"Lafontaine ist kein deutscher Haider"
11. Juli 2005DW-WORLD: Welche Chancen räumen Sie dem neuen Linksbündnis bei einer vorgezogenen Bundestagswahl ein?
Klaus Detterbeck: Die Chancen für das Linksbündnis sind relativ hoch einzuschätzen. Ich würde aber unterscheiden zwischen einer kurzfristigen Erfolgschance für die Bundestagswahl und den längerfristigen Perspektiven, die ich kritischer sehen würde. Kurzfristig hat die Partei die Chance, ein Vakuum, das im derzeitigen Parteiwettbewerb besteht, aufzufüllen. Es gibt vor allem für die Wähler im Westen keine Möglichkeit, den Protest gegen die Sozialreformen, die Politik der Marktliberalisierung auszudrücken. Da füllt diese Partei eine Lücke. Längerfristig sehe ich das Problem, dass die PDS und die WASG sehr heterogen sind, dass es sowohl auf der Führungsebene, als auch an der Basis sehr viele Unterschiede gibt, zwischen einerseits den gewerkschaftsnahen Gruppierungen in Westdeutschland und den alten PDS-Kadern im Osten. Da geht weder programmatisch, noch von den politischen Zielen zusammen. Was die beiden Gruppierungen verbindet, ist der Protest gegen die Sozialreformen. Längerfristig werden die sich aber zerstreiten.
Eine Protestpartei also? Wer wird zur ihrer Wählerschaft gehören?
Im Westen sind es sicherlich die enttäuschten SPD-Anhänger, gerade eben das gewerkschaftliche Milieu, aus dem die SPD sehr lange ihre Stammwähler bezogen hat. Im Osten sind es die alten PDS-Wähler, die sich auch aus verschiedenen Gruppen wieder zusammensetzen. Da gibt es einerseits eine Protestwählerschaft, die sich dagegen wehren, dass der Osten als zweitklassig empfunden wird, oder es gibt die alten, die DDR-Kader. Es ist sicher eine Protestpartei. Wenn wir in andere Länder gucken, Schweden oder Spanien, da gibt es auch solche Linksbündnisse, das sind auch heterogene Gruppen, in den Kommunisten sitzen, Grüne oder Linksaktivisten. Die speisen sich auch aus dem Protest gegen Modernisierung, Liberalisierung von Wohlfahrtsstaaten.
Da funktioniert es aber auch längerfristig...
Ja, da es sich um sehr pragmatische, lockere Bündnisse, dreht, in denen die Einzelgruppen relativ unverbunden nebeneinander stehen und nur bei Wahlen zusammenagieren. Das wird in Deutschland so nicht funktionieren. Diese Partei muss sich positionieren. Da werden nach der Wahl sicher Probleme anwachsen und da sehe ich wenig Chancen, dass das zusammenhält.
Droht der SPD ernsthaft Schaden durch dieses neue Bündnis?
Die SPD wird sicher bei ihrer Stammklientel, dem gewerkschaftlichen Milieu, Wähler verlieren. Wähler, die eventuell nicht zu der Wahl gegangen wären, wenn sich diese Partei nicht gegründet hätte. Die sehen jetzt wohl auch eine Chance, ihre Wut und Enttäuschung über die SPD-Regierung, ihre Frustration auszudrücken. Es ist in der Tat eine Bedrohung für die SPD.
Reagiert die SPD denn angemessen auf diese Bedrohung, indem sie das neue Linksbündnis schlecht zu reden versucht?
