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Landflucht begünstigt Waldbrände in Südeuropa

6. August 2021

Die verheerenden Brände am Mittelmeer seien nicht nur auf extreme Trockenheit und starke Winde zurückzuführen, meint Feuerökologe Johann Goldammer, Leiter des Zentrums für Globale Feuerüberwachung, im DW-Interview.

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Männer fliehen vor den Waldbränden nahe Athen
Viele haben durch die Brände alles verloren. Werden sie auch ihre Heimat verlassen?Bild: Angelos Tzortzinis/dpa/picture alliance

Ob auf dem Balkan, in Griechenland, der Türkei oder in Italien - verzweifelt stellen sich Feuerwehr und Anwohner den übermächtigen Feuerwalzen entgegen - vielerorts allerdings vergebens. 

Zusätzlich angefacht werden die verheerenden Waldbrände durch die große Hitze, die extreme Trockenheit und starke Winde. 

Wetterextreme werden durch den Klimawandel immer häufiger, auch in Gegenden, die bislang davon verschont wurden. Das erhöhte Waldbrandrisiko ist aber nicht nur auf klimatische Extreme oder den Klimawandel zurückzuführen, meint Feuerökologe Johann Georg Goldammer, Leiter des Zentrums für Globale Feuerüberwachung, im DW-Interview. Gerade im Mittelmeerraum habe sich die Landschaft vielerorts durch die anhaltende Landflucht gravierend verändert - mit fatalen Folgen.

Brachflächen erhöhen Brandrisiko

DW: Herr Prof. Goldammer, schwere Waldbrände hat es im Mittelmeerraum immer gegeben, wieso verschärft die Landflucht die Waldbrandgefahr?

Johann Georg Goldammer: Auf dem Balkan, in Griechenland und in der Türkei ist der Trend der Landflucht ungebrochen. Die junge Generation zieht in die Städte, um dort Arbeit und mehr Lebensqualität zu finden. Mit dem Wegzug der Jungen überaltert der ländliche Raum. Die Dörfer, die alten Siedlungen sterben nach und nach aus.

Prof. Dr. Johann Georg Goldammer
Johann Georg Goldammer, Leiter des Zentrums für Globale FeuerüberwachungBild: Philipp on Dithfurt

Das bringt mit sich, dass dort die traditionell sehr intensive Landnutzung wegfällt. Die nicht mehr bewirtschafteten Brachflächen werden sukzessive durch Gras, Sträucher, einzelne Bäume und schließlich durch Wald besiedelt, die dem Feuer mehr Nahrung bieten, als die intensiv bewirtschafteten Landwirtschafts- bzw. Weideflächen. 

Will man grundsätzlich etwas gegen das Risiko zunehmender Gefährdung durch intensive Landschaftsbrände unternehmen, muss in Südeuropa der Fokus auf Maßnahmen liegen, die der Landflucht und ihren Folgen entgegensteuern. 

Problematische Aufforstung

Als Reaktion auf die anhaltende Landflucht haben einige Länder ja bereits ihre ländliche Struktur umgestaltet und zum Beispiel gezielt aufgeforstet. Ist das der richtige Weg? 

Das kommt sehr drauf an, wie diese Aufforstung aussieht. In Portugal zum Beispiel werden für die Zellstoff- und Holzproduktion großflächig schnell wachsende Baumarten angebaut. Das sind dann Exoten wie Kiefern und Eukalyptus, die hochgradig gefährdet, weil leicht brennbar sind - im Gegensatz etwa zu den traditionellen Olivenhainen oder Korkeichenbeständen, die sehr intensiv gepflegt werden und wo zwischen den weit auseinander stehenden Olivenbäumen bzw. Eichen sehr wenig Brennmaterial vorhanden ist.

An heißen Tagen finden Weidetiere dort Schutz unter den Bäumen und halten gleichzeitig den Boden frei von potentiellem Brennmaterial.

Durch diese Eukalyptus- und Kiefern-Plantagen aber sehen wir jetzt heftige Brände auf der Iberischen Halbinsel, wo es früher keine Waldbrände gab, weil es dort traditionell gar keinen Wald gab. 

Feuerwehrmänner bei Waldbrand bei Drossopigi
Kiefern und Eukalyptus sind leicht brennbar. Brände in Plantagenwäldern sind nur sehr schwer zu bekämpfen.Bild: Eurokinissi/ZUMA Wire/imago images

In der Türkei brennen derzeit vor allem auch Kiefernaufforstungen. Die Brände in diesen Plantagenwäldern sind nur sehr schwer zu bekämpfen, denn diese Baumplantagen brennen sehr intensiv. Bei starken, trockenen Winden ist es bisweilen unmöglich, ein Feuer aufzuhalten. 

"Natürliche Wälder" sind extrem gefährdet

Neben solchen Monokultur-Aufforstungen gibt es vielerorts auch den Wunsch, Wälder möglichst unberührt zu belassen. Sind solche "natürlichen" Wälder nicht widerstandsfähiger gegen Wetterextreme und Feuer?

In einem unberührten Wald gibt es eine hohe Diversität von bestimmten Pflanzen und Insektenarten, aber auch sehr viel Totholz. Bei Hitzewellen oder bei Bränden ist solch ein Wald extrem gefährdet. 

Um Wälder weniger anfällig für Feuer zu machen, müssen sie so gestaltet werden, dass ein Feuer dort weniger Nahrung findet und damit auch leichter kontrolliert werden kann. Dies ist vor allem durch eine intensive Land- und Weidewirtschaft – einschließlich kontrollierter Beweidung in Wäldern - möglich.

Karte Waldbränder Süd- und Osteuropa DE
Es brennt nicht nur in Griechenland und der Türkei

Dadurch haben wir zwar weniger pflanzliche Biomasse, weniger Kohlenstoff pro Flächeneinheit, vielleicht auch weniger Biodiversität als in einem sehr artenreichen, urwaldähnlichen Mischwald. Dafür haben Offenwaldbestände aber eine höhere Resilienz gegenüber Stressfaktoren wie Feuer, Dürre oder Sturm.

Wälder müssen an Klimaextreme angepasst werden

Extreme Wetterlagen treten inzwischen aber nicht nur im Mittelmeerraum, sondern durch den Klimawandel immer häufiger und immer verbreiteter auf. Wie müssen wir uns den neuen Realitäten anpassen?

Wir haben ja gerade wieder bei uns in Deutschland extrem starke Niederschläge und Überflutungen erlebt. Hinzu kommen extreme Windereignisse, einschließlich Tornados, wie wir sie bislang nicht hatten oder lange Trockenzeiten und Feuer.

All das betrifft natürlich auch sehr direkt den Wald. Deshalb müssen wir Abschied nehmen von unserem Bild des Waldes, wie er sich in bisher gemäßigtem und sehr ausgeglichenem Klima entwickeln konnte, in dem derartige Extreme praktisch nicht oder nur selten auftraten. 

Die Bewirtschaftung unserer Wälder in Hinblick auf eine erhöhte Resilienz gegenüber diesen Klimaextremen – Trockenheit, Starkwinde, Starkniederschläge – muss prioritär angegangen werden. 

Schafe in der Türkei werden von den verheerenden Waldbränden in Sicherheit gebracht
Retten was zu retten ist. Die Brände werden die Not der Menschen in den strukturschwachen Gebieten weiter verschärfen.Bild: YASIN AKGUL/AFP

Wenn wir in Zukunft Klimarahmenbedingungen wie im Mittelmeerraum oder wie in den Subtropen bekommen, dann müssen wir uns die Wälder dort anschauen. Wie sehen sie aus? Sind sie genauso dicht und hoch und reich an Biomasse wie z.B. unsere Fichten-, Tannen- und Buchenwälder? Nein! Das sind offene Wälder mit relativ wenigen Bäumen pro Flächeneinheit. 

Dadurch stehen dem einzelnen Baum mehr Boden und mehr Wasser zur Verfügung, er wurzelt tiefer. Diese Standfestigkeit ist gerade bei den extremen Trockenzeiten oder bei extremen Winden wichtig. Und Waldweiden halten diese stabilen "Lichtwälder" offen und reduzieren so das Brennmaterial.

Kurzfristige Hilfe statt langfristige Lösungen

Aber nicht nur in strukturschwächeren Gebieten fehlen oftmals die finanziellen Mittel und auch der gesellschaftspolitische Wille für eine tiefgreifende Anpassung an die neuen Realitäten. 

Das sehe ich ganz genauso. Wir werden wohl kollektiv einen Lernprozess durchmachen müssen, um dem Klimawandel zu begegnen. Weltweit und vor allem auch in Süd- und Südosteuropa sind die alten Kulturlandschaften in einem Prozess des Wandels, bedingt durch die Änderung bzw. Aufgabe der Landnutzung, der zu hochgradig gefährlichen und destruktiven Bränden führt.

Es ist außergewöhnlich schwierig, der schnelllebigen Politik zu vermitteln, dass hier ein langfristig angelegter Handlungsbedarf besteht. Die Beschaffung von Technologie wie Feuerwehrfahrzeugen oder Löschflugzeugen ist politisch einfacher und attraktiver.

Prof. Dr. Johann Georg Goldammer ist Leiter des Global Fire Monitoring Center (GFMC), Max-Planck-Institut für Chemie, und Professor für Feuerökologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg 

Das Interview führte Alexander Freund

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund