Künstliche Intelligenz im Sport - vom Code zum Sieg?
28. Oktober 2023Spitzensport steht für Emotionen und unvorhersehbare Ereignisse. Trainerinnen und Trainer treffen je nach Bauchgefühl Entscheidungen, Spiele beeinflussen. Das war schon immer so. Doch es könnte sich etwas ändern: Droht durch den Einsatz von "Künstlicher Intelligenz" (KI), dass Sport planbarer und emotionsloser wird?
Zwar werden seit Jahren bereits Daten für die Analyse von Spielen genutzt, doch gerade bei der Auswertung stoßen die Coaches immer häufiger an die Kapazitätsgrenzen. Der Grund: Die gesammelten Spiel-Fakten werden immer genauer und umfangreicher. An diesem Punkt soll künftig "KI" helfen.
"Künstliche Intelligenz ist eine Technologie, die von Computern und Maschinen ausgeführt wird, um Aufgaben zu erledigen, die normalerweise menschliche Intelligenz erfordern, aber für den Menschen in der Regel zu komplex sind", sagt Daniel Memmert von der Deutschen Sporthochschule in Köln. "Diese KI-Systeme nutzen Daten und Algorithmen, um Spielmuster autonom zu erkennen und objektiv auszuwerten." Und genau diese objektive Auswertung sei der Unterschied zu den oft subjektiven Einschätzungen eines Trainers oder einer Trainerin, so der Sportwissenschaftler.
Ersetzt KI den Menschen?
KI hat die datenbasierte Analyse revolutioniert und nimmt immer mehr Einfluss auf Entscheidungen über Taktik, über das Thema Verletzungsprävention oder die Trainingssteuerung. "Sportvereine haben die Nutzung von KI brutal ausgebaut", erklärt Memmert. "Die Vereine haben gemerkt, wie viel sie mit den gesammelten Daten machen können."
Sportvereine erweitern zudem ihre Kompetenzteams. Nicht mehr Menschen, die möglichst viel Erfahrung in einer Sportart gesammelt haben, werden engagiert, sondern vermehrt Programmierer und Informatiker. "2017 hat der FC Barcelona 15 neue Daten- und Videoanalysten sowie Daten Scientists eingestellt", sagt Memmert und ergänzt: "Der Einsatz von KI-Systemen wird also nicht dazu führen, dass weniger Menschen im Leistungssport eingesetzt werden, sondern mehr." Denn es müsse immer noch Expertinnen und Experten geben, die so viel von dem jeweiligen Sport verstehen, dass sie mit den von KI erstellen Informationen und Metriken umzugehen wissen, sagt der Sportwissenschaftler.
Schalke scoutet mit Hilfe von KI
Künstliche Intelligenz ist mittlerweile in vielen unterschiedlichen Bereichen zu finden. Beim FC Schalke 04 lassen sich die Scouts bei der Suche von neuen Spielern von einer KI unterstützen. "Wir haben bei uns im Scouting ungefähr 40 Werte festgelegt und bei dreien davon lassen wir Künstliche Intelligenz mitlaufen und auch darüber entscheiden, ob das für uns Werte sind, die den Unterschied machen", sagte Schalke-Sportvorstand Peter Knäbel dem ZDF. "Man definiert beispielsweise das Freilaufverhalten eines Spielers, also welche Passgenauigkeit er hat. Und setzt da Künstliche Intelligenz drauf."
Auf diese Weise sei gut zu erkennen, ob dieser Fußballer einen ähnlichen Wert besitzt, wie ein abgewanderter Akteur. Trotzdem liegt die finale Entscheidung über eine Verpflichtung immer noch beim Scout und bei den Trainern. Die KI ist in diesem Fall lediglich eine weitere Möglichkeit, potentielle Schalke-Spieler im Vorfeld besser einschätzen zu können.
Michael Döring: "KI ist wie ein kleines Kind"
Auch beim Handball wird mit intelligenten Systemen gearbeitet. Seit einigen Jahren tragen die Spieler in der Handball-Bundesliga so genannte "Wearables", also Westen oder Sport-BHs, in die ein Sensor gesteckt werden kann. So werden während eines Spiels mehrere Millionen Daten aufgezeichnet: Laufleistung, Schnelligkeit, biometrische Daten oder zum Beispiel Positionsdaten von Spielern.
"Mit diesen Informationen füttern wir dann die Computer, damit diese lernen, wie ein Handballspiel funktioniert", sagt Athletiktrainer Michael Döring. "Das System ist am Anfang wie ein kleines Kind und lernt erst mit den zugeführten Daten das Spiel besser zu verstehen."
Die Wahrscheinlichkeit für ein Tor wird erhöht
In den vergangenen zwei Jahren wurde die KI mit rund 600 Handballspielen gefüttert. Mittlerweile hat das von der SG Flensburg-Handewitt benutzte System viel Wissen über den Handballsport angehäuft. Bei der Daten-Analyse kann KI mittlerweile Torwahrscheinlichkeiten vorhersagen.
Döring und seine Kollegen können so sehen, welcher Spieler auf welcher Position die größte Chance auf einen Torerfolg erzeugt. "Wo sollte der Kreisläufer stehen? Wie sollten wir die zweite Welle anlaufen? Das sind dann plötzlich Dinge, wo wir einen Mehrwert haben", sagt der Sportwissenschaftler der DW. "Es ist wie ein zusätzlicher Ratgeber. Und diese datenbasierte Herangehensweise können wir nutzen, um unser System erfolgreicher zu machen."
Döring, der selbst früher Handballtrainer war, fungiert im Expertenteam der Flensburger als Vermittler zwischen den Daten und dem Trainer. Denn noch lange nicht alle Informationen, die mit Hilfe der KI ermittelt werden, sind hilfreich für das Training oder die Taktik in einem Spiel. "Wir nehmen die Fragen aus der Praxis mit in die Theorie. Und das Wissen, was wir dann durch die KI-basierte Analyse bekommen, müssen wir so verpacken, dass man damit in der Praxis auch etwas anfangen kann."
In Zukunft erhoffen sich die Handballer durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz Unterstützung bei taktischen Fragen, aber auch beim Zusammenstellen einer Mannschaft, die eine möglichst hohe Wahrscheinlichkeit auf Erfolg haben wird.
Je komplexer, desto mehr Sinn macht die KI
Dennoch steht die Nutzung von KI-basierten Daten noch in den Anfängen. Aktuell ist das System eben nur so intelligent, wie die von Menschen zugeführten Informationen. Es wird sich jedoch rasant weiter entwickeln und den Sport weiter digitalisieren und verändern. "Je mehr Akteure auf einem Spielfeld sind, desto komplexer sind die auftretenden Muster. Also je mehr Menschen in einem Sport aktiv sind, desto größere Datenmengen treten auf und desto mehr ergibt es Sinn, diese Daten durch schlaue Algorithmen bearbeiten zu lassen", sagt Memmert.