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Droht die deutsche Wirtschaft zu überhitzen?

Klaus Ulrich
11. Januar 2018

Die Wirtschaft entwickelt sich prächtig, Arbeitskräfte sind Mangelware, der Export boomt, die Leute gehen shoppen. Allerdings steigt auch die Gefahr, dass der Wachstumsmotor überdreht.

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Drehzahlmesser im Auto
Bild: Imago/Chromorange

Wir leben in kuriosen Zeiten. Eine Stellenanzeige eines Holzbaubetriebes wäre normalerweise als Witz durchgegangen - im Herbst aber sorgte sie für Furore. Da suchte die HS Holzbau GmbH aus dem Odenwald jemanden, der nicht "völlig verpeilt ist, die Uhr lesen kann und nicht alle fünf Minuten eine Whatsapp schreiben muss". Und in dem Stil ging es weiter:

"Du beherrschst die Grundrechenarten, du kannst dich in deutscher Sprache verständigen, du kannst dir vorstellen, mindestens fünf Mal die Woche zu arbeiten, ohne gleich an einem Burn-out-Syndrom zu erkranken. Dann melde dich."

Das Echo war gewaltig. "Die Welle ist der Wahnsinn", sagte Firmeninhaber Hubert Schleucher in einem Zeitungsinterview. "Ich bekomme hunderte Anrufe. Vieles sind Kontrollanrufe, die schauen wollen, ob das ein Fake ist. Aber ich bekomme auch viele Glückwünsche von anderen Arbeitgebern, denen es ähnlich geht." Er habe gar kein Aufsehen erregen gewollt, erzählte Firmenchef, sondern einfach nur "jemanden Vernünftigen" finden wollen, der auf seinen Baustellen arbeitet.

Zeichen für Überhitzung?

Die Geschichte veranschaulicht, wie schwierig es heutzutage ist, Mitarbeiter zu finden - auch wenn sie nur vermeintlich einfachsten Anforderungen zu entsprechen brauchen. Diese Entwicklung ist eine Folge des wirtschaftlichen Aufschwungs, der nach dem Absturz während der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 eingesetzt hat. Doch nun mehren sich die Zeichen, dass Deutschlands Wirtschaft zu überhitzen droht. Davor warnten bereits die Wirtschaftsweisen in ihrem letzten Gutachten für die Bundesregierung.

Auch bei Michael Hüther, dem Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) läuten die Alarmglocken. In einer Unternehmens-Umfrage des IW zum Investitionsverhalten und zur Frage der Überhitzung beklagte kürzlich ein Drittel der Chefs die Überauslastung ihrer Betriebe. Grund sei der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern. "Wir haben also in der Tat das Problem des Fachkräftemangels als Wachstumsbremse", so Hüther im Gespräch mit der DW.

Mehr Lastwagen als Fahrer

Zu Illustration wählt der Volkswirt ein Beispiel aus der Logistikbranche. Bei den Spediteuren liefen die Geschäfte zwar hervorragend, aber Steigerungen seien kaum noch möglich. "Es gibt mehr Lastwagen als Lkw-Fahrer", sagt Hüther, "und wenn sie die Lkw-Fahrer nicht haben, können sie Güter nicht von einem Hersteller zum nächsten in einer Lieferkette weiterbringen".

Zur Lösung dieser Probleme empfiehlt der Ökonom eine Strategie, die an mehreren Punkten ansetzt. Zum einen müsste das inländische Arbeitskräftepotential mobilisiert werden, auch wenn das nicht einfach sei. "Wir haben mit 78 Prozent eine der höchsten Erwerbstätigenquoten. Da ist die Luft dann schon dünn", so Hüther. Man könne aber noch fragen, ob Frauen mehr in Vollzeit gehen könnten statt in Teilzeit. Dafür müssten dann aber entsprechende Voraussetzungen bei der Kinderbetreuung, also beim Ausgleich von Familie und Beruf geschaffen werden.

Weitere Verlängerung der Lebensarbeitszeit

Es könne bereits jetzt eine weitere Verlängerung der Lebensarbeitszeit diskutiert werden, wenngleich erst 2029 erstmals die Rente mit 67 voll greife. Das Bildungssystem müsse stärker dem dynamischen Strukturwandel angepasst werden, Stichwort: Digitale Transformation.

"Und schließlich werden wir über Zuwanderung im Sinne einer gesteuerten Zuwanderung viel umfassender und intensiver zu reden haben", so Hüther. "Die gesetzlichen Regelungen sind im Prinzip nicht schlecht, aber intransparent und zerstückelt. Deswegen ist ja in vielen politischen Programmen das Stichwort des Einwanderungsgesetzes enthalten."

Deutschland IG Metall setzt Warnstreiks in der Metallindustrie fort
Sechs Prozent mehr Lohn? Warnstreik in der MetallindustrieBild: picture-alliance/dpa/G. Kirchner

Wie stark steigen die Löhne?

Die zunehmende Engpässe am Arbeitsmarkt und merklich steigende Einkommen der Arbeitnehmer - die Gewerkschaft IG Metall fordert in der aktuellen Tarifrunde sechs Prozent mehr Lohn - deuten darauf hin, dass ein Heißlaufen der deutschen Wirtschaft bereits in vollem Gange ist.

Doch Gemach - sagen beispielsweise die Experten vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Ihre Einschätzung der Lage: Hochkonjunktur ja, Überhitzung nein. Denn nach BIP-Zuwächsen von mehr als zwei Prozent in den Jahren 2017 und 2018 dürfte 2019 das Wirtschaftswachstum auf 1,6 Prozent sinken, was gegen eine Überhitzung spreche.

EZB befeuert Überhitzugsszenario

Zwar seien momentan insbesondere die Baubranche und Teile der Industrie stark ausgelastet. Aber der Aufschwung münde nicht in eine starke Inflation, was ein Hinweis für eine Überhitzung wäre. Das DIW erwartet, dass die Teuerungsrate von 2017 bis 2019 bei 1,7 Prozent verharrt. Sie bliebe damit unter dem Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB), die bei Werten von knapp unter zwei Prozent von stabilen Preisen spricht.

Kurioserweise begünstigt die Notenbank selbst mit ihrer Niedrigzinspolitik, die die Inflation anheizen soll, auch die überhöhten Drehzahlen einiger Branchen. Denn das ist den allermeisten Beobachtern klar: Gibt es keine Wende bei der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank, sprich: das Ende der Nullzinspolitik - bleibt die Gefahr einer Überhitzung für Deutschlands Wirtschaft bestehen.