"Irans Regime nicht auf der Kippe"
6. Februar 2020"Unzufriedenheit ist momentan das einzige, was die Menschen im Iran eint", sagt Ahmad Seidabadi aus Teheran im Gespräch mit der DW. Seidabadi gehört zu den bekanntesten Journalisten im Iran. Ihm wurde 2010 der "Golden Pen of Freedom Award" des Weltzeitungsverbands (WAN-IFRA) verliehen. Er veröffentlicht seine Artikel zurzeit ausschließlich auf seinem Telegram-Kanal "Andere Perspektive". Iranische Medien meidet er ebenso wie andere soziale Netzwerke. Nicht, weil er Angst vor Repressalien hätte, sagt er. Aber die Situation lasse keinen Raum für vernünftige Analyse und Dialog. "Wer nicht für einen Regimewechsel wirbt, wird schnell als Regimeanhänger eingeordnet und angegriffen, besonders in sozialen Netzwerken".
"Keine Alternative zu Reformen"
Für den Journalisten ist klar: Das politische System im Iran sich muss sich reformieren, weil es keine andere Wahl mehr hat. Seidabadi landete in diesem System mehrfach hinter Gittern. Zuletzt war er für sechs Jahren im Gefängnis, nachdem er im Juni 2009 verhaftet worden war. Das war kurz nach der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad und zusammen mit einer Reihe einflussreicher Journalisten und Aktivisten.
Die meisten von Ihnen wurden wie Ahmad Seidabadi wegen angeblicher Volksverhetzung und Propaganda gegen die iranische Republik in Schauprozessen zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Diese Methode wird seit der Islamischen Revolution von 1979 immer wieder verwendet, um Kritiker und Andersdenkende zum Schweigen zu bringen und um die Bildung einer organisierten Opposition im Keim zu ersticken.
"Exil-Gruppen ohne Einfluss"
"Es gibt im Iran keine Opposition, die in der Lage wäre, die Unzufriedenheit aller Schichten der Gesellschaft zu vereinen und zu mobilisieren", meint Seidabadi. "Verschiedene Gruppen außerhalb des Irans verstehen sich als iranische Opposition. Meiner Meinung nach hat aber keine von ihnen eine ernsthafte Chance auf nennenswerte Zustimmung und Unterstützung im Land."
Auch im Westen können diese Gruppen nicht auf Unterstützung rechnen. Laut einem Bericht der amerikanischen Nachrichtenagentur Bloomberg von Anfang Januar hat US-Außenminister Mike Pompeo US-Diplomaten angewiesen, Kontakte mit iranischen Oppositionsgruppen zu begrenzen. Andernfalls könnten die Bemühungen der USA um eine umfassende Vereinbarung mit der iranischen Führung gefährdet werden, mit der die USA hoffen, das "destabilisierende Verhalten" Irans einzudämmen. Eine dieser Gruppen sind die Volksmudschahedin (Mojahedin-e-Khal, MEK) die im Iran als Terrororganisation eingestuft werden und im achtjährigen Iran-Irak-Krieg den Irak unterstützten. Die MEK hatte in der Vergangenheit laut Bloomberg geschäftliche Kontakte zu Trumps Anwalt Rudy Giuliani und zu John Bolton.
Schah-Sohn sieht "Orientierungslosigkeit" im Westen
Zum Aufbau einer Exil-Opposition käme theoretisch der im amerikanischen Exil lebende Sohn des Schahs, Cyrus Rehza Pahlavi, in Frage, sagt Seidabadi. "Gerade unter den jüngeren Iranern haben einige Sehnsucht nach einem Schah, nach einer Vergangenheit, die sie nicht kennen, und sie rufen bei ihren Protesten nach ihm", berichtet der Journalist.
Der 59jährige Schah-Sohn ist zwar politisch aktiv, setzt aber nicht viel Hoffnung in die Regierung von Donald Trump. In einem Interview mit der deutschen Tageszeitung "Die Welt" vom 26. Januar sagte er, das "Potenzial für einen Regimewechsel" im Iran sei derzeit "enorm". Er siehe aber in der Iranpolitik der USA aufgrund des tiefen innenpolitischen Grabens eine "gewisse Orientierungslosigkeit." Dies treffe auch auf die Europäer zu, deren lang gehegte Hoffnung, die Krise diplomatisch lösen zu können, sich zunehmend als Illusion entpuppe. Er selbst werde in einem demokratischen Iran nicht für ein Amt kandidieren oder auf einem bestimmten Posten bestehen.
"Wir müssen realistisch denken"
"Die Islamische Republik Iran steht nicht auf der Kippe", meint der Journalist und Schriftsteller Resa Alidschani mit Blick auf die jüngsten Proteste. Er fordert an die Adresse der demokratischen Kräfte gerichtet: "Wir müssen realistisch denken". Alidschani saß in den 1980er Jahren wiederholt im Gefängnis und lebt im Pariser Exil. "Ein Blick in die Geschichte der Außenpolitik der Islamischen Republik zeigt: Dieses System leistet bis zum bitteren Ende Widerstand. Es gibt erst auf, wenn es nicht mehr anders geht. Das haben wir in den Atomverhandlungen gesehen, die 13 Jahre lang gedauert haben."
Zugleich zeige dieses Beispiel der Außenpolitik, dass steigender Druck auch im Inneren funktionieren könnte, sagt Alidschani. "Der Druck ist vorhanden. Er muss nur kanalisiert werden. Alle Schichten der Gesellschaft sind unzufrieden. Sie haben aber unterschiedliche Forderungen: Von Verbesserung der Wirtschaftslage bis zu größerer gesellschaftlichen und politischen Freiheit. Wir müssen Wege finden, die es allen Schichten der Gesellschaft ermöglichen, durch friedliche Prostete die Machthaber mit ihrer Forderungen zu konfrontieren. Zum Beispiel mit Streiks. So etwas muss aber von einer breiten Öffentlichkeit unterstützt werden."
Für Alidschani geht es nicht um einen Umsturz, sondern um langfristige Reformen, die schrittweise umgesetzt werden. Sein Vorschlag verlangt einen intensiven Dialog und Solidarität der Zivilgesellschaft, Dinge, die über Aktivitäten in den sozialen Netzwerken hinausgehen.