Koalitionen, die niemand wollte
2. September 2019Joschka Fischer war oft ein politischer Pionier. Schon lange vor seiner Zeit als erster und bislang einziger deutscher Außenminister der Grünen (1998-2005) avancierte er zum ersten Minister seiner Partei auf Landesebene. Im Dezember 1985 übernahm er im Bundesland Hessen als Juniorpartner der Sozialdemokraten (SPD) das Ressort für Umwelt und Energie. Das Bündnis galt auch deshalb als Sensation, weil die Grünen gegen den Ausbau des internationalen Frankfurter Flughafens waren und sich deshalb erbitterte Kämpfe mit der SPD lieferten.
Viele Protagonisten der erst 1980 gegründeten Umweltpartei hatten eine militante Vergangenheit als Straßenkämpfer. Fischer selbst stammte aus diesem Milieu. Die kulturellen Unterschiede zu Hessens SPD-Ministerpräsident Holger Börner, einem gelernten Betonfacharbeiter, hätten also kaum größer sein können. "Fotos mit mir und den Grünen an einem Verhandlungstisch werden noch nicht einmal als Montage zu sehen sein", spottete Börner im Wahlkampf. Und doch ließ sich der Sozialdemokrat auf das Abenteuer ein, weil er keine eigene Mehrheit hatte.
Die Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED kam 1998 an die Macht
Für die Christdemokraten (CDU) blieben die Grünen noch sehr lange ein rotes Tuch. Eine Partei, die in ihrer frühen Phase unter anderem den Austritt Deutschlands aus dem Nordatlantischen Verteidigungsbündnis (NATO) forderte, war aus konservativer Perspektive ein Sicherheitsrisiko und damit eher ein Fall für den Verfassungsschutz. Erst 2008 und damit 23 Jahre nach der Premiere von Rot-Grün wurde im Stadtstaat Hamburg die erste schwarz-grüne Landesregierung gebildet. Bündnisse zwischen SPD und Grünen hatte es zu diesem Zeitpunkt bereits zehnmal gegeben, waren also schon Routine.
Sehr umstritten waren lange auch rot-rote Koalitionen. Im Osten Deutschlands endeten die Berührungsängste 1998, neun Jahre nach dem Ende der DDR-Diktatur. In Mecklenburg-Vorpommern besiegelte die SPD mit der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), der heutigen Linken, ihr erstes Bündnis. Damit gelangte die Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED an die Macht. Was vor allem Opfer des früheren kommunistischen Regimes als Zumutung und Skandal empfanden.
Noch größer war die Empörung, als 2002 in Berlin ebenfalls SPD und PDS eine Koalition schmiedeten. In der Stadt, die 28 Jahre durch eine Mauer geteilt war. Trotzdem wagte SPD-Regierungschef Klaus Wowereit diesen Tabu-Bruch. Dadurch hatten die Ostberliner erstmals das Gefühl, an der politischen Willensbildung beteiligt zu sein. Denn bei Wahlen ging weiter ein Riss durch die Stadt – im Westen dominierte die SPD, im Osten die PDS.
In Sachsen-Anhalt regiert Schwarz-Rot-Grün schon seit 2016
Inzwischen gibt es landesweit immer mehr Dreier-Bündnisse, weil die Volksparteien CDU und SPD überall schrumpfen. Und weil niemand mit der Alternative für Deutschland (AfD) regieren will, entstehen plötzlich völlig unerwartete Allianzen gegen die Rechtspopulisten. In Sachsen-Anhalt regiert deshalb seit 2016 erstmals eine schwarz-rot-grüne Koalition. Weniger aus Zuneigung als aus der Not heraus. In Sachsen läuft es nun ebenfalls auf dieses Trio hinaus, weil die CDU Koalitionen mit der AfD und der Linken ausschließt.
In Brandenburg hingegen sieht es nach Rot-Rot-Grün aus. Ein Modell, das 2014 erstmals in Thüringen kreiert wurde. Das Besondere: Weil die Linke dort innerhalb des Bündnisses stärkste Partei ist, stellt sie in Person von Bodo Ramelow erstmals den Ministerpräsidenten. Thüringen war also in zweifacher Hinsicht eine Premiere. Inzwischen regieren auch in der Stadtstaaten Berlin und Bremen rot-rot-grüne Koalitionen, allerdings jeweils mit einem Sozialdemokraten an der Spitze.
Wegen der AfD geht der Trend im Osten zu Dreier-Bündnissen
Sollten sich die Parteien in Brandenburg und Sachsen für Dreier-Koalitionen entscheiden, hätten fünf von sechs ostdeutschen Ländern ein Regierungstrio. Mecklenburg-Vorpommern wäre dann das einzige Bundesland mit einer Koalition aus zwei Parteien (SPD und CDU). Durch den Aufstieg der AfD entstehen Koalitionen, die ursprünglich niemand wollte. Im Osten passiert jetzt im Zeitraffer das, was sich bei Zweier-Bündnissen in viel längeren Zeiträumen entwickelte: Es bilden sich Regierungen, die aus weltanschaulichen und programmatischen Gründen lange als ausgeschlossen galten.
Leichter tut man sich da schon mit der sogenannten Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen (Rot-Gelb-Grün). Die Premiere gab es 1991 im Stadtstaat Bremen. Eine andere Farben-Konstellation entstand 2009 erstmals im Saarland: Schwarz-Gelb-Grün. Das Trio wurde als Jamaika-Koalition bezeichnet, weil die Flagge jenes Landes die gleichen Farben hat. Nach der Bundestagswahl sah es lange so aus, als würde Angela Merkel die erste Jamaika-Bundesregierung bilden. Doch die FDP sprang im letzten Moment ab. Auch in diesem Fall gilt: Die Bundesländer sind beim Überwinden politischer Mauern schneller als der Bund.