Die SPD ist immer davon ausgegangen, dass sie die Stimme auf der Linken ist, die Stimme der traditionellen Arbeitnehmerschaft im weiteren Sinne. Jetzt ist seit langer, langer Zeit wieder so etwas wie eine ernsthafte Konkurrenz da. Und da reagiert die SPD sehr allergisch. Die SPD schwankt in ihrer Reaktion: Sie versucht einerseits ihre soziale Kompetenz, die Anliegen der sozialen Gerechtigkeit wieder stärker zu artikulieren. Andererseits versucht sie das neue Bündnis als illegitim darzustellen. Das wird aber wohl gerade bei den von der Schröder Regierung enttäuschten Wählern die Distanz von der SPD fördern. Das Verhalten der SPD trägt also nicht unbedingt dazu bei, ihre Stammwählerschaft fester zu halten, andererseits ist es schwer zu sehen, was die SPD sonst machen sollte.
Lesen Sie im zweiten Teil: Wie populistisch ist das neue Linksbündnis und fischt Spitzenkandidat Oskar Lafontaine nach rechten Wählern?
Dem neuen Bündnis wird von vielen Seiten Populismus vorgeworfen. Zu Recht?
Die Partei ist sicherlich populistisch in dem Sinne, dass sie den Protest gegen Veränderung, Modernisierung, ohne wirklich sagen zu wollen bzw. können, was sie denn anders machen würde. Das ist eine Partei, die nur den Protest befördern will und noch nicht soweit ist, Antworten zu geben. Jetzt könnte man aber sagen, das ist auch nicht unbedingt die Aufgabe einer neuen Oppositionspartei. Sie ist eine Chance, Protest auszudrücken und sie kann die etablierten Parteien dazu bringen, bestimmte Dinge noch mal zu überdenken.
Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, der ehemalige SPD-Vorsitzende, werden als Spitzenkandidaten auftreten. Vor allem Lafontaine wird scharf von der SPD und den Grünen angegriffen. Man titulierte ihn als "deutschen Haider", der am rechten Rand nach Stimmen fischt. Was halten Sie von dem Vorwurf?
Nein, das kann man meines Erachtens so nicht sagen. Der Vorwurf geht zurück auf eine Rede Lafontaines, in der er von "Fremdarbeitern" sprach, einem Begriff des rechten Lagers. Wenn man die politische Entwicklung Lafontaines anschaut, ist es, glaube ich, nicht anzunehmen, dass da eine rechte Gesinnung im Hinterkopf steckt, oder dass es den Versuch gibt, die rechte Wählerschaft zu gewinnen. Lafontaine war immer ein Querdenker, war immer jemand, der auch gegenüber seiner Partei sehr unbequeme Positionen vertreten hat. Das tut er weiter hin. Also der Vergleich mit Haider ist nicht gerechtfertigt.
Aber hat denn Lafontaine wirklich sinnvolle Rezepte anzubieten?
Lafontaine hat seit seinem Rückzug aus der Bundesregierung immer wieder öffentlichkeitswirksam, in Veröffentlichungen oder in Talkshows, seine Sicht der Dinge verbreitet – also eine staatliche Kontrolle der globalisierten Wirtschaft. Und es wurde ihm immer wieder vorgeworfen, das seien keine realistischen Rezepte. Für ihn und die Gruppierungen, die er vertritt, ist es eine glaubwürdige Antwort auf die Globalisierung. Es ist aber sicherlich in der jetzigen Situation keine wirkliche angemessene Antwort. Es ist ja nicht zu sehen, wie eine starke staatliche, nationale Kontrolle auf europäischer Ebene politisch umgesetzt werden könnte. Wenn Lafontaine gefragt würde, das wirklich in reale Politik umzusetzen, dann würde sich diese Gruppierung wohl relativ schnell auflösen. Aber als Oppositionspartei, als Protestpartei haben solche Ziele eine Legitimation. Es ist eine Möglichkeit für enttäuschte Wähler ausdrücken, dass sie mit dem Kurs, dem Tempo der Reformen nicht einverstanden sind. Insofern erfüllt das Bündnis eine demokratische Funktion.
Der Politologe und Parteienforscher Klaus Detterbeck (Jahrgang 1966) lehrt und arbeitet am Institut für Politikwissenschaft der Universität Magdeburg.