Landesweit erhöhen Mexikaner den Druck auf ihre Regierung
20. November 2014Die Tribünen auf dem Platz der Verfassung in Mexiko-Stadt hatten Soldaten vorsorglich wieder abgebaut. Für die traditionelle Militärparade zum Tag der Revolution von 1910 ist an diesem 20. November kein Platz. Der Zócalo, wie die Mexikaner den Platz nennen, soll Schauplatz einer Massendemonstration werden.
Sieben Tage lang sind drei Gruppen von Familienmitgliedern und Kommilitonen der 43 verschwundenen Studenten durch weite Teile Mexikos gezogen, um Menschen zu mobilisieren, die ihre Forderung nach einem Ende der Straflosigkeit in Mexiko unterstützen.
Die drei Protestzüge (s. Karte) sind nach Studenten benannt, die in jener Nacht vom 26. auf den 27. September in der Ortschaft Ayotzinapa, nahe der Stadt Iguala im Bundesstaat Guerrero, von der Polizei getötet wurden. Von 43 Studenten, die in jener Nacht festgenommenen wurden, fehlt seither jede Spur.
Für den nationalen Feiertag am 20. November sind mehr als 200 Demonstrationen in allen 24 Bundesstaaten des Landes angekündigt. Angehörige, Studenten und Unterstützer wollen in drei Gruppen durch die mexikanische Hauptstadt ziehen und am Abend auf dem Zócalo zu einer Kundgebung zusammentreffen. Die nationale Presse spricht vom "Megamarsch" in Mexiko-Stadt.
Ein nationales Anliegen
Die klare Forderung lautet nach wie vor: "Lebend hat man sie mitgenommen, lebend wollen wir sie wieder." Sie ist auf die 43 Vermissten von Ayotzinapa gemünzt. Doch es geht um viel mehr: "Es sind nicht 43, es sind Tausende. Das haben wir von Anfang an gesagt", sagt Omar García, einer der Überlebenden." Mindestens 26.000 Menschen sind in Mexiko seit 2006 verschwunden, 150.000 wurden ermordet.
Politik, Polizei und Justiz sahen weitgehend tatenlos zu. Nur eines von 100 Tötungsdelikten wird in Mexiko aufgeklärt. Dennoch blieb die Öffentlichkeit lange still. Doch nun scheint das Maß voll. Seit Wochen unterstützen immer mehr Menschen die Betroffenen von Ayotzinapa. Sogar im Ausland finden Solidaritätskundgebungen statt. Inzwischen haben sich zahlreiche zivile Organisationen wie Menschenrechts-, Bauern- und Studentengruppen den Eltern und Studenten von Ayotzinapa angeschlossen.
Versagen der Politik
Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto kümmert sich indes darum, die Vorwürfe gegen ihn und seine Ehefrau wegen Korruption und Amtsmissbrauchs zu entschärfen. Ein politisches Zeichen, endlich der Straflosigkeit entgegen treten zu wollen, bleibt er weiterhin schuldig. Stattdessen hält er den Demonstranten vor, es ginge ihnen nur darum, das politische Projekt seiner Regierung zu torpedieren.
Dieses Projekt bestand bisher vor allem darin, Mexikos Image bei ausländischen Investoren aufzupolieren. Dafür beendete Peña Nieto den militärischen Kampf gegen die Kartelle und stieß auch sonst wichtige Reformen an. Von seinem Wahlkampfversprechen, die organisierte Kriminalität entschieden zu bekämpfen, ist jedoch bis auf ein paar verhaftete Drogenbarone nicht viel zu sehen. Im Fall Ayotzinapa zeigte er vor allem Desinteresse: Die Verantwortung schob er auf den Bundesstaat und für das bisher einzige Treffen mit den Eltern der Vermissten ließ er sich sechs Wochen Zeit.
Entschlossene Aktivisten
"Wenn Peña Nieto hinter den Protesten wirklich eine politische Kampagne gegen ihn vermutet, verkennt er offenbar vollkommen die Stärke und Entschlossenheit der Eltern", sagt die Menschenrechtsexpertin Christiane Schulz. Beharrlich hatten die auf die präsidiale Audienz gedrängt und Peña Nieto am Ende sogar eine Unterschrift abgerungen. Damit willigte der Präsident in ein Zehn-Punkte-Programm ein, das ihn unter anderem dazu verpflichtet, die Ermittlungen von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission überwachen zu lassen.
Davon, dass die Opposition die Ereignisse von Ayotzinapa zur Diskreditierung der Regierung ausschlachten würde, kann nicht die Rede sein. "Man wäre ja froh, wenn irgendeine Partei klare Position beziehen würde", sagt Mexikokennerin Schult. Doch dazu seien wohl Mitglieder aller Parteien zu sehr in die organisierte Kriminalität verstrickt.