Lafontaines Hoffnung
1. Oktober 2009Auf den ersten Blick ist Angela Merkels zweite Kanzlerschaft machtpolitisch ein Spaziergang. Sowohl im Parlament als auch in der Länderkammer werden Union und FDP eine scharz-gelbe Stimmen-Mehrheit haben. Doch einer ruft bereits zum Widerstand: Linken-Chef Oskar Lafontaine. Er möchte den Bundesrat, die Vertretung der 16 Länder, als Blockadeinstrument gegen die Regierung wiederbeleben.
Die vorsichtige Kanzlerin Merkel warnt deshalb die eigenen Leute davor, sich schon in den Koalitionsverhandlungen zu zerstreiten. Die doppelte Mehrheit in Bundestag und Bundesrat sei eine gute Basis, "aber diese Mehrheiten könnte man ja auch verlieren, wenn man Vertrauen der Wählerinnen und Wähler verspielt". Man habe schon im Mai nächsten Jahres eine wichtige Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, erinnert Merkel.
Sieben Mal Schwarz-Gelb in den Ländern
Nordrhein-Westfalen ist das größte deutsche Bundesland und hat sechs Sitze im Bundesrat. Das Gremium der Ländervertreter kann als eine Art zweite Kammer viele Gesetzesvorhaben der Bundesregierung stoppen. Darauf hofft Lafontaine. Schwarz-Gelb stellt zwar künftig 37 der 69 Ländervertreter und damit die Mehrheit, wenn in Schleswig-Holstein nichts mehr schief geht, wo Union und FDP die siebte schwarz-gelbe Koalition in den 16 Bundesländern bilden wollen.
Doch im Mai nächsten Jahres könnten fast 14 Millionen Wähler in Nordrhein-Westfalen Merkels Macht empfindlich einschränken. Zöge beispielsweise die Linke, also die Linkspartei, erstmals in den Düsseldorfer Landtag ein und es käme eine rot-rot-grüne Regierung mit SPD und Grünen zustande, verlöre Schwarz-Gelb die entscheidenden Stimmen im Bundesrat. Bei der Bundestagswahl am 27. September legte die Linke in Nordrhein-Westfalen schon einmal kräftig auf 8,4 Prozent zu. Insgesamt lag Schwarz-Gelb dort nur knapp vorn.
"Kleine Bundestagswahl" im nächsten Mai
Lafontaines Hoffnungen auf einen Wechsel bei der nächsten Landtagswahl sind also nicht unbegründet. Er setzt die SPD offen unter Druck: Ihr schlechtes Wahlergebnis sei daran Schuld, dass Schwarz-Gelb bei der Bundestagswahl triumphieren konnte. Jetzt sollten die Sozialdemokraten wenigstens bei einer nachträglichen Ergebniskorrektur mithelfen - über den Umweg des Bundesrates, fordert Lafontaine: "Auf jeden Fall müsste jetzt die Sozialdemokratie ihre Hauptaufgabe darin sehen, alles dafür zu tun, dass der befürchtete Sozialabbau gestoppt wird." Damit habe die Wahl in Nordrhein-Westfalen schon nach kurzer Frist die politische Bedeutung einer "kleinen Bundestagswahl". Der Bundesrat werde jetzt ins Zentrum der Aufmerksamkeit treten, kündigte er an.
Zwar ist durch die jüngste Föderalismusreform die Zahl der Gesetze gesunken, die einer Zustimmung durch den Bundesrat bedürfen. Ein Lieblingsprojekt der Liberalen in der neuen Regierung wäre allerdings auf jeden Fall zustimmungspflichtig - die Steuerreform.
Griff in die alte Trickkiste
Die Ministerpräsidenten der Bundesländer sollen sich nach Lafontaines Willen als rot-rote Blockadehelfer gegen die Vorhaben der neuen Regierung stemmen. So wie in den 90er-Jahren, als Lafontaine saarländischer Ministerpräsident und SPD-Vorsitzender war und in der Länderkammer den Widerstand gegen eine Steuerreform der Regierung Kohl organisierte.
Allerdings dürfte es dieses Mal wesentlich schwieriger werden. Die Länderkammer ist viel bunter geworden, als in Zeiten, da Alleinregierungen von Union oder SPD dominierten. Und in welches Lager soll man Hamburgs schwarz-grüne Regierung einsortieren? Und selbst wenn Schwarz-Gelb keine eigene Mehrheit mehr hat, könnte sich die reiche Regierungskoalition das Wohlwollen von armen Bundesländern auch noch erkaufen - ein durchaus probates Mittel.
Thüringer SPD erhörte Lafontaines Ruf nicht
Weit entfernt von der Realität ist auch der Gedanke an eine eigene rot-rot-grüne Mehrheit im alten Preußischen Landtag, wo der Bundesrat in Berlin seinen Sitz hat. Regierungen aus SPD, Linken oder Grünen gibt es derzeit nur in Rheinland-Pfalz, Bremen und Berlin.
Ob es im Saarland und Brandenburg nach den jüngsten Landtagswahlen dazu kommt, ist offen. In Thüringen hat die SPD den Ruf Lafontaines nicht erhört und verhandelt stattdessen mit der Union über eine Koalition.
Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Kay-Alexander Scholz