die Kibbuzim ziehen wollen.
c) es bald keine Kibbuzim mehr geben wird.
4. Wer von jemandem etwas verlangt, das dieser gar nicht will, der …
a) zwingt sich zu etwas.
b) zwingt jemandem etwas auf.
c) bezwingt jemanden.
5. Ist man in einem fremden Land, muss die eigene Währung eventuell ... werden.
a) umgerechnet
b) abgerechnet
c) ausgerechnet
Arbeitsauftrag
Könnten Sie sich vorstellen, in einer sozialistisch organisierten Kommune zu leben? Erstellen Sie eine Tabelle, in der Sie Argumente für und gegen das Leben im Kibbuz nennen. Präsentieren Sie anschließend Ihre Ergebnisse im Kurs.
Autor: Khalid El Kaoutit/Lukas Völkel
Redaktion: Raphaela Häuser