Landgrabbing greift um sich
1. Mai 2012Zwei Schulkinder versuchen weinend ein paar Kleidungsstücke aus den Ruinen ihres Hauses zu retten. Die Eltern stehen ohnmächtig da, während Bulldozer bereits das Nachbarhaus platt walzen. Ein massives Polizei- und Militäraufgebot begleitet die Aktion inmitten von Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas.
Mit diesem Video will die Nichtregierungsorganisation LICADHO auf die Rechte der Landvertriebenen in Kambodscha aufmerksam machen. Kek Pung, die Präsidentin von LICADHO, zieht Bilanz. "4000 Familien wurden vertrieben", erzählt sie. Zwei der Frauen hätten später aus Verzweiflung Selbstmord begangen. Die ehemaligen Bewohner des Boeung-Kak-Sees in Phnom Penh hätten alles verloren – und wurden zu einem entfernten Ort verladen - "wie Abfall", sagt Kek Pung. Sie wurden gewaltsam vertrieben, weil der See, an dem sie wohnten, trockengelegt und an Investoren verkauft werden sollte.
Investitionsopfer
Die Familien aus Phnom Penh teilen ihr Schicksal mit Millionen anderen Menschen auf der ganzen Welt. "Wenn Land enteignet wird, um für heimische oder internationale Investoren Platz zu schaffen, geht die lokale Bevölkerung meist leer aus", berichten Entwicklungsorganisationen. Gefragt würden sie in der Regel nicht, eine Möglichkeit das Recht auf ihr Land einzuklagen gebe es nur selten. Denn zum einen sind die Nutzungsrechte in vielen Ländern nicht in einem Kataster registriert, zum anderen sind Gerichtsverfahren teuer und meist aussichtslos. Korrupte Regierungen und Vetternwirtschaft tun ihr Übriges.
Für Agrar- und Landinvestitionen in Afrika und Asien gebe es auch positive Beispiele, betont die Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann. Das sei dann der Fall, wenn der Investor "Arbeitsplätze und Einkommen schafft und Gewinne für weitere Investitionen im Land lässt." Doch da, "wo Investitionen nur dazu dienen, die Gewinne rauszuholen und woanders zu machen, da schaden sie der Bevölkerung", beklagt Dieckmann. Die Deutsche Welthungerhilfe fördert nun seit 50 Jahren Projekte zur ländlichen Entwicklung auf der ganzen Welt. Kernanliegen dabei, so Dieckmann, war immer die Ernährungssicherheit.
Ausverkauf der Agrarflächen
Die Ernährungssicherheit gestaltet sich aber schwierig, wenn Landwirtschaftsflächen im großen Stil an in- und ausländische Großinvestoren verkauft oder verpachtet werden Die Ernten sind dann für den Export bestimmt und nicht mehr für die Ernährung der lokalen Bevölkerung. Staaten, die selber nicht genug Ackerland haben, kaufen Flächen auf, um ihre eigene Bevölkerung zu ernähren. Nationale und internationale Großkonzerne pachten große Flächen in Afrika, Asien und Lateinamerika, um dort Futtermittelpflanzen oder Pflanzen für Agrarkraftstoffe profitabel anzubauen.
In Asien verpachtet die philippinische Regierung zum Beispiel über eine Million Hektar Ackerland an Investoren aus Japan, Südkorea, China und zahlreiche Golfstaaten. Der Urwald, CO2-Speicher und Lebensraum für Menschen, Tiere und Pflanzen, wurde abgeholzt. Die lokale Bevölkerung hat von diesen Investitionen nicht profitiert. Früher waren die Philippinen Selbstversorger mit dem Grundnahrungsmittel Reis. Heute sind sie der zweitgrößte Reis-Importeur der Welt und die Bevölkerung muss die Importe bezahlen.
Afrika im Fokus
In Afrika alleine sind mittlerweile fast fünf Prozent der Landwirtschaftsfläche von ausländischen Investoren aufgekauft worden, das entspricht der Fläche von Kenia. Dies geht aus einer neuen Studie der Weltbank hervor, die ausländische Landinvestitionen der vergangenen zehn Jahre aufzeichnet.
Das Weltbankprojekt "Land Matrix" zeigt, dass zwischen den Jahren 2000 und 2010 weltweit 83,2 Millionen Hektar Land an ausländische Firmen oder Staaten verpachtet oder verkauft wurden. Das Projekt, bei dem auch die Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) beteiligt ist, untersuchte mehr als 1200 Fälle.
In Lateinamerika wurden große Urwaldgebiete gerodet, um Platz für den Anbau von Futtermittel und Biokraftstoffe zu schaffen. Auch wenn es sich oft um heimische Großfirmen handelt: Jobs sind dabei nicht entstanden. Beim Soja-Anbau kann eine Person 500 Hektar bewirtschaften. Die Parzellen der Kleinbauern sind höchstens zwei Hektar groß. Der Ertrag reicht aber für das Einkommen und die Nahrung einer ganzen Familie.
Ob Soja-Kulturen in Lateinamerika, Palmöl- oder Kokos-Plantagen in Asien oder Zuckerrohr in Afrika: Die Kleinbauern sind meist die Verlierer, denn Kompensationen gibt es selten oder überhaupt nicht. Außerdem verbrauchen die riesigen Flächen mit Monokulturen sehr viel Wasser. Das Ergebnis: Die lokalen Bauern am Rande der riesigen Industriefläche können nichts mehr anbauen, weil ihnen das Wasser fehlt. Oft genug werden ihre Produkte außerdem von großflächiger Pestizidbesprühung über den Monokulturen vergiftet oder ihr Getreide wird mit genetisch veränderten Sorten aus dem Industrieanbau verseucht.
Weltbank fordert Regeln
Nicht nur Entwicklungshilfeorganisationen, auch die Weltbank fordert mittlerweile internationale Regeln für den Verkauf von Landflächen. Nach langwierigen Verhandlungen hat die FAO (Welternährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN) am 11. Mai freiwillige Richtlinien zum Umgang mit Landrechten verabschiedet. Die Richtlinien sollen sicher stellen, dass die Rechte der lokalen Bevölkerung gewahrt bleiben. Außerdem sollen die mittel- und längerfristigen Auswirkungen für Mensch und Umwelt analysiert und transparent dargestellt werden. Die Anwohner sollen am Entscheidungsprozess beteiligt werden.
Allerdings: es sind freiwillige Richtlinien. Und inwiefern sie auch bei nicht-landwirtschaftlichen oder inländischen Investoren, wie zum Beispiel in Phnom Penh, Anwendung finden werden, wird sich erst noch herausstellen müssen.