"Großmannssucht Richtung Osmanisches Reich"
10. März 2016DW: Frau Akgün, Emine Erdogan, die Ehefrau des türkischen Staatspräsidenten, hat dieser Tage ein Loblied auf den osmanischen Harem gesungen. Der sei eine "Lehreinrichtung, in der Frauen auf das Leben vorbereitet wurden". Was will Frau Erdogan uns damit sagen?
Lale Akgün: Nach dem Bild, das das Ehepaar Erdogan von Frauen hat, ist der Harem natürlich eine Schule des Lebens. Wenn man nämlich Frauen zu einem Sexualobjekt degradiert, sie nur noch als Gebärmaschinen sieht, dann ist der Harem natürlich der perfekte Ort, um Frauen für die Zukunft auszubilden.
Frauen als Gebärmaschinen und erotische Objekte - eine eigentümliche Vorstellung, um es zurückhaltend zu formulieren.
Das eine hängt mit dem anderen zusammen. In den Schriften der konservativen Islamisten kann man genau das lesen: Die Frau soll sich schön machen für ihren Mann, sich vorbereiten für ihn und ihm Kinder gebären. Die Aussage von Frau Erdogan passt perfekt zu der ihres Mannes. Der hat am Frauentag gesagt, das eigentliche Ziel eines Frauenlebens sei es, Mutter zu sein.
Wie kommt das an in der Türkei? Es gibt ja ein konservatives und ein säkulares, modernes Lager.
Die Aussage deckt sich mit dem, was im konservativen Lager seit Jahren gepredigt wird. Die Islamisten neigen ja sehr dazu, sich als Opfer zu betrachten. In der Türkei sehen sie sich als Opfer von 90 Jahren Republik und denken nun, sie kehrten endlich zu ihren im Osmanischen Reich gründenden Wurzeln zurück. Mit einem solchen Denken ist ja auch eine Großmannssucht in Richtung Osmanisches Reich verbunden. Viele Anhänger Erdogans träumen von diesem Reich. Die 90 Jahre der türkischen Republik möchten sie am liebsten nach Art eines "Werbeblocks" - so bezeichnen sie es selbst - wegzappen, um nahtlos an die Vergangenheit anzuknüpfen.
Mir tun natürlich die aufgeklärten und säkularen Frauen leid. Und das nicht nur, weil ihre Stimme nun immer mehr untergeht. Sondern auch und vor allem, weil sie für ihre Vorstellungen gedemütigt und verfolgt werden. Das war etwa am 8. März der Fall, als Frauen, die eine Demo zum Frauentag veranstalten wollten, von der Polizei verfolgt wurden.
Für wie stark halten Sie diesen konservativen Islam, der sich in frommen Erzählungen wie der vom Harem artikuliert?
In Wirklichkeit war der osmanische Harem für Frauen die Hölle. Sie wurden gedemütigt, unterdrückt, sie mussten zum Islam konvertieren, sie wurden zu Sexualobjekten degradiert, sie mussten um die Gunst der Männer - vor allem des Sultans - buhlen. Sie führten ein Leben, das sich eigentlich keine Frau wünscht. Das als eine Wunschvorstellung darzustellen, ist natürlich eine Fiktion.
Ich fürchte aber, dass Fiktionen wie diese in bestimmten Kreisen auf sehr fruchtbaren Boden fallen - durchaus auch im Sinne einer politischen Zielsetzung. Denn es handelt sich ja nur um einen Aspekt konservativer Vorstellungen: Insgesamt soll die Türkei wieder das größte und stärkste Land werden, alle sollen vor Erdogan niederknien. Das zeigt sich jetzt ja auch in der EU-Politik. Insofern bekommt er auch noch "Beweise" für seine Größe. Das hilft ihm dann natürlich auch, seine Innenpolitik weiterzuführen. Die EU verhilft Erdogan mit ihrer Politik richtig fest in den Sattel.
Die Äußerung kommt just in der Woche, in der die EU-Staaten mit der Türkei in Brüssel ein Abkommen in der Flüchtlingsfrage vereinbart haben. Ist das Zufall? Oder spricht aus dieser Koinzidenz womöglich eine gewisse Überheblichkeit seitens der Türkei?
Diese Zeichen von Überheblichkeit gibt es ja immer wieder. In Kreisen der Regierungspartei AKP gibt es in der Tendenz ähnliche Aussagen seit langen, etwa zum Thema Zwangsheirat oder Ehrenmord. Nebenbei gesagt: Seit die AKP an der Macht ist, hat die Zahl der Ehrenmorde um ein Vielfaches zugenommen. Beachtenswert ist, dass die Äußerungen an Entschiedenheit zunehmen. Zunächst war von der Frau die Rede, die zu Hause sitzen soll. Dann sprach man von den Werten der türkischen Frau, und jetzt sind wir beim Harem. Ich glaube, das wird systematisch verfolgt.
Zu welchem Zweck?
Erdogan muss eine ideologische Richtung entwickeln, damit er sein Ziel, Präsident auf Lebenszeit zu werden, erreichen kann. Dazu passen seine Auslassungen zum Osmanischen Reich. Er will der gewählte Sultan werden. Allerdings werden diese kultur- und religionsgeschichtlichen Äußerungen nur der Überbau sein. Das eigentliche Ziel ist es, alle Machtinstrumente - Exekutive, Legislative und Jurisdiktion - in eine Hand zu bringen, und zwar in die des Präsidialamtes und eben auch die von Erdogan. Es würde mich nicht wundern, wenn er sich zum Präsidenten auf Lebenszeit ausrufen ließe und dann dafür sorgt, dass irgendein Nachfahre, ein Sohn oder Schwiegersohn von ihm, an die Macht kommt. Also eine Art Familiendiktatur.
Was wäre angesichts dieser Entwicklung denn eine kluge Politik der EU?
Eine kluge Politik wäre es gewesen, wenn die EU zusammen mit den UN anstatt der Türkei die Flüchtlingspolitik ins Auge gefasst hätte. Die Zusammenarbeit mit der Türkei wurde ja als alternativlos dargestellt. Ich halte das für keine gute Idee. Denn ich glaube nicht, dass die Türkei in der Lage sein wird, den Wünschen der EU nachzukommen. Es ist nicht einmal sicher, ob sie dazu überhaupt willens sein wird. Wenn man ein bisschen die türkische Politik und die Mentalität der AKP kennt, dann weiß man sehr genau, dass man sich auf diesen Partner nicht verlassen kann und nicht verlassen sollte.
Lale Akgün ist Buchautorin und Politikerin und saß von 2002 bis 2009 für die SPD im Bundestag. Geboren wurde sie Istanbul.
Das Interview führte Kersten Knipp